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Essen

Ich habe mit Insekten gekocht, damit ihr es nicht tun müsst

Insekten sind ab 2017 in der Schweiz als Lebensmittel zugelassen. Unsere Autorin ist den ekligen Sechsbeinern schon mal in ihrer Küche zu Leibe gerückt.
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Es ist das erste Mal, dass ich als Reaktion auf eine Einladung zum Kochen ein kotzendes Smiley erhalte. Ich nehme es meinem Freund nicht übel, denn es ist auch das erste Mal, dass ich zum Abendessen ein Menü aus Würmern und Heuschrecken zaubern will.

Gegessen habe ich die Krabbeltiere schon einmal. Der professionell zubereitete Heuschreckensalat von damals schmeckte gut, ein bisschen wie Poulet. Aber nun möchte ich einen Schritt weitergehen. Ich will wissen, ob sich "das Fleisch der Zukunft", das ab 2017 hierzulande verkauft werden darf, auch wirklich für die Alltagsküche eignet. Daher habe ich mir das erste grössere Schweizer Insektenkochbuch "Grillen, Heuschrecken & Co." inklusive drei Päckchen Insekten besorgt und den Herd angeworfen.

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Die Vorstellung, auf Insekten herumzukauen, mag für die meisten super eklig klingen. Dabei wird gerne ausgeblendet, dass die meisten Nahrungsmitteltabus gar nicht so unantastbar sind, wie sie scheinen. So findet man in deutschen Kochbüchern bis Ende 20. Jahrhundert Suppen-Rezepte mit Maikäfern. Und die Geschichte zeigt, dass sich mit jedem Jahrzehnt neue Nahrungsmittel etablieren. Das gilt auch für solche, die früher Ekelgefühle hervorriefen. Für die Generation unserer Grosseltern war es unvorstellbar, rohen Fisch zu essen. Es besteht also zumindest die Möglichkeit, dass Insektenfleisch das Sushi von 2020 wird.

In der Küche wagen mein Freund und ich uns zuerst an eine Nudelpfanne mit gerösteten Heuschrecken. Wir schnippeln Paprika, Karotten und Zwiebeln und braten das Ganze mit Udon-Nudeln an. Dann sind die Heuschrecken an der Reihe. Im Rezept ist von gefrorenen Exemplaren die Rede. Ich habe nur gefriergetrocknete. Wir entscheiden uns dazu, einfach die Backzeit im Ofen zu reduzieren. Ich schütte die sandfarbenen Grashüpfer aus der Plastikdose in eine Schüssel. Sie erinnern mich an Garnelen. Ihre Stecknadelaugen starren mich anklagend an. Ich bade die kleinen Körper schnell in gewürztem Sesamöl und lasse sie im Ofen verschwinden.

Als Dessert haben wir Mehlwurm-Pistazien-Pralinen ausgesucht. Das Schmelzen der Kuvertüre löst eine mittelschwere Beziehungskrise aus. Mein Freund ist davon überzeugt, dass die Schokolade unbedingt im Wasserbad geschmolzen werden muss. Ich bin anderer Meinung und schmelze sie tollkühn direkt im Topf. Das Resultat ist ein zäher Schokoladenklumpen, in den wir verzweifelt die gerippten Würmchen einzuarbeiten versuchen.

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Es klappt irgendwie. Wir rollen aus der Masse Kugeln und lassen sie auf einem Teller trocknen. Leider sehen die Pralinen nicht ganz so chic wie im Kochbuch aus. Eher wie Alien-Eier oder als hätte man die Würmer wieder in ihrem natürlichen Habitat ausgesetzt.

Ich ziehe die Heuschrecken aus dem Ofen und mische sie der Nudelpfanne bei. Zeit für den Geschmackstest. Ich beisse in einen Grashüpferkopf. Es knirscht. "Schmeckt irgendwie angebrannt", sage ich mit vorgehaltener Hand zu meinem Freund. Tatsächlich ist der innere Teil des Insekts leicht verkohlt. Wie ich später von Christof Bärtsch, einem Autor des Buches, erfahre, hätten wir die gefriergetrockneten Heuschrecken direkt in die Pfanne geben sollen. Da die Nudelpfanne aber sonst gut schmeckt, verputzen wir sie mit einigen grossen Schlucken Wasser fast vollständig.

Jetzt sind die Schoko-Mehlwurm-Rochers an der Reihe. Vorsichtig schiebe ich mir die Insektenpraline in den Mund. Es knirscht zwischen meinen Zähnen. Kindheitserinnerungen an Schoko-Crossies werden wach. Schmeckt ganz lecker. Allerdings würde ich das wohl auch von einem Babyfinger behaupten, solange er mit Schokolade überzogen ist. "Erinnert mich an Schweineschwarte", gibt mein Freund zu Protokoll.

Mein Fazit nach der Kocherfahrung ist durchzogen. Einerseits war die Zubereitung der Insekten komplizierter als gedacht und ihr Geschmack nur im Fall der Pralinen wirklich gut. Andererseits bin ich immer noch von den tierethischen Vorteilen und den Inhaltsstoffen von Insektenfood überzeugt. Insekten sind eine ergiebige Quelle für Proteine und B-Vitamine, die ich gut gebrauchen kann, da ich mich weitgehend vegetarisch ernähre. Ausserdem gefällt mir, dass man Insekten regional züchten kann und ihre Massenproduktion tierfreundlicher erscheint und umweltschonender ist als die von Rind-, Schweine- oder Pouletfleisch.

Leider werden Insekten aber auch nicht hübscher, je länger man sie kocht. Und der Ekelfaktor wird zwar mit jedem Bissen Wurm kleiner, aber komplett ist er noch nicht verpufft. Ich hoffe daher auf Convenience-Produkte wie Insekten-Proteinpulver. Die Mehlwürmer, die ich noch habe, werde ich aber noch einmal brutzeln—als Halloween-Partysnack taugen sie allemal.

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