An meinem ersten Tag schicken mir meine Tinder-Matches ungefragt vier Adressen, acht Handynummern und ein GIF von Beyoncé in Diva-Pose. Ich freue mich nur über Beyoncé. Es ist nicht so, dass ich Sex eklig finde und auf Tinder den Vater meiner Kinder suche. Nachdem ich mich Jahre nach allen anderen zum ersten Mal am Matchen versuche, überraschen mich die vielen eindeutigen Angebote trotzdem. Als ein muskelbepackter Typ aus Berlin-Mitte die Konversation mit der klischeehaftesten Hook-up-Line aller Zeiten eröffnet (“Zu dir oder zu mir heute Abend?”), löse ich mein Match mit ihm beleidigt auf.
In einer Studie befragten Forschende der Uni Dublin 40 Frauen nach ihren Erfahrungen bei Tinder: Mehr als ein Drittel hat die App nach zu vielen sexuell expliziten Kontaktaufnahmen wieder gelöscht. “Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein”, sagte schon Friedrich Nietzsche. Ob es den Männern wohl gefallen würde, wenn sie von einer Frau mit ihren eigenen Anmachsprüchen angeflirtet werden? Ich beschließe, mir die schlimmsten männlichen Pick-up-Lines anzueignen, die klischeehaftesten Profile anzulegen und mache den Test.
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Der Abgrund von Tinder birgt Oralsex-GIFs, Auberginen-Emojis und Einladungen zum Gruppensex mit Fremden. Die Männer sollen von ihren eigenen Auberginen kosten. Mein Test: fünf unterschiedliche Dating-Personae, alle von ihnen suchen schnellen Sex – als personifizierter Abgrund teste ich, wie weit ich als Frau mit ihren Anmachsprüchen komme. Meine Testsubjekte wähle ich wie ein notgeiler Kerl: Ich wische einfach bei jedem Profil nach rechts.
Der Auberginen-Penis
Phallische Emojis und Dick-Pics sind der unmissverständlichste und an Worten sparsamste Weg, sexuelle Absichten offenzulegen. Wissenschaftler aus Toronto fanden – schon bevor es Tinder und WhatsApp gab – heraus, dass Aufnahmen von Penissen Frauen so geil machen wie Fotos des schneebedeckten Himalaya-Gipfels. Nämlich gar nicht. Leider erfragen viele Männer trotzdem nicht einmal das aktuelle Befinden, bevor sie übergriffig mit ihrem Genital wedeln.
Weil bei Tinder keine Bildanhänge möglich sind, übernehmen Gemüse-Icons ihren Platz. Statt Vulva-Selfies kann ich also nur mit Bio-Dick-Pics und platten Pick-up-Lines flirten.
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Ich werfe mit Auberginen, Pfirsichen, Chilischoten und Fragezeichen um mich und droppe mehrmals meinen persönlichen Horror-Spruch “Zu mir oder zu dir?”. Die meisten Männer scheinen ihren Augen kaum glauben zu können: “Ist das ein Witz? Hat jemand dein Handy gestohlen?” Ein Typ teilt mir trotz seiner Erkältung unaufgefordert seinen Wohnort mit, ein anderer will abends Sex in seiner Bar.
“Du bist ja sehr kreativ”, merkt ein sonnenbebrillter Kerl an, als ich ihm mein Gemüseangebot unterbreite, “kannst du auch was anderes?” Das Maximum an Ablehnung erfahre von einem 30-Jährigen, der trotz Super-Like nicht auf “Netflix & Chill?” reagiert. Es gibt sie scheinbar doch, die restlos ausgereizten Anmach-Sprüche. Übrigens hat die Wissenschaft rausgefunden, dass es etwas deutlich Erfolgsversprechenderes gibt als Auberginen: Laut der Soziologin Jess Carbino werden Chats, die mit einem GIF begonnen werden, zu 30 Prozent häufiger beantwortet als die ohne GIF. Wenn es mit dem Gesprächseinstieg wieder etwas holpriger wird, hilft also noch immer der Klassiker: eine augenzwinkernde Beyoncé.
Fazit: Zehn Versuche, sieben höchst erfreute Reaktionen, eine (berechtigte) Hinterfragung meiner Kreativität, zwei Enthaltungen.
