Ich war mit 25 das erste Mal auf einem Festival

Dass ich das Konzept Festival nie ansprechend fand, kann man hier nachlesen. Ich mag ja nicht mal Konzerte. Nicht, weil ich Musik hasse, sondern weil ich Menschenmassen und überteuertes Bier hasse, um es kurz zusammenzufassen. “Camping” ist für mich ein Wort, das in der selben Kategorie wie “Aufräumen” oder “Lernen” ist. Dieses Wochenende war ich auf dem Openair Frauenfeld – ein HipHop-Festival in der Schweiz, mit Headlinern wie NAS, The Weeknd, Travis Scott, aber auch deutschen Größen wie Marteria, Raf Camora, Fler und Bushido – und habe dort auch gezeltet.


Es gibt ein christliches Woodstock:

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Da Rap meine allerliebste Lieblingsmusik ist, stand für mich schon seit meinem 18. Lebensjahr fest, dass ich eines Tages das splash! oder das Frauenfeld besuche. Warum ich mich im Jahr des 20. Geburtstages vom splash! fürs Frauenfeld entschieden habe, ist mir im Nachhinein etwas schleierhaft, aber OK. Wahrscheinlich war mit ein Hauptgrund, dass ich jedes Mal, wenn ich in Zürich bin und die Männer sehe, starke Auswanderungsgefühle schiebe. Ernsthaft. An alle Wesen, die auf Typen stehen: Die Typen dort sind sowas von supercalifragilisticexpialigetisch schoaf. Sie sind allen Männern auf der ganzen Welt genetisch überlegen, wie das Fredi-Institut für internationale Schoafheit herausgefunden hat. Ja, sogar der Dialekt triggert einiges in meiner verkorksten – nennen wir es – Seele. Es ist der Ostblock der Männer und ich rate jedem, mal Zürich zu besuchen und sich satt zu sehen.

Jedenfalls beschenkte ich meine Jugendfreundin mit einem Ticket und mich selbst auch. Ich werde nicht lügen: Ich hatte Angst. Und ich war unvorbereitet. Generell musste ich mir alles ausborgen und die Information, dass ich Campen fahre, hat schnell seine Kreise gezogen. Während mir meine deutsche Jugendfreundin drei Wochen vor dem Festival zwei A4-Zettel gegeben hat, wo auch so Sachen wie “Zahnbürste”, “Schlafsack” und “Matte” draufstanden (An dieser Stelle: Danke fürs Vertrauen) hat meine beste Freundin so reagiert: “Oh mein Gott. Ein Festival kann so scheiße sein, wenn man nicht vorbereitet ist, ich war schon so oft unvorbereitet. Hast du eh ein Schlafsack? Ohne Schlafsack ist so scheiße. Hast du auch ein Zelt?”

Das Openair Frauenfeld hat eine Umfrage gepostet und die Alterskategorien sagen wohl alles. Screenshot von der OAF-Umfrage.

Ich merkte also relativ schnell, dass meine Umgebung indifferent ist, was Festival-Erfahrungen betrifft. Die einen fahren ohne allem einfach hin, die anderen packen 26 Kilogramm in einen Rucksack und nehmen Camping-Sessel mit – so wie auch meine deutsche Begleitung, die wir jetzt Corinna nennen. Corinna hat einen ernsthaften Job und deshalb ist der Name geändert. Wo ich einzuordnen bin, weiß ich nicht so recht, jedenfalls hatte ich einen Schlafsack und eine Isomatte. Aber keine Kopfbedeckung und keine Sonnencreme. Trotzdem war mein Rucksack wirklich schwer und seitdem habe ich den felsenfesten Plan, niemals 20 Kilo zuzunehmen. Wir waren uns eigentlich fix sicher, dass wir das Ficker-Zelt haben werden: Immerhin haben wir Campingsessel und einen Tisch mitgeschleppt.

Das Wetter war super, also viel zu super. 34 Grad ohne Wolken sind ganz schön heiß und mit zwei über 20 Kilo Rucksäcken durch Frauenfeld zu wandern, ist ziemlich viel Arbeit. Das Zelt aufzustellen auch. Neben uns am Zeltplatz war der Altersdurchschnitt 15 Jahre und das ist ja noch voll in Ordnung, nur: Sie hatten alle viel bessere Zelte als wir. Sie hatten Pavillons mit und so ein Grill-Ding und überhaupt waren diese Rotznasen eingerichtet, als wäre es das Einfachste der Welt, für drei Tage auf einem Feld zu leben. Corinna und ich waren schrecklich bestürzt, da wir wirklich alles auf dem A4-Zettel mithatten und es anscheinend trotzdem nicht genug war, um in der Top 10 mitzuspielen.

Findet ihr nicht, dass die Haare so “PULL ME” schreien?

