Ich habe mich nicht nur in eine, sondern gleich in zwei Reality-TV-Shows geschummelt. Als kleine Quacksalberin wusste ich genau, wie ich die Produzenten zu manipulieren hatte, um schließlich gecastet zu werden. Es war also auch einzig und allein meine Schuld, als jeder dabei zusehen konnte, wie ich im Fernsehen verrissen wurde. Ich fragt euch jetzt bestimmt: Warum gerade Reality-TV? Mir war einfach langweilig und das Ganze erschien mir wie ein guter Zeitvertreib. 15 Minuten Ruhm sind für eine Hochstaplerin schon ziemlich verlockend, denn dafür muss man nur eines tun: sich gut verkaufen.
Wenn du weißt, worauf es den Produzenten bei den Vorsprechen ankommt, dann kannst du deine Antworten auch auf ihre Vorstellungen zuschneiden. Kleiner Hinweis: Soziopathen kommen immer gut an. Denk doch nur mal darüber nach. Soziopathen zeigen bekanntermaßen weder Mitgefühl noch Reue und neigen zu Wutausbrüchen. Das trifft doch so ziemlich auf jeden Reality-TV-Darsteller überhaupt zu, oder?
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Bei meinen Vorsprechen habe ich mich unzutreffenderweise als männerfressende, herumzickende, lästernde und feministische Power-Frau verkauft. Diesen extremen Charakter zog ich aus einer dunklen Ecke meiner Persönlichkeit. In Wirklichkeit versuche ich einfach nur wie jeder andere Mensch auch, die Welt zu verstehen. Wie dem auch sei, neben fetten Leuten verabscheuen die Produzenten auch noch Komplexität. Sie wollen Dramen, und der Kern von Dramen ist immer ein Konflikt. Im täglichen Leben kommt die Art Konflikt jedoch kaum vor, die das Fernsehen so interessant macht, und irgendjemand muss dann eben den Teufel spielen. Scheiß auf die Wahrheit und werde zum Teufel!
In Großbritannien ist Reality-TV ein hoch angesehenes Betätigungsfeld und wird wie eine Religion verehrt. Für die Stars dieser Fernsehsparte ist es dort ohne Probleme möglich, ihren kurzlebigen Ruhm auszunutzen, um Werbeverträge abzuschließen, Fitness-DVDs rauszubringen, zu modeln oder—der Heilige Gral—einen Fußballspieler zu heiraten. Wenn man sich bereitwillig beim großen Geschäft filmen lässt, dann kann man sich in Großbritannien wirklich eine goldene Nase verdienen und berühmt werden. Die Menge an Respekt, die einem dazu noch entgegengebracht wird, würde in anderen Ländern wohl eher für Kopfschütteln sorgen.
Aber wie sagt man so schön: Wenn du schon nicht wirklich berühmt sein kannst, dann sei zumindest berüchtigt.
In meinem Fall handelte es bei den Reality-Shows um When Women Rule The World und First Dates. Beide wurden vom britischen Fernsehsender Channel 4 produziert und von Millionen Menschen im ganzen Vereinigten Königreich und in ganz Irland angesehen. Bei der erstgenannten Sendung waren starke, eigensinnige und feministische Hitzköpfe gefragt, die dann nur mit einer einzigen Regel über eine einsame Insel herrschten: Frauen haben das Sagen, Männer müssen gehorchen. Ich machte mich sofort an meine Bewerbung und beantworte alle Fragen mit so viel erzwungener Großtuerei wie nur möglich. Ich wurde zum Beispiel gefragt, warum ich ins Fernsehen wollte. Ich dachte mir, dass „Rache” als Antwort nicht so gut ankommen würde, und schrieb deswegen stattdessen „Ich bin toll und die Leute lieben mich”. Ich packte noch meine aufreizendsten Fotos in den Anhang und schickte die Bewerbung ab.
Nach ein paar Tagen bekam ich eine Antwort und wurde zu einem Vorsprechen mit Kamera eingeladen. Ich war weder überrascht noch erfreut. Mir war ja klar, dass sie mich kontaktieren würden, denn ich wusste genau, was ich da tat. Beim Vorsprechen wurde eine Kamera auf mich gerichtet und man fragte mich Dinge wie „Was können Männer deiner Meinung nach von Frauen lernen?”.
„Cunnilingus”, antwortete ich. Ich meine, wer zum Teufel sagt denn so etwas? Sie fraßen mir jedoch aus der Hand. Ich wurde noch zu weiteren Treffen eingeladen, bei denen ich auch weiterhin übertrieben freundlich zu den Produzenten war, verschiedene Outfits anprobieren musste und man meine Vorgeschichte überprüfte. Dann wurde eine Psychologin herangeschafft, um die mentale Gesundheit der Teilnehmer zu checken. Hier musste ich richtig glänzen. Es gibt eine Masche namens „Blind Man’s Bluff”—dabei täuscht ein Trickbetrüger normalerweise Blindheit vor, um die Leute abzulenken, wenn die Karten gemischt werden. Ich ließ einfach den Teil mit der Blindheit weg und konzentrierte mich auf den Bluff. Zu meiner Verteidigung muss ich dazu noch sagen, dass die Psychologin extrem unfähig war.
„Wurden Sie jemals Opfer häuslicher Gewalt?”
Ja.
„Nein”, antwortete ich fröhlich und mit einem breiten Lächeln im Gesicht.