Der einsame Wanderer
Längst haben Wanderrucksäcke Katzenbabys als beliebteste Requisite auf Profilbildern abgelöst. Der moderne Tinder-Mann streichelt Wildkatzen, besteigt brodelnde Vulkane und fliegt zum Meditieren nach Bali – unter dem einen Arm das Notebook, unter dem anderen das Surfbrett. Ich packe meinen Koffer und nehme mit: meine Acro-Yogapants, einen Helm fürs Buckelwalreiten und das Handbuch für digitale Nomaden.
Die Weltenbummlerin kommt bei den Testsubjekten mit Abstand am besten an. Drei Männer schreiben, noch bevor ich den Sex-Chat eröffnen kann, und fragen, ob ich ihnen von meinen Reisen erzähle. Alle wollen meine Reisefotosammlung sehen und sich mit mir Dokumentationen über die Paarung polynesischer Wasserschlangen anschauen. Vielleicht lassen Reisefotos im Tinder-Profil die Chancen also wirklich steigen. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass ich auf einem der drei Bilder einen Bikini trage.
Reaktionsquote: Zu 99,5 Prozent positiv. Ein muskelbepackter Typ im Fitnessstudio will nicht mit mir auf Abenteuerreise gehen, weil er nicht so viele Urlaubstage hat. Als ich ihm entgegne, dass wir für dieses Abenteuer nicht einmal das Zimmer verlassen müssen, fragt er erfreut nach meiner Nummer.
Der, der mit den Chemtrails tanzt
Es gibt tatsächlich Männer, die ihre politische Einstellung für einen guten Opener halten. Sicherlich sind Verschwörungstheorien ein gutes Mittel, um politische Positionen (und eventuell auftretende Ansteckungsmöglichkeiten bei Impfgegnern) noch vor dem ersten Körperkontakt abzuklären. Eine potenzielle Sexpartnerin mit Chemtrails, der Herrschaft der Echsenmenschen und antisemitischen Ideen zu traktieren, hat sich trotzdem in den seltensten Fällen bewährt. Weil ich mich nicht traue, mich in meinem Profil als aluhut-tragende Spinnerin zu outen (#woke), frage ich flirtend den Impfstatus zukünftiger Kinder ab und teile mein Wissen über den wirklichen Grund für Tupacs “Verschwinden” mit meinen Matches: “Wusstest du, dass es ein Inside-Job der Regierung war?”
Passend dazu erwische ich an einem Mittwochabend ein Profil, das sich als Martin Lejeune ausgibt. “Du und Martin steht aufeinander!”, sagt Tinder. Ob er wohl auf Frauen steht, die wie ich mit politischem Wahnsinn kokettieren? Meine Annäherungsversuche bleiben jedoch ohne Reaktion.
Offenbar ist meine “Wokeness” nicht der Schlüssel zum Herzen. Für die Hose reicht es trotzdem: “Ich will nicht über Berufliches reden, komm einfach morgen zu mir”, schreibt ein Versicherungsangestellter, als ich ihn frage, ob seine Versicherung auch haftet, wenn die Regierung uns mit Chemtrails verseucht. Ein anderer, der sich als “Antifaschist” bezeichnet, deutet immerhin an, dass Verschwörungstheorien ein guter Nährboden für antisemitische und rassistische Ideologien seien. Und schreibt mir einen Tag später trotzdem reumütig, dass natürlich nicht alle Verschwörungstheoretiker Spinner sind.
Wider Erwarten hat mich keines meiner vier Matches gelöscht.
Der Kerl mit dem Hotelzimmer
Kein Profil ruft so laut “Ficken!” wie das des Typen, der angibt, nur für zwei Nächte in der Stadt zu sein. Das Passport-Feature ermöglicht es Usern, einen beliebigen Ort als Standort anzugeben und dort lokal zu tindern, schon bevor man dort ankommt. Du fährst nächste Woche zur Beerdigung deiner Oma in die Heimat? Dann mach dir jetzt schon ein Trost-Date klar.
Vor allem in Großstädten sind Touristen und Geschäftsreisende als Hotelzimmer-Tinderer omnipräsent. Nichts führt schneller zu unkompliziertem Sex als eine Zimmernummer. Allerdings sind auch nur wenige Dates so klischeebehaftet wie ein zweistündiger Sex-Besuch in einem Hotel.
Das mag der Grund dafür sein, dass es bei keinem Testlauf weniger Reaktionen gab als beim Hotelzimmer-Flirt. Eventuell könnte es auch an der Tatsache liegen, dass ich “Hotel” von R. Kelly als Lieblingslied angebe. Oder ist es angsteinflößend, wenn eine 24-jährige Start-up-Besitzerin, die sich selbst “Boss Chick” nennt, in ihr Hotelzimmer einlädt? Die Männer wirken verschreckt. Nur zwei meiner sieben Matches lassen sich auf die Nummer ein, zwei hören sich mein Angebot zumindest an, der Rest reagiert nicht. Flaute im Kingsize-Bett.
