Die Aussicht ist atemberaubend, das Bett ist weich, der Weißwein auf angenehme 8 Grad heruntergekühlt. Ich hab die Suite bekommen, zu viele Stornierungen wegen Corona. Die Wände des Hotelzimmers bestehen aus Glas und geben den Blick auf den Hamburger Hafen frei. Hochhäuser, Containerschiffe und jede Menge Baukräne. Irgendwo da unten stand ich wahrscheinlich, als ich das letzte Mal in Hamburg war, zum G20-Gipfel. Damals lauschten die Staatsgäste aus aller Welt einige Etagen tiefer Beethovens Sinfonien, während ich mich in dunkler Kleidung durch die Gassen trieb. Weitere Details verschweigen wir lieber, schließlich saßen mehrere Beschuldigte monatelang in Untersuchungshaft, aufgrund des reinen Verdachts, damals an spontanen Demonstrationen teilgenommen zu haben. Für einen Flaschenwurf bekommt man in Hamburg dann gerne mal vier Jahre Haft aufgebrummt. Dann doch lieber den letzten Tropfen aus der Weißweinflasche in das Glas kippen.
Aber was war geschehen in der Zwischenzeit? Wie konnte ich es vom Bordstein an die Skyline schaffen? Vom Schlafsack in der Küche eines studentischen WG-Zimmers auf St. Pauli in die Suite des Westin Hotels in der Elbphilharmonie? Etwa durch ehrliche Arbeit, wie sie Jeff Bezos, Uli Hoeneß und Carsten Maschmeyer vorgelebt haben? Natürlich nicht. Um so einen rasanten Aufstieg hinzubekommen, lohnt es sich immer noch am meisten zu lügen und zu betrügen. Und da es mir zum Ausbeuten von Arbeitskräften an Skrupellosigkeit fehlt, beschloss ich, mir einen lange gehegten Kindheitstraum zu erfüllen – und Hotelkritiker zu werden. Wenigstens für eine Nacht.
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Der Hang zum Gratis-Luxus zieht sich durch mein Leben, seit ich meinem Vater als Kleinkind trotzig entgegenrief, dass ich die Schule nicht brauche und auch keine Arbeit, da ich mich von den Käsehäppchen im Supermarkt ernähren könne. “Haha und bis heute hat der arbeitsscheue, linksgrünversiffte Pseudo-Journalist von der Lügenpresse daran festgehalten”, tippt gerade ein sehr einsamer junger Mann aus Dunkeldeutschland in eine Facebook-Kommentarspalte. Die 16 Likes seien ihm gegönnt, ich habe nämlich gerade den Zimmerservice angerufen und eine weitere Flasche Riesling bestellt.
Aber wie ging das eigentlich alles los? Tags zuvor hatte ich mein bestes Outfit angelegt. Den Burberry-Mantel vom Kleiderkreisel, der einst einem Bismarck-Nachfahren gehörte, die Kunstleder-Handschuhe, den gefälschten Gucci-Schal von der Hertha-Auswärtsfahrt nach Bilbao. Man wusste bereits vor meiner Ankunft von meiner Tätigkeit als Journalist, das war klar. Nur von meiner Dreistigkeit hatte man hier noch nicht gehört. Gut für mich. Ich lasse mich vom FlixBus mit dem Taxi zum Hotel fahren, bloß nicht negativ auffallen, auch wenn die Taxifahrt teurer ist als die Anreise aus Berlin. An der Rezeption wird mir mitgeteilt, dass ich ein Upgrade erhalte, aber jetzt bitte nicht zu sehr freuen. Stattdessen versuche ich bereits, krampfhaft irgendwelche Fehler zu entdecken, soll mir niemand später vorwerfen, dass ich meinen Job nicht ernst nehme. Alles wird gescannt. Die aufgereihten Champagner-Flaschen in der Hotel-Bar (passen die in meine Jackentasche?) und die ebenso aufgereihten Kofferträger und Pagen (wie viel Trinkgeld gehört eigentlich in deren Jackentasche?). Aber keine Chance, hier gibt man sich natürlich keine Blöße und ist betont freundlich. Hätte ich mir denken können.
