Ich habe versucht, jemanden über LinkedIn flachzulegen

Benutzt eigentlich irgendjemand wirklich LinkedIn, Xing und wie diese ganzen Business-Plattformen sonst noch so heißen? Oder sind alle wie ich: Profil erstellen und wieder vergessen. Ich logge mich etwa alle sieben Monate ein, um Anfragen anzunehmen, damit niemand glaubt, dass ich sie hasse. Meine Seite ist mit meiner inzwischen toten Yahoo-Mailadresse verknüpft, sodass für jedes Einloggen ein kleiner Hackathon nötig wird. Auf meinem Profil gibt es das Skelett eines Lebenslaufs, mein Gesicht von vor vier Jahren und ansonsten gähnende Leere. Trotzdem kann ich meine Miete bezahlen und ab und an in den Urlaub fahren.

Das mag natürlich auch an meinem Job liegen. Ich bin Sexkolumnistin und habe weder Visitenkarten, noch Kugelschreiber, auf denen mein Name steht. Vielleicht ist es aber gerade deswegen wichtig, sich mehr mit den Plattformen auseinanderzusetzen, auf denen die Business-Entscheider unterwegs sind. Wer ein Unternehmen leitet, hängt wahrscheinlich nicht auf Tinder – könnte es also eine geheime Dating-Börse auf den Plattformen geben, die nach außen hin gähnend langweilig und grundlegend unerotisch wirken? Mittlerweile scheinen sich die Leute ja sogar über Uber kennenzulernen.

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Ich habe neulich auch eine Frau getroffen, die ihren Freund beim Pokémon Go-Spielen kennengelernt hat. Vergangenes Jahr kam sie nach einem harten Tag der Monsterjagd nach Hause und sah einen Mann mit Handy vor ihrer Wohnung stehen. “Hier gibt’s ein Piepi”, sagte er, und der Rest ist Geschichte. Eine Freundin von mir lernte vor ein paar Monaten durch die Carsharing-App Lyft einen attraktiven Typen kennen. Nach der Fahrt fanden sie einander auf Facebook und gingen was trinken. Er stellte sich als Niete raus – das Leben ist voller Enttäuschungen –, aber wie cool wäre es bitte gewesen, wenn das hingehauen hätte?

Es würde mich wirklich nicht wundern, wenn unsere Gesellschaft langsam aber sicher genug vom Hin- und Hergewische und Emoji-Flirts hat und ihre potenziellen Partner lieber über weniger eindeutige und ausgelutschte Weise kennenlernen möchte. Warum also nicht auch bei LinkedIn?


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Auf LinkedIn nach Sexpartnern zu suchen, mag im ersten Moment unorthodox wirken. Sein Geschäft soll man bekanntermaßen nicht da machen, wo man bumst. Oder wie auch immer der Spruch ging. Trotzdem beginne ich, Sahneschnitten auf der Business-Plattform zu adden. Wenn jemand mir vorwirft, dass ich gar nicht auf Geschäfts- sondern Genitalkontakt aus bin, kann ich mich schließlich jederzeit mit einem empörten “Das hätten Sie wohl gern!” zurückziehen. Und es gibt durchaus Menschen, bei denen das schon geklappt hat.

“Ich suchte nach einer Person, die sich als Vizechefin einer Ingenieursabteilung eignete. Unter unzähligen alten, weißen Männern bemerkte ich auch eine attraktive Frau”, erzählt mir ein Mann, der seine aktuelle Freundin auf LinkedIn kennengelernt hat. Sein erster Job nach der Uni war als Recruiter, also verbrachte er täglich Stunden auf der Plattform. “Sie eignete sich zwar nicht für die Position, aber ich schickte ihr eine Anfrage und schrieb dazu, dass ich sie gern unterstützen würde, wenn sie mal auf Stellensuche ist. Natürlich antwortete sie nicht.”