Wir wurden im Zug vorgewarnt : Schweizer seien nicht so herzlich und offen wie Österreicher. Während man also am Nova Rock oder Frequency komplett abgestürzte Gruppen findet und sich komplett abgestürzt mit ihnen befreundet, hat sich unser menschlicher Kontakt auf Menschen, die nicht aus der Schweiz sind, begrenzt. Das waren hauptsächlich Deutsche und Österreicher. Wirklich, wir haben in diesen drei Tagen mit keinem Schweizer gesprochen. Nicht, weil wir nicht wollten, sondern weil wir kaum richtig besoffene Menschen gesehen haben und ergo die österreichische “Herzlichkeit” gefehlt hat.

Bei einem Preis von acht Euro fürs Bier ist es auch kein Wunder, dass ein Rausch schwer zu erreichen war. Außerdem gab es vom Festival aus die Regel, dass man nicht mehr als drei Liter Flüssigkeit (in meiner Welt also ausschließlich Alkohol) mitnehmen durfte. Das hat meinen gesamten Rauschplan durcheinander gebracht und in weiterer Folge auch meinen Finanzplan. Der Finanzplan lautete so: So viel saufen wie möglich, um so wenig Geld wie möglich. Ich dachte, dass macht ein Festival irgendwie auch aus.

Eine weitere “So ist ein Festival, dachte ich”-Enttäuschung kam, als ich mir die Menschen ansah. Nicht nur, dass sie alle sehr, sehr jung waren (auf dem Festival waren mehr Teenager als Erwachsene). Sie sahen auch alle gleich und aufgetakelt aus. Das triggerte unsere 25+-Komplexe und unsere leichten Gesichtsfalten wirkten wie Furchen. Die cellulitelosen Schenkel in einer Highwaist-Hotpant, oben ein Calvin Klein-Sport-BH, sowie diese Boxerzöpfe und Chocker waren überall. Der Mensch ist ein vergleichendes Wesen und wir mussten feststellen, dass wir nicht in der Top 10 der schönsten Frauen des Festivals waren, was uns zeitweise ein bisschen traurig gemacht hat. Außerdem mussten wir feststellen, dass HipHop und Rap nicht mehr dasselbe sind wie damals. Heute gehört die Musik jungen Basic Bitches und Boys, die genauso ins VIEiPEE feiern gehen könnten. Keine abgefuckten Baggypants und keine Systemkritik. Mehr so Markenkleidung und Wohlstandsverwahrlosung.

Wäre ich 15 oder 16, ich hätte mich damals sicher auch aufgetakelt und vor dem Festival ein Monat gehungert. Ich will also überhaupt nicht über die Jugend schimpfen. Wir sind aber 25+ und wie wir auf einem Festival aussehen, ist uns zum Glück scheißegal geworden. Halt zumindest, bis der nächste pralle und glatte Arsch bei uns vorbeilief und wir schmerzlich an unsere Sterblichkeit erinnert wurden. Oder, als wir in der Früh bei den Klos anstanden und fast jedes Mädchen schon einen perfekten Eyeliner und rote Lippen hatte. Wir hatten eine Mascara mit und funktionale Camping-Kleidung, was uns wirklich ein bisschen zu alten Schachteln gemacht hat. Nach diesen vier Tagen muss ich mir jedenfalls keine Modezeitschrift kaufen oder Instagram checken, ich weiß ganz genau, was cool ist: Boxerzöpfe, Highwaist-Hotpants, Sport-BHs und Choker. Außerdem ist es auch noch immer super cool, Duckface-Snaps in der Crowd zu machen.

Das bin ich mit meiner Chia-Samen-Acai-Bowl und meinem vier Sterne Hotelzimmer.

Abgesehen von der Kleidung waren die Menschen unhomogen, was ich dem Booking zuschreibe. Neben 15-jährigen Cloudrap-Hörern waren auch 20-jährige Cro-Fans da, sowie “alte” HipHopper, die bei NAS abgegangen sind (wahrscheinlich, ich hab NAS verschlafen). Was sie wiederum vereinte: Sie waren alle ärgstens bekifft. Es hat überall nach Gras gerochen, was eh mehr als OK für ein HipHop-Festival ist, aber sich irrsinnig auf die Grundstimmung eines Festivals schlägt. Wenn es 32 Grad hat und mehrere tausend Leute seit acht Uhr in der Früh kiffen, dann eskaliert es einfach nicht so, wie wenn sie Bier gefrühstückt hätten. Das Hauptrauschmittel eines Festivals macht vermutlich den Flair aus: Gras macht keinen besonders kommunikativen oder aktiven Flair. In Österreich wäre das auch nicht passiert, da Festivals mit einem Wettkampf – wer als erstes alkoholkrank wird – gleichzusetzen ist. Laut meiner Bubble zumindest. Gekifft wird trotzdem eh auch – aber eben nicht nur.

