Sex

Ich war bei einer Londoner Glamour-Orgie dabei

Mistress Morrigan Hel (Alle Fotos wurden natürlich vor der Party gemacht)

„Der hier will nicht”, sagt ein Mann in Lederriemen und PVC-Hosen und zeigt dabei auf seinen Schwanz.

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Ich nicke mitfühlend. Es ist ja schließlich auch nicht leicht, vor anderen Leuten Sex zu haben.

„Das ist es nicht. Ich habe drei Pillen eingeschmissen und einen ganzen Haufen Koks gezogen”, fährt er fort. „Vier Viagra-Tabletten und der kleine Mann will immer noch nicht aufstehen.”

Es ist elf Uhr abends und wir befinden uns in einem georgianischen Reihenhaus in West London. Ich glaube nicht, dass die anderen Bewohner dieser vornehmen Enklave ganz in der Nähe der Oxford Street wissen, dass hier heute zum ersten Mal eine Torture-Kittens-Party stattfindet. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Killing Kittens (eine berühmte Swinger-Party für die „sexuelle Elite”) und Torture Garden (Londons Fetisch-Treffen Nummer Eins). Es ist ganz ruhig und die Straßenlaternen beleuchten die Straße, in der sich ausländische Botschaften und das Royal Institute of British Architects befinden—der perfekte Eyes Wide Shut-Rahmen für eine solche Veranstaltung.

Dank den Ausschweifungen von Dominique Strauss-Kahn, der inzwischen wegen Zuhälterei vor Gericht steht, sind Nobelorgien in aller Munde. Das ist allerdings auch nicht wirklich verwunderlich: Die Vorstellung solcher Veranstaltungen ist irgendwie doch unglaublich verführerisch. Wunderschöne Prominente, die sich venezianische Masken tragend in teuren Hotel-Suiten oder in ihren Villen treffen, um zuerst eine ganze Menge Koks zu vernichten und es sich anschließend richtig zu besorgen—das ist der Stoff, aus dem viele Träume sind.

Killing Kittens hat im Vereinigten Königreich das Monopol auf Glamour-Orgien. Angefangen hat alles 2005, als Emma Sayle zum ersten Mal ein solches Fest organisierte. Um das Ganze nicht zu einem Paradies für Perverse verkommen zu lassen, sondern ein sicheres Umfeld für die weiblichen Teilnehmer zu schaffen, sind folgende Regeln jederzeit zu beachten: „Männer dürfen nicht auf Frauen zugehen. Männer dürfen Frauen nicht ansprechen (es sei denn, sie werden dazu aufgefordert). Nein bedeutet Nein. Nur die Kätzchen dürfen Regeln brechen.”

Ach so, natürlich sind Maskierungen ebenfalls Pflicht.

Das Hauptbett

„Das hier ist das ‚softe’ Spielzimmer”, sagt Courtney von Killing Kittens, während sie mich und meinen Fotografen Jake kurz vor Beginn der Veranstaltung durch die Wohnung führt. Sie arbeitet seit 2014 bei dem Unternehmen und ist für die Torture-Kitten-Partys verantwortlich. Wie auch der Rest der Belegschaft wirkt sie vornehm, hat eine böse Lache und besitzt ein außerordentliches Organisationstalent—unvergessliche Fickfeste kommen nun mal nicht von selbst zustande.

Wir befinden uns in einem großen Raum und sind umgeben von aufwendig verzierten Holzverkleidungen. Es brennen Kerzen und der süße Duft von Weihrauch liegt in der Luft. Inmitten des Zimmers steht ein riesiges, mit schwarzem Samt überzogenes Bett. Aus den Lautsprechern kommt leiser Kuschelrock. Man kann kaum glauben, dass sich hier die Reichen und Schönen in ein paar Stunden ausgiebig mit ihren verschiedenen Körperöffnungen beschäftigen.

Im unteren Stockwerk befindet sich das andere Spielzimmer, wo die Domina Mistress Morrigan Hel das Sagen hat. Hier geht es alles andere als soft zu. Seltsam aussehende Metall- und Kunststoffvorrichtungen sind im ganzen Raum verteilt: Dabei handelt es sich um Spanking-Tische und Fesselrahmen zum Auspeitschen. Morrigan zeigt uns ihre Folterwerkzeuge, die sie später einsetzen wird. Sie sind ganz unauffällig in Supermarkttüten verpackt.

„Ich musste auf dem Weg hierher noch schnell einkaufen gehen”, erklärt sie uns.

Das ist die Domäne von Torture Garden. Der Promoter David TG trägt einen Gummianzug, zieht seine Maske im Spiegel zurecht und überprüft dann noch einmal, ob alle Geräte in Ordnung sind. Torture Garden ist schon seit 25 Jahren ein fester Bestandteil der Londoner Clubszene und jetzt ist die Zusammenarbeit mit Killing Kittens zustande gekommen—ein bedeutsames Ereignis für Fans von PVC, aufwendigen Dessous und Sexorgien.

Eine rote Treppe und ein schwach beleuchteter Flur (an dessen Ende befindet sich ein großer Spiegel mit einem „We Are Watching You”-Graffiti) führen nach unten in einen kleinen Clubbereich. Die Bar ist verziert mit blauen Blinklichtern und es werden diverse Schnäpse, Prosecco und alkoholfreie Getränke ausgeschenkt. Ein DJ legt Techno auf und ein Cocktail-Empfang soll die Leute locker machen.