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Angekommen im 12. Stock empfangen mich mehrere herrschaftliche Räume, eine Badewanne, in der man quasi an der frischen Luft sitzt und über die Elbe schaut. Eine eisgekühlte Flasche Weißwein wartet ebenfalls bereits. Verdammt, die wissen, wie man mich ruhig stellt. Aber dann der erste Fauxpas: Der Wein ist alkoholfrei. Als ich die Hotelleitung einige Wochen vorher kontaktiert hatte, um anzufragen, ob sie einem Journalisten seinen Kindheitstraum erfüllen möchten und ihn einen Tag zum Hoteltester werden lassen, sagte man mir, dass man großer Fan der VICE sei. Gar kein Problem also. Und nun das. Alkoholfreier Weißwein. Als ob die Tradition des Gonzo-Journalismus und die harten Drogenprobleme eines Hunter S. Thompsons vollkommen umsonst gewesen wären. Als ob Fear and Loathing in Las Vegas nie gedreht worden wäre. Als ob Artikel wie “Ich war auf LSD und mit 4 Dildos im Arsch auf dem Parteitag der CDU” uns keinerlei vorauseilenden Ruf erarbeitet hätten. Dabei wäre es mir gar nicht aufgefallen ehrlich gesagt, aber schlauerweise habe ich natürlich noch meine Begleitung ins Hotelzimmer geschmuggelt, die offenbar wesentlich mehr von Wein versteht als ich. Wenn schon, denn schon.
Aber noch während ich mich aufregen möchte, fällt mir eine Nachricht ins Auge. Man wünscht mir viel Spaß bei meinem Aufenthalt und jede Menge Erfolg beim “Testen”. Ich verstehe zwar nicht, was die Anführungszeichen da sollen, aber das beiliegende Heftchen mit Informationen über die verschiedenen Vergnügungsoptionen im Glaspalast zwischen HafenCity und Speicherstadt lenkt mich ab. Vom alkoholfreien Weißwein und von der Tatsache, dass meine Schwindelei hier anscheinend nicht vollkommen ernst genommen wird.
Ob ich zuerst in die Sky-Bar gehe oder in die Sauna? Ins Schwimmbad oder ins hauseigene Edel-Restaurant, in dem natürlich nur mit regionalen Zutaten gekocht wird? Ins Fitnesscenter oder auf die Aussichtsplattform? Ach, was soll’s! Was während des G20-Gipfels für die Delegation von Saudi-Arabien genug war, soll mir auch reichen. Also werfe ich mich aufs überdimensionale Bett, drücke die “Express Service”-Taste auf dem Telefon und bestelle einen weiteren Wein, diesmal mit genügend Umdrehungen. Bademantel und Schlappen aus ihrer Plastikhülle befreit und schon kann es losgehen mit dem guten Leben. Nachdem auch diese Flasche ziemlich schnell geleert ist und ich überhaupt keine Lust mehr verspüre, mit weißen Handschuhen auf irgendwelchen Oberflächen nach Staubresten zu suchen oder durch ausgefallene Wünsche das Nervenkostüm der Angestellten zu testen, wird erstmal der Spa-Bereich unsicher gemacht. Sauna, eiskalte Dusche, Sauna, eiskalte Dusche und wieder Sauna. Meinem – in weiter Ferne liegenden – Ziel, in einem teuren Hotelzimmer zu sterben, kann ich auf diese Weise schon mal etwas näher kommen.
So langsam kommt der Hunger. Dass ich mich dafür aus meinem Bademantel schälen muss, gibt zwar erneut ein paar Minuspunkte, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein. Im Restaurant “Fang & Feld” werden wir als “Herr und Frau Sternburg” begrüßt, was zu nervösem Kichern bei allen Beteiligten führt, aber jetzt bloß nicht anmerken lassen, dass man hier eigentlich nichts zu suchen hat und dass meine Begleitung keinen Ring am Finger trägt. Alle zwei Meter werden wir aufs Herzlichste begrüßt und ich werde das Gefühl nicht los, dass man uns beim Betreten des Hotels heimlich markiert hat, so wie es etwa die Polizei in Hongkong mit den Protestierenden macht. Alle im Haus scheinen zu wissen, wer wir sind und was der Grund für unseren Besuch ist. Das widerspricht doch total dem Grundgedanken der gesamten Hoteltesterei! Aber gut, solange man uns weiterhin live am Tisch Cocktails zubereitet und diese auf Rechnung des Hauses gehen, will ich mich nicht beschweren. Gin-Basil-Kreationen, Cocktails auf Rosé-Champagner-Basis, Kürbissuppe mit Jakobsmuscheln und Filet vom Husumer Rind – all das wurde mehrmals durchgetestet und für gut befunden. Bei Gott, das war vielleicht die beste Idee für eine Story, die ich je hatte.