Da ich keinen Sonnenschutz bei mir hatte und bereits am ersten Tag die gesamte Mittagssonne auf meinem alten, faltigen Luxuskörper genießen konnte, hatte ich relativ schnell einen Sonnenstich. Das hat mich eigentlich eher gefreut, da sich das erste Bier wie das dritte angefühlt hat und dieser Effekt den ganzen Nachmittag anhielt. Das resultierte darin, dass ich am ersten Tag und am besten Booking-Tag um 21:30 Uhr ein Nickerchen machen wollte und am nächsten Tag aufgewacht bin. Bis zum Zeitpunkt des Einschlafens, bin ich verwirrt am Gelände herumgerannt. Wir haben alles verpasst, was relativ normal ist, wie meine Instagram-Freunde mir sagten. Aber da die Jungs zu jung waren und das Bier zu teuer, hat es uns in eine mittelschwere Krise gestürzt nicht Travis Scott oder Marteria erlebt zu haben.

Am zweiten Tag war es bewölkter und ich fand das beste Festival-Wetter für mich: Bewölkt, aber warm. Zu diesem Zeitpunkt haben Corinna und ich angefangen, den Regentanz zu tanzen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch bereits 150 Franken ausgegeben, da auch das Essen schrecklich teuer war. Wir hatten eh Chips und Blödsinn mit, aber an den ganzen duftenden Essenständen vorbeizugehen, ohne dir auch einen dünnen Scheiß-Crepe um motherfucking zehn Euro zu gönnen, ist menschlich nicht möglich. In meinem Artikel, warum ich niemals auf ein Festival gehen würde, ist auf jeden Fall ein Punkt, dass man finanziell groß verarscht wird. Und Überraschung: Ich hatte vollkommen recht. Wie immer.

Man zahlt das Ticket, dann zahlt man Bechereinsätze, dann zahlt man viel zu teueres Essen und Bier. Als Dank darf man im eigenen Zelt schlafen und Dixie-Klos verwenden. Natürlich, die Schweiz ist nicht EU und auch nicht Österreich: Aber versteht ihr meinen Punkt? Samt Equipment und allem drum und dran, kostet ein Festival-Besuch so viel, wie ein einwöchiger All-Inclusive-Urlaub in der Türkei in der Reisewarnungszeit. Realistischerweise sieht man in einer türkischen All-Inclusive-Anlage mehr vom Land, als auf einer platten Wiese, auf der man, auch Dank der Mittagssonne die Hälfte aller Acts verpennt.

War der Schal eventuell zu patriotisch? Ich werde es nie erfahren.

Ich hätte mir erwartet, dass zumindest die 16-jährigen in den Zelten sich vernetzen und – keine Ahnung – Flaschendrehen spielen, sich ankotzen oder was die Jugend heute halt so macht. Aber es wurde dort alles getrennt gemacht, was mich ein bisschen enttäuscht hat. Ich dachte auf Festivals geht es um das kollektive Besäufnis. Das ist mir wirklich abgegangen, nicht nur weil ich die Hoffnung hatte, eine Gruppe zu finden, die ständig kühles Bier hatte. Was schon vorkam: Der legendäre “HELGA”-Ruf, den ich schon immer mal live erleben wollte. OK, beim vierten Mal fand ich es dann auch schon wieder nicht mehr so lustig, aber immerhin. Festival-Experience.

Am zweiten Tag waren wir auch duschen. Ich weiß eigentlich nicht mehr, warum wir das getan haben, aber wahrscheinlich haben wir auf eine belebende Energie gehofft und auch, weil wir auch mal gut aussehen wollten. Es war wirklich sehr ekelhaft, sowie es auch alle immer gesagt haben. Ich habe es trotzdem gemacht und ja, ich habe es bereut. Außerdem schafften wir es, bis Mitternacht aufzubleiben. Da bin ich sehr stolz drauf, weil ich ja noch immer einen Sonnenstich hatte und mir das Geld für einen richtigen Rausch leider fehlte. Deshalb entschied ich mich dazu, den Wein, der zwei Tage bei 34 Grad gelagert wurde, zu saufen. Es war ekelhaft und ich war leider auch davon nicht so richtig betrunken. Ich habe auch gegrillt, irgendwann abends, weil es da so eine Area gab, wo man das tun konnte. Überhaupt war das Festival organisatorisch eigentlich eh ganz nett und die Klos anscheinend sehr sauber.

Dame war der Überraschungsact. Echt ziemlich stabil.

Am dritten Tag haben wir wieder am Abend fast alles verschlafen und uns Mittags einfach im Schatten versteckt. Außerdem hatte ich die Einsicht, dass mein Österreich-Schal, den ich eigentlich aus REPRESENT-Gründen mitgenommen habe, eventuell extremen Nazi-Swag hatte und wir vielleicht deshalb nicht allzu viele Freunde gefunden haben. Die Acts, die wir gesehen haben, lassen sich auf zwei Händen abzählen. Die meisten waren gut. Yung Hurn, Cro und Lil Dicky waren leider scheiße. The Weeknd, Flatbush Zombies, Ufo 361, 187 Strassenbande und Dame waren eigentlich ur super.