„Würden Sie sich selbst als glücklich bezeichnen?”, fragte sie mich.
Zeitweise leide ich an Depressionen.
„Ich bin ein sehr fröhlicher Mensch.” Ich blickte sie mit meinem schönsten Augenaufschlag an und schon wurden die richtigen Kästchen auf dem vorgefertigten Formular angekreuzt.
Eine Woche später saß ich im Flieger Richtung Dominikanische Republik. Als ich dort zum ersten Mal das aufwendige Set sah, das von mehr als 200 Mitarbeitern an einem abgelegenen Strand aufgebaut worden war, wurde mir bewusst, dass der Sender Unmengen an Geld für alles ausgegeben hatte—Gehälter, Reisekosten, Unterkünfte, Drehbuchautoren, Requisiten, Elektriker, Kameramänner, Tontechniker, den Regisseur und unsere Vergütung. Inmitten all dem genoss ich mit einem schmierigen Grinsen meinen kostenlosen Karibikurlaub plus Fernsehauftritt.
Der Kreis meiner Kolleginnen bestand aus zeternden und wichtigtuerischen Weibern—von glamourösen Models bis hin zu auf Anal-Szenen spezialisierte Porno-Stars war alles vertreten. Stramme Hintern und gemachte Brüste soweit das Auge reichte. Bei den Männern gab es frauenfeindliche Fußballer und einen Alpha-Männchen-Gangsterrapper—alles nur zur Steigerung des Konfliktpotenzials.
Bei First Dates war mir wieder langweilig und ich wusste ja, dass bei Channel 4 viele Trottel arbeiten. Bei der beliebten TV-Show geht es darum, dass sich zwei Fremde zum Abendessen treffen und dann entweder Schmetterlinge im Bauch aufsteigen oder die Fetzten fliegen sollen. Als mir also zu Ohren kam, dass sie nach Teilnehmern für die zweite Staffel suchten, füllte ich sofort den Fragebogen aus und schickte noch ein Duckface-Selfie mit. Ich mogelte mich wieder durch zwei Vorsprechen mit Kamera und lieferte ihnen eine zuckersüße Bemerkung nach der anderen. Hier wurde man im Gegensatz zu When Women Rule The World nur für eine Folge gecastet—ich musste also mein Bestes geben.
Es stellte sich heraus, dass ich die First Date-Produzenten unterschätzt hatte. Sie sind anscheinend doch keine kompletten Vollidioten. Ich wurde mit einem Mikro ausgestattet und in das Restaurant geschickt, um meine Folge zu drehen. Dort traf ich dann auf mein Date: ein wirklich süßer Typ, der leider ziemlich nervig stotterte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Normalerweise waren meine TV-Kollegen ja widerliche und würdelose Soziopathen. Er war jedoch charmant und immer am Lächeln—konnte aber nicht wirklich viel reden, ohne extrem zu stottern. Deshalb übernahm ich den ganzen nervösen Smalltalk. Ich laberte geistigen Dünnschiss, und zwar bis sich mein Hals wie ein Schließmuskel zusammenzog. Als die Folge im Fernsehen ausgestrahlt wurde, war sie extrem zusammengeschnitten worden: Es hatte den Anschein, dass ich den armen Kerl wegen seines Sprachfehlers aufs Korn nahm. Die Aufnahmen wurden so aufgespalten und aneinander gereiht, dass es so aussah, als würde ich mit den Augen rollen oder ihn unterbrechen, wenn er etwas sagen wollte.
In den sozialen Netzwerken brach ein Shitstorm los und auf Twitter drohte man mir, mich mit einer Gabel zu erstechen oder mich zu vergewaltigen. Ich konnte nicht mehr auf die Straße gehen, ohne dass mich jemand als „diese kanadische Schlampe” bezeichnete. In einer Kneipe wurde ich von mehreren Leuten angesprochen: „Wir haben dich eben im Fernsehen gesehen. Warum hast du das dem armen Kerl angetan?” Ich zuckte mit den Schultern und entschuldigte mich dafür, sie enttäuscht zu haben. Das Ganze setzte mir so sehr zu, dass ich mich schließlich sogar nur noch verkleidet nach draußen wagte. Eine Zeit lang war ich die meistgehasste Frau des Vereinigten Königreichs. Ich litt daraufhin an Schlafstörungen und Depressionen.
Aber das hatte ich auch verdient.
Ich traf mich mit den Produzenten, um mit ihnen über die Todesdrohungen zu reden und ihnen klarzumachen, wie unfair ich meine Darstellung empfand. Sie nickten eifrig, zahlten mein Mittagessen und meinten, dass sie meine Sorgen sehr ernst nehmen würden. Sie versprachen mir, auf den offiziellen Twitter- und Facebook-Profilen Stellung zu beziehen und unveröffentlichte Aufnahmen zu zeigen, die mich nicht als fiese Person darstellen.
All das ist natürlich nie eingetreten. Das habe ich auch gar nicht erwartet. Die Sendung ging einfach mit großem Trara weiter und ich musste letztendlich aus London weg, um dem Skandal zu entkommen.
Genau das ist der größte Schwindel: Der Betrüger ist eigentlich das Opfer. Ich musste auf die harte Tour lernen, dass irgendwann immer jemand anderes zuletzt lacht. Wenn dieser Fall eintritt, dann kommt es nur noch darauf an, wie viel von deiner Abgeklärtheit übrig ist.