“Ich bin nur bei Tinder, weil ich Models für mein Portfolio brauche”
“Ich habe dich bei Tinder gesehen” ist für viele der unangenehmste Satz in der Raucherpause. Vielleicht der Grund dafür, warum sich manche Menschen noch immer dafür rechtfertigen, in ihrer Freizeit gerne ins Tinder-Daumenkino zu gehen. “Ich bin nur hier, weil ich Freunde suche” ist neben der Körpergröße die häufigste Lüge bei Tinder. Die unglaubwürdigste ist: “Ich bin nur hier, weil ich Models für mein Portfolio suche.” Immerhin geben manche der “Fotografen” direkt in ihrem Profil an, dass sie auch gegen Sex nichts einzuwenden hätten – nach dem Shooting, versteht sich.
“Ziehst du dich am Wochenende für mich aus? Ich lege die Kamera als Alibi auf den Nachttisch”, eröffne ich den Chat mit einem tätowierten Mitt-Dreißiger, laut Profil 187 Zentimeter groß und begeisterter Kiffer. Er will vor die Kamera und fragt, ob ich mich ebenfalls ausziehe. Dem Nächsten, 25 und modeaffin, ist es egal, dass die Kamera nur ein Alibi ist. Er würde auch ohne Unterwäsche in mein “Studio” kommen.
Drei der sieben Testpersonen reagieren nicht auf meine Shootinganfrage, drei freuen sich über das Scheinwerferlicht. Ein 23-jähriger Student erteilt mir die erste und einzige Absage meiner Recherche: “Abschleppen lasse ich mich erst, wenn das erste Treffen gut war.”
Während des Experiments merke ich: Die meisten Männer stören sich überhaupt nicht daran, wenn sie mit ihren eigenen Anmachsprüchen angeflirtet werden. Im Gegenteil: Viele sind positiv überrascht, dass eine Frau so unverblümt nach Sex fragt. Am Ende erhalte ich nur von einem meiner 34 Matches eine klare Absage, alle anderen gehen auf das Angebot ein oder reagieren nicht. Whitney Wolfe, Mitgründerin von Tinder, hat die vermeintliche Geschlechterdifferenz beim virtuellen Flirten beobachtet. Im Gespräch mit Broadly sagte sie: “In der heutigen Gesellschaft wird noch immer von Männern erwartet, die erste Nachricht zu senden.” 2014 verließ sie Tinder, verklagte ihren ehemaligen Arbeitgeber wegen sexueller Belästigung und entwickelte Bumble, eine Dating-App, bei der Frauen die Kontaktaufnahme initiieren müssen. Eine Kollegin von mir mit 444 Matches sagt: “In drei Jahren Tinder habe ich vielleicht 20 Mal die erste Nachricht geschrieben.”
“Das ist das erste Mal, dass mir eine Frau zuerst schreibt”, schreibt ein blonder Berliner, 178 Zentimeter groß. Mehrere Male weisen mich die Männer bei meinem Experiment darauf hin. Einer sucht mich bei Facebook, weil er es so ungewöhnlich findet, dass ich als Frau Auberginen-Emojis verschicke. Er postet einen Link zu meinem Artikel über die Chat-App Poltergeist: “Machst du wieder eine Geschichte?” Am Ende fragt er, ob er denn wirklich schöne Augen habe.
Als ich mein Experiment beende, verabschiede ich mich mit einem Standard-Text: “Muss kurzfristig für längere Zeit verreisen, sorry.” Ich weiß, dass ich die Männer getäuscht habe. Viele fragen noch Tage nach dieser Absage, wann wir uns denn endlich zum Sex treffen – einer insgesamt zwölf Mal. Als sexhungrige junge Frau bin ich auf der App eine Art magisches Einhorn, das sich die Jäger gerne als Trophäe ins Wohnzimmer hängen würden. Ein Einhorn mit zerstörerischer Kraft: Eine Studie der University of North Texas hat herausgefunden, dass Männer eine niedrigere Selbstachtung haben, wenn sie erfolglos tindern.
An der Zerstörung des männlichen Egos will ich dann doch nicht Schuld sein: Liebe Männer, es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich war und euch falsche Hoffnungen gemacht habe. Aber ihr wart einfach nicht der passende Hengst für das magische Einhorn.
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