Die Drei auf dem Foto: “Wir wollten uns einfach mal diesem gesellschaftlichen Zwang stellen. Warum muss man denn immer trinken, um locker zu werden?”
Freitagabend! Endlich Wochenende! Das heißt für mich feiern gehen, drei Gin Tonic trinken und dazu noch eine halbe Flasche Wein – und am nächsten Morgen mit einem ordentlichen Kater aufwachen, der mich wünschen lässt, ich wäre nie auf die Welt gekommen. Trotzdem wiederhole ich das Ganze am Samstagabend wieder und frage mich dann am Sonntag, wieso ich es nie lernen werde.
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Doch dieses Mal soll alles anders werden, in Berlin besuche ich eine Sober Sensation Party. Heißt: keine Drogen, kein Alkohol.
Ich bin eine Verfechterin der Theorie, dass Trinken binär ist: eins oder null, ganz oder gar nicht. Darum kann ich mich mit dem Gedanken anfreunden, auch mal nichts zu trinken. Außerdem wird sich meine Leber über die Auszeit freuen.
Die Veranstalter von Sober Sensation versprechen ausgefallene Partys mit einer Stimmung, bei der es sowieso keinen Alkohol braucht. Bei der ersten Ausgabe im Dezember sind an einem Mittwoch fast 300 Leute bei klarem Verstand durchgedreht. Das Video dazu sieht ordentlich aus und so gehe ich mit großen Erwartungen zur zweiten Veranstaltung, die in einem Fitnesscenter am Alexanderplatz stattfindet.
Doch um welche Zeit soll ich dort aufkreuzen? Es soll schon um 18 Uhr losgehen und um 2 Uhr vorbei sein. Normalerweise beginnen Partys später, weil man ja noch vorglühen muss. Das fällt bei einer nüchternen Party weg. Geht man dann aus Gewohnheit einfach später oder ist frühes Feiern angesagt? Ich weiß es nicht und entscheide mich für 22 Uhr.
Am Eingang empfangen mich keine Türsteher, sondern Menschen in weißen Arztkitteln. Sie sollen entscheiden ob ich sober genug für die Party bin, sie checken meine Pupillen und meinen Herzschlag. Das ist mehr als Scherz gedacht, die Veranstalter wollen die Besucher nicht pusten lassen.
Über eine Treppe geht es rauf zur Tanzfläche. Das Motto ist “Jungle” und so stehen überall Palmen herum und von der Decke hängt Grünzeug. Eine Wand ist komplett verglast, man sieht den Fernsehturm in die Nacht ragen. Doch überraschenderweise sind keine 300 Menschen in dem Laden, sondern gerade einmal 30. Wenigstens scheinen die ihre Hemmungen an der Garderobe abgegeben zu haben und tanzen zu House-Musik, als sei der Club voll.
Ich frage mich, ob ich nicht doch hätte früher kommen sollen und gehe erstmal zur Bar. Die Drinks klingen nach fancy Cocktails, sind Säfte und Smoothies. Ich hole mir einen Pink Bomb mit roter Bete, Beeren, Apfel und Mandelmilch. Dann setze ich mich auf ein Sofa in der Ecke und schaue den Leuten zu, wie sie ausgelassen tanzen. Ganz so selbstbewusst bin ich nüchtern nicht.
Trinken ist normal. Wir trinken mit Freunden, mit Kollegen, mit der Familie. Sekt am Sonntag zum Frühstück, Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, Wodka nach der Zusage für den Studienplatz. Wenn man auf einer Feier keinen Alkohol trinkt, muss man fast im Minutentakt die Frage beantworten: “Ist alles in Ordnung?” Nicht zu trinken, wirkt abends nicht normal. Das will Sober Sensation ändern.
Im Raum nebenan treffe ich Oliver und Gunnar, beide um die 30. Sie waren schon bei der ersten Party für Nüchterne. “Als Student ging es noch zu feiern, ohne dass der ganze nächste Tag im Arsch war. Doch heute frage ich mich einfach, wieso ich etwas mache, wenn ich weiß, dass es mir nachher schlecht geht”, sagt Gunnar. “Wenn genügend Leute mitfeiern, entsteht so eine Stimmungstrunkenheit. Da braucht es gar keinen Alkohol.”
Oliver meint, er habe beim letzten Mal fünf Smoothies getrunken und dann einen Vitaminschub bekommen. Einen Vitaminschub, keinen Alkoholrausch – darüber muss er selbst lachen.
Ich hole mir noch einen alkoholfreien Drink. Schade, dass nur so wenig Leute da sind. Ich kann mir nämlich wirklich gut vorstellen, dass Feiern auch ohne Bier und Wein lustig sein kann.
Vor dem Fotoautomaten stehen drei Mädels Anfang 20. Normalerweise würden sie auch trinken, sagen sie. “Wir wollten uns einfach mal diesem gesellschaftlichen Zwang stellen. Warum muss man denn immer trinken, um locker zu werden?”, sagt eine von ihnen.
Sie bleiben bis zum bitteren Ende – das gar nicht so bitter ist. Schon um Mitternacht ist die Sober Party vorbei.
Nüchtern wollen an einem Freitag scheinbar nur wenige sein. Wenn man versucht, den Stress der Woche zu vergessen, wenn man bis in den Morgen tanzen will und man am nächsten Tag seinen Rausch ausschlafen kann, ist die Flasche Bier wohl einfach attraktiver als ein Glas Wasser.
Das haben auch die Veranstalter gemerkt. “Am Wochenende trinken – das ist einfach schwierig, aus den Köpfen der feierwütigen Berliner rauszubekommen. Mittwochs kam besser an, da sowieso unter der Woche wenig getrunken wird”, sagt Gideon Bellin. Die nächste Party soll im Mai stattfinden und bald auch in anderen Städte wie Hamburg, Zürich und Kopenhagen. Dann wieder an einem Wochentag.
Ich verlasse das Fitnesscenter und laufe über den Alexanderplatz. Mir kommen Menschen entgegen, sie sind laut, schrill, angetrunken. Auch ich will jetzt etwas trinken und ziehe weiter in eine Bar. Vielleicht klappt es ja ein andermal mit der Nüchternheit.