Ich habe versucht, die Zufriedenheitsgarantie auszureizen

Ich bin eigentlich sehr lieb und höflich. Wenn man mich und meinen gewöhnlichen Gesichtsausdruck auf der Straße sieht, mag man es zwar vielleicht kaum glauben, aber meine Eltern haben da durchaus gute Erziehungsarbeit geleistet. Bei fremden Personen bin ich allerdings gleichzeitig auch ziemlich schüchtern. Die Zeit, in der ich mich weigerte, bei unbekannten Nummern abzuheben oder mir selbst einen Termin beim Arzt auszumachen, liegt erschreckend kurz zurück. 

Dementsprechend schwer fällt es mir, zu artikulieren, wenn mir etwas nicht ganz so passt. Nicht nur einmal saß ich nach dem Friseurbesuch heulend im Auto, nachdem ich mit eingefrorenem Lächeln und verschnittener Föhnfrise brav “Danke, ist superschön geworden” durch die Zähne zischte und 150 Euro plus ordentlich Trinkgeld am Tresen liegen ließ.

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Jetzt ist es aber so, dass man immer wieder mal seine persönlichen Grenzen ausloten sollte – anscheinend wächst man ja mit seinen Aufgaben. Nachdem ich also schon versucht habe, mich eine Woche lang durch Wien zu schnorren, bin ich guter Dinge, mein “Oh Gott, das ist mir jetzt aber unangenehm”-Level mittlerweile so weit heruntergeschraubt zu haben, um diese Challenge besser zu meistern. 

Die Pizza

“Unverhofft kommt oft”, wie mir damals in den 90ern der Andreas aus der Parallelklasse schon so schön ins Stammbuch geschrieben hat. Denn eigentlich bin ich noch gar nicht im Experimentier-Modus, sondern einfach ein faules Stück, das wieder einmal lieber bei Foodora bestellt, als selbst zu kochen. Soweit, so gut. 

Die Pizza kommt auch superschnell, ist aber eiskalt, der Belag klebt am Karton fest und wässert langsam durch. Normalerweise würde ich mich irrsinnig ärgern, den Büffelmozzarella halbherzig mit den Fingern vom Karton schaben, ihn wieder auf die Pizza drapieren und mir schlussendlich unbefriedigt und stumm Stück für Stück einverleiben. 

Und ja, das habe ich ehrlicherweise auch dieses Mal gemacht. Aber nicht, ohne zuvor noch ein Foto zu machen und es an den Customer Service zu schicken. Dazu sende ich ihnen – zugegebenermaßen nicht ganz ohne Hintergedanken – eine kurze Nachricht: 

“Liebes Foodora-Team,

normalerweise bin ich mit eurem Service superzufrieden, und auch die Pizza schmeckt sonst immer ausgezeichnet – heute gab’s da leider einen kleinen Ausreißer. Wollte euch nur darauf aufmerksam machen, weil andere Kunden vielleicht nicht so gelassen reagieren.

Alles Liebe,
Anna”

Ja. Ich weiß eh … aber keine zwei Minuten später kommt ein Entschuldigungsschwall – per Chat, per Mail, sogar telefonisch – und ich bekomme 50 Prozent der Bestellsumme erstattet, ohne es auch nur ansatzweise zu verlangen. Ich bin hooked. Noch bevor die Pizzakartons in den Müll wandern, hol ich mir den Laptop. Die Zeit ist reif für das nächste Level:

Das Kleid

Ihr müsst wissen: Da ist dieses Kleid. Und da ist mein Geburtstag. Und da ist dieses fancy Dinner bei Konstantin Filippou. Die heilige Dreifaltigkeit, quasi. Das Problem: Das Kleid ist scheißteuer. Wirklich scheißteuer. Ich bestelle es trotzdem; in der Hoffnung, dass ich es nach dem einen Mal tragen wieder sorgfältig zusammenlegen und zurücksenden kann.

“Halbliegend rutsche ich am Vordersitz hin und her und fühle mich wie eine Promi-Lady in ihrer knallengen Valentino-Robe vor ihrem Oscar-Auftritt.”

Als es schließlich ankommt, entferne ich feinsäuberlich die Etiketten und bewahre sie für später in meiner Schreibtisch-Schublade auf – nur keine Fehler machen. Dazu kommt, dass das Kleid so eng ist, dass ich kaum atmen kann. “Kannst du da drin überhaupt gehen?”, fragt mich mein Mitbewohner. Er trifft damit einen wunden Punkt – kann ich nämlich nicht. Ich kann darin genauer gesagt auch nicht wirklich sitzen. Aber ich ziehe es durch. Schon die fünfminütige Autofahrt in den 1. Bezirk ist eine Tortur. Halbliegend rutsche ich am Vordersitz hin und her und fühle mich wie eine Promi-Lady in ihrer knallengen Valentino-Robe vor ihrem Oscar-Auftritt.

Während des ganzen Essens konzentriere ich mich hauptsächlich darauf, das Besteck immer brav an den Mund zu führen, um ja nicht zu patzen. Nach 12 Gängen und exakt gleich vielen Gläsern Wein habe ich außerdem zunehmend die Angst, den Reißverschluss zu sprengen. Die Heimfahrt trete ich deshalb schließlich halbnackt an. Worth it.

Ich wasche das Kleid ohne Waschmittel im Schnellwaschgang, packe es am nächsten Tag mit den Etiketten zurück ins Verpackungsplastik und hoffe auf das Beste, während ich das nächste Kapitel angehe …

Das Buch

Screenshot: Amazon

Essen und Kleidung sind nur das halbe Leben. Auch Bildung ist wichtig. Obwohl wir hier in Österreich mit ÖH-Beitrag und “Studiengebühren” wirklich gesegnet sind, können Bücher – gerade Fach- und Sachbücher – ziemlich ordentlich auf die Geldbörse schlagen. Passend zum Thema beschließe ich, mir ein Selbsthilfebuch für mehr Selbstbewusstsein und -liebe zu besorgen. 

Das Buch, das vielmehr ein “Selbstliebe-Programm” zu sein scheint, kostet mich heiße 39,95 ohne Versandkosten – dafür bekomme ich sogar noch eine Gratis-DVD oben drauf. Ich versuche, dem Ganzen eine ehrlich Chance zu geben und schaffe es irgendwie, die ersten 10 Seiten mit viel Fremdscham zu lesen. 

Danach gebe ich aber auf. Alles was ich in den paar Seiten erfahren habe, ist, dass sich die Autorin auf jeden Fall schon mal selbst sehr sehr gern hat; und dass sie kein Auge für Formatierung oder Layout zu haben scheint. (Hier gibt es übrigens einen Link zu einer ihrer Lesungen. Sagt also nicht, ihr hättet die ganzen 88 Seiten geschafft.) Diese braungebrannte Lady hat meine Kohle jedenfalls nicht verdient. Ich schicke es zurück und bekomme zwei Tage später mein Geld wieder.

Ich schlage an dieser Stelle jetzt keinesfalls irgendetwas vor. Ich sage auch nicht, dass man bereits gelesene Bücher wieder zurücksenden sollte. Oder das irgendwas davon moralisch der richtige Weg wäre. Aber ich werfe einen meiner Gedanken in den Raum, der mir nach der ganzen Selbstliebe völlig zufällig in den Sinn kam: Es gibt da diese unfassbar teuren Bücher für die Uni, die man nur für eine einzige Prüfung braucht und so. Ähem.

Der Burger

Mittlerweile bin ich in Fahrt. Ich will keine Namen nennen, aber googelt man “bester Burger Wiens”, poppt ebenjenes Restaurant immer wieder in den Top 3 auf. Als “altehrwürdig” wird es hier bezeichnet. Ist es nicht. Das weiß ich aber schon. 

Weil es mir zu peinlich ist, Essen zurückgehen zu lassen, das mir eigentlich schmeckt, will ich die Zufriedenheitsgarantie also noch an einem Ort testen, von dem ich bereits weiß, dass er mir unsympathisch ist – ein Restaurant, in dem ich mich schon einmal geweigert habe, zu bezahlen. Damals ist dann allerdings gnädigerweise mein Freund eingesprungen. Dem Kellner sagte ich damals auf Nachfrage nämlich, glaube ich sogar so etwas Ähnliches wie: “Danke, es war ausgezeichnet”, bevor er dann meinen halbvollen Teller mit dem totgebratenen Patty Richtung Küche balancierte. 

Heute, bei meinem zweiten Besuch, bin ich fest entschlossen, meine ehrlich Meinung zu sagen. Zum Glück enttäuscht mich der Koch nicht – das Fleisch ist trocken, das Brötchen halbverbrannt und auch die Sauce ist ein trauriger Schatten ihrer selbst. Wieder lasse ich den halben Burger übrig, wieder fragt mich der Kellner, wie es uns denn geschmeckt hätte. 

“Nochmal, tut mir leid für die Umstände, ja?”