Vollgefressen und angetrunken wanken wir durchs Hotel, Burberry-Mantel und Gucci-Schal habe ich längst abgelehnt, ich bin viel zu zufrieden mit mir selbst und der Gesamtsituation. Statussymbole sind unnötig geworden, ich bin längst eins geworden mit der exquisiten Welt der Luxus-Hotels. Was wird nicht geschimpft von den Kollegen und Kolleginnen über die Zustände im Journalismus, aber vielleicht arbeiten wir einfach alle im falschen Segment. Vielleicht hätte ich die letzten Jahre, statt mich über rechtsextreme Netzwerke in der Polizei, Antisemitismus im Rap oder Neofaschisten in Springer-Medien aufzuregen, einfach für Gourmet-Zeitschriften wie Der Feinschmecker oder das Hotel Owner Magazine schreiben sollen. Was wäre mir nicht alles erspart geblieben. Rund und rotbäckig würde ich durch die Flure der Edelrestaurants und Sterne-Hotels rollen, hier noch ein Drink, dort noch ein Amuse-Gueule, “Guten Tag, Herr Sternburg”, “Natürlich Herr Sternburg”, “Darf es noch was sein, Herr Sternburg?”.
Noch während ich so über mein Leben in Saus und Braus sinniere und mich auf drei bis fünf letzte Absacker an der Hotelbar mit Blick über die nächtliche Stadt niederlasse, piept mein Handy. Meine Tätigkeit als semiprofessioneller Schwindler und Halbzeit-Hoteltester hat sich rumgesprochen, auf Instagram häufen sich die betrunkenen Storys im Bademantel, beim Schwimmen und beim 4-Gänge-Menü. Die meisten wollen wissen, wie ich das angestellt habe, einige sind entrüstet über soviel Luxus, andere versuchen, mich zu erpressen. Wenn ich meine Street-Credibility nicht verlieren möchte, soll ich lieber noch auf ein Bier im Späti an der Sternschanze rauskommen. Aber gar kein Bock. Ich bin mit Kohleofen und Außenklo in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, wer denkt, Luxus sei für Kapitalismuskritiker verboten, der macht auch Witze über systemkritische Tweets, die von iPhones abgeschickt wurden. Aber genug der schweren Themen, hier soll es heute ums Savoir-vivre gehen.
Selbstzufrieden und voller Stolz über meine halbprofessionelle Schummelei lehne ich mich in meinem bequemen Sessel zurück, als mir eine weitere Nachricht auffällt. Ein Link zu einem Artikel. “Um kostenlos an teuren Events teilnehmen zu können, soll sich ein Mann jahrelang als FAZ-Redakteur ausgegeben haben” steht dort. “Zu Gucci und in die Staatsoper” sei der 61-jährige Mann durch seine Betrügereien gekommen. Er habe Dinner mit Starköchen besucht, Eröffnungen von Modeboutiquen beigewohnt und sei generell ein in Hamburg zwar bekannter aber nicht gern gesehener Gast gewesen, der es zu seiner Spezialität gemacht hatte, sich ohne Einladung einzuschleichen.
Ich bin am Ende! Aus der Traum von Deutschlands größtem Hochstapler seit dem Hauptmann von Köpenick und Gert Postel. Während ich Idiot als Journalist arbeite und mich als Hoteltester ausgebe, hat dieser Mann sich einfach direkt als Journalist ausgegeben, wie clever ist das bitte? Hier habe ich ganz offenbar meinen persönlichen Meister gefunden und das, als ich mich gerade auf dem Gipfel wähnte. Ein unwürdiger, junger Padawan, der sich mit einem schönen Ausblick, einem Spa-Besuch und hervorragendem Essen und Drinks abspeisen lässt. Während andere Größen ihres Fachs mit Goodie-Bags von Cartier oder Jaguar nach Hause gehen, bleiben mir am nächsten Morgen nach dem Frühstück nichts als ein paar köstliche Popcornreste mit Karamell-Überzug in der Pulloverfalte übrig.
Ach, übrigens: Falls das jemand aus dem Westin Hotel liest, von dem Karamell-Popcorn hätte ich gerne zwei bis vier Kilo aufs Zimmer geschickt. Also aufs Zimmer meiner Wohnung, in die ich inzwischen leider zurückkehren musste. Falls das nicht möglich ist, nehme ich eine erneute Einladung, um vielleicht auch noch die Präsidenten-Suite zu testen, herzlich gerne an. Man lernt schließlich nie aus.