„Gegen Mitternacht wird dann ein Schalter umgelegt—die Lichter gehen aus und die Klamotten verschwinden”, erzählt mir ein Stammgast. Die wechselnde Stimmung ist definitiv spürbar. Für diejenigen, die sich mit Sexpartys nicht wirklich auskennen: Das deutlichste Anzeichen ist wohl der graduelle Übergang von einer scheinbar normalen Clubnacht zu einer Fülle von aufgepumpten und behaarten Typen, die Frauen in unglaublich teurer Unterwäsche weghämmern.

Zwei Frauen mit Katzen- und Teufelsmasken spazieren stillschweigend durch das Zimmer. Sie bleiben vor einem Pärchen stehen, befummeln den Typen kurz verführerisch und gehen dann weiter. Frauen haben hier definitiv das Sagen, aber so sehen es die Regeln ja auch vor. Bei Torture Kittens darf trotzdem jeder mitmachen. Unten an der Bar sitzt ein dicker Typ im Kleid und schlürft Champagner, während ein anderer Mann in Jackett, roten Leder-Hotpants, Strumpfhosen und Strapse von seiner Freundin an einer Kette herumgeführt wird. Im Whirlpool ist ein volltätowierter Typ in Sergeant-Pepper-Jacke mit zwei Frauen beschäftigt—seine Erektion gleicht dabei einem Fahnenmast, der weit in den Himmel ragt.

Man könnte annehmen, dass man klar zwischen den Killing-Kittens- und Torture-Gardens-Anhängern unterscheiden könnte und bei manchen doch sehr extravaganten Outfits gerät man leicht in Versuchung, über die Zugehörigkeit der Leute zu rätseln. Das ist allerdings schwerer, als man denkt.

„Wir dachten, dass hier jeder auf der Killing-Kittens-Seite sei”, sagt Rob. Es hat den Anschein, als würde er über Fußballfans reden. „Es sind aber wirklich viele TG-Leute am Start. Wir sind aber im Team KK.”

„Frag die Leute lieber nicht, ob sie zu TG oder KK gehören”, weist mich ein angestrengt wirkender Typ an—seine Augen schießen dabei wie bei einem Tennis-Match von links nach rechts. „Man sollte lieber schauen, wo die Musik besser ist. Hier ist der DJ schon ganz gut.”

Er macht den Eindruck, als kenne er sich im Nachtleben gut aus. Ein anderer Mann in einem unfassbar teuren und transparenten Jackett und Designer-Jeans wird von zwei Frauen mit glänzenden Haaren, distanziertem Blick und schimmernden Dessous flankiert—die stinkreichen und internationalen Halbwelt-Mitglieder, die sich sexuell auslassen wollen, sind hier wirklich überall zu finden.

Rob und seine rote Unterwäsche tragende Freundin Cressida sind freundlich und genau die Art Pärchen, die man bei einer solchen Veranstaltung erwarten würde: Rob ist Anfang 20, wunderschön, schick und muskelbepackt; Cressidas blondes Haar ist hübsch geschnitten und könnte auch zu einer Vogue-Praktikantin gehören, die ihre Freizeit auf einem Gestüt verbringt.

Ich frage, ob sie schon mal bei Torture Garden waren.

„Noch nicht. Wir wollten eigentlich zum Valentine’s Ball hingehen, aber Cressie wollte dann doch lieber zu Hause bleiben und Wie ein einziger Tag anschauen”, antwortet Rob. Er zuckt mit den Schultern. „Eine Orgie war ihr anscheinend nicht romantisch genug.”

Hier wird es jedoch ziemlich schnell romantisch: Nach Mitternacht sind alle nackt und wollen sich kennenlernen. Oben haben sechs Pärchen auf dem großen, schwarzen Bett Sex und sie werden dabei von den umstehenden Leuten beobachtet—so als ob es sich um einen Publikumssport handeln würde. Unten machen sich zwei Asiatinnen abwechselnd mit ihren Mündern und ihren Zungen an einem Typen auf Drogen zu schaffen, der Designer-Boxershorts und eine Boyband-Frisur trägt. In Mistress Morrigan Lairs Kammer ist ein fetter Kerl im Ledertanga auf eine Art Pferd gespannt, wie man es aus dem Sportunterricht kennt, und wird mit einem Lederpaddel verhauen. Zwei Schwule machen in der Ecke rum und ein anderer Typ liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden und leckt die teuren Louboutin-Stiefel seiner Herrin ab.

Es ist wirklich überraschend, wie schnell man sich an die neuen Gepflogenheiten einer solchen Veranstaltung gewöhnt. Raumübergreifender Sex ist für Neulinge anfangs vielleicht noch etwas befremdlich, aber schon bald ist das Ganze völlig normal und man interessiert sich immer mehr für die Beschaffung der PVC-Hosen seiner Mitmenschen. Die bloße Existenz einer solchen Party ist ein wichtiger Impuls für Englands Hauptstadt, wo sittenstrenger Konservatismus und die Interessen von Projektentwicklern zu einer langsamen Säuberung geführt haben, und London damit weit hinter Europas Dekadenz-Zentren wie Berlin oder Amsterdam zurückgefallen ist.

Später treffe ich Courtney in einer dunklen Ecke des Clubs wieder. Sie zeigt mir ihre Reitgerte. Das Lederende ist abgerissen: „Ich habe meine Peitsche kaputt gemacht, als ich jemanden damit verhauen habe. Diese Dinger halten heutzutage einfach nichts mehr aus!”

Vielleicht handelt es sich dabei einfach nur um Berufsrisiko. Wenn man sich jedoch den Erfolg der heutigen Nacht ansieht, dann wird sich Torture Kittens auf jeden Fall etablieren und weiterhin hart zulangen.