Aber da hört die Geschichte nicht auf. Als er ein paar Monate später die Dating-App Hinge installierte, tauchte seine attraktive LinkedIn-Bekanntschaft ganz oben in seiner Match-Liste auf. “Ich schrieb ihr: ‘Hey, bist du die Elizabeth, die ich von LinkedIn kenne?’ Damit hob ich mich natürlich von der Masse ab.” Die beiden sind seit zwei Jahren ein Paar.

Foto: freestocks.org | Pexels | CC0

Als ich herausfinden will, ob ich es schaffe, für diesen Artikel ein paar Connections zu heißen Karrieretypen aufzubauen, stehe ich schnell vor dem ersten großen Problem: Wie finde ich diese Leute überhaupt? Ich klicke auf “Jobs”, dort sind aber nur Firmen gelistet, die Stellen ausgeschrieben haben. Also tippe ich “Männer” ein, worauf mir Firmen vorgeschlagen werden, die das Wort “Männer” im Namen haben. Ich dachte, so ziemlich jede App könnte zur Sex-App werden, wenn man verzweifelt genug ist. Ich kenne immerhin genug Storys von Leuten, die mit jemandem über Couchsurfing oder sogar Deliveroo in der Kiste gelandet sind. LinkedIn erweist sich allerdings als ungeahnt harte Nuss.

Bald schon vermisse ich das Durchscrollen und Wischen, das ich von Dating-Apps kenne. Also konzentriere ich mich auf die “Personen, die Sie vielleicht kennen”. Ich schicke Kontaktanfragen an alle Männer, die attraktiv aussehen und nicht für eine Firma arbeiten, die irgendwas mit “Solutions” heißt. Ein paar nehmen die Anfrage an, aber niemand ist so karriere-geil, dass er daraufhin mit mir flirtet. Außerdem ist auf LinkedIn kein bisschen ersichtlich, wer vergeben, solo oder für jeden Spaß zu haben ist.

Gerade will ich den ersten Schritt wagen und einem süßen Typen aus meinem Netzwerk schreiben, da sagt mir eine Bekannte, er habe eine Freundin und sei “wahrscheinlich schwul”. Also scrolle ich stattdessen durch das, was bei LinkedIn als News Feed durchgeht, und like jeden Post. Darunter einen, in dem es heißt: “Ich spreche nun schon seit Jahren davon, wie Direktnachrichten das Marketing verändern werden.” Kapiert irgendjemand, dass ich gerade flirte?

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Vielleicht gibt es ja interessante, gut aussehende Männer, mit denen ich zufällig schon verbunden bin. Ich scrolle mich durch meine Kontakte und finde einen netten Mann, mit dem ich mal einen One-Night-Stand hatte. Es gibt keine Anstups- oder Wink-Funktion, also empfehle ich ihn stattdessen für seine drei wichtigsten Kompetenzen: Projektmanagement, Informatik und Kapitalfluss. Er arbeitet als Wirtschaftsanalyst und zu seinen Aufgaben gehört “Mapping von Prozessen und Ablaufschemata für Unternehmen”. Das hört sich für mich so seltsam und exotisch an, dass es mich ganz wuschig macht. Umso frustrierender, dass ich weder von ihm, noch den anderen Männern etwas höre, denen ich “Hey, wie geht’s? xo” geschrieben habe. Dabei habe ich sie vollkommen unaufgefordert für Fähigkeiten empfohlen, die ich nicht verstehe!

Nach vier Tagen ist mein Experiment offiziell ein Fehlschlag. Ich schätze, ich habe mich nicht genug ins Zeug gelegt und mich zu viel auf Leute konzentriert, die irgendwie noch in meinem erweiterten Netzwerk sind. Ich weiß jetzt besser zu schätzen, wie einfach Dating-Apps es uns machen, denn dort weiß man immerhin, dass alle ähnlich verzweifelt und/oder geil sind. Falls du also in letzter Zeit von mir eine LinkedIn-Anfrage gekriegt hast: Denk dir nichts dabei, ich versuche nur, mein Netzwerk zu erweitern.

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