Mein Herz rast, die Hände schwitzen. “Äh, tut mir Leid, aber ehrlich gesagt fand ich den jetzt nicht sooo gut”, bringe ich halbstotternd hervor. Der Kellner schaut mir direkt in die Augen und fragt mich, was das Problem war. Unbeholfen deute ich mit verzwicktem Gesichtsausdruck auf den halbvollen Teller: “Naja, war halt einfach nicht so.” Ich höre mich an, als wäre die Fahrradprüfung in der Volksschule noch immer mein größter bisheriger Erfolg. Mein Freund muss sich mittlerweile das Lachen verhalten, während meine Gesichtsfarbe immer mehr der Ketchup-Flasche von Clever am Tisch ähnelt. 

Der Kellner schüttelt kurz den Kopf, als würde er versuchen, mein Gesicht aus seinem Gedächtnis zu löschen und bietet dann fröhlich lächelnd an, uns noch ein Dessert zu bringen – aufs Haus. Ich bin nicht mehr hungrig, will keinesfalls auch noch wissen, wie die Nachspeisen hier schmecken, werte es aber als Teilerfolg und nehme dankend an. Der Cheesecake war dann übrigens auch eine Frechheit. Ich nehme mir fest vor, noch einen dritten Versuch zu starten, bin aber mit meiner Kraft am Ende. Ich verabschiede mich mit einem lauten: “Nochmal, tut mir leid für die Umstände, ja?”

Die Erdbeeren

Zugegeben, im März Erdbeeren zu kaufen, ist ohnehin schon mal hirnrissig. Dass diese vermutlich dann auch nicht schmecken werden, war eigentlich klar. Um mir wirklich sicher zu sein, nehme ich aber eine nach der anderen aus der Packung und beiße hinein, koste, schmecke und komme am Ende zum Schluss, dass sie wirklich hauptsächlich an bissfestes Wasser erinnern. 

Nach dem Burgerfiasko ist der Gang zurück zum Hofer ein leichter. Freundlich frage ich, was sich denn da tun ließe. Ohne Beanstandung, ohne ein böses Wort, bekomme ich mein Geld zurück und hole mir dafür die Fake-Schokobons. Das Leben kann so schön sein.

Die Platte

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Ganz ehrlich, ich bin mir nicht sicher, wie legal das Ganze ist, sehe es aber als Laie eher als zufällig entdecktes Schlupfloch an. Wie eingangs schon gesagt – ich bin manchmal recht faul. Der Klick auf Amazon erscheint mir da oft einfacher als der Gang in den Plattenladen 150 Meter über die Straße. 

Jedenfalls hab ich mir vor Kurzem eine Wu-Tang-Vinyl bestellt, nur um einige Tage später genau die gleiche geschenkt zu bekommen. Und weil ich nun dieses höfliche, liebe Mädchen bin, dass sich nicht sagen traut, dass sie die Platte schon längst hat, hab ich die meine daraufhin also wieder zurückgeschickt. Benutzt. Das hat auch einwandfrei geklappt, aber nicht nur das: Auf Amazon Music hab ich die 12 Songs noch immer. Gratis. Quasi. Danke dafür! Nicht Absicht, nicht Absicht, nicht Absicht – verklagt mich nicht. Bitte. Aber nehmt mir auch die 12 Songs nicht weg, OK?

Fazit

Ich hab mich in den letzten Tagen vermutlich wie das netteste Arschloch überhaupt aufgeführt. Manchmal war es unangenehm, insgesamt aber dann doch sehr befreiend. Ich verstehe langsam all die Menschen, die bei jeder Kleinigkeit cholerisch ihr Recht einfordern und hysterisch nach dem Manager verlangen. Trotzdem bin ich froh, keiner von ihnen zu sein. 

Ich werde mich wohl weiterhin entschuldigen, bevor ich Beschwerde einreiche, noch einige schlechte Gerichte kommentarlos hinunterwürgen und vermutlich früher oder später sogar Amazon anschreiben, um mich zu bedanken, dass sie mir einfach so ein Album geschenkt haben. In diesem Sinne: Lasst euch nicht alles gefallen, aber seid lieb dabei.

Oh, und das Geld von dem Kleid hatte ich im Übrigen auch nach nur einer Woche wieder auf meinem PayPal-Konto. ASOS hat mir sogar noch einen 15 Prozent Rabatt für meine nächste Bestellung per Mail geschickt; vermutlich, weil ich bei der Rücksendung “Produkt nicht meinen Erwartungen entsprechend” angekreuzt habe. Und das war noch nicht mal gelogen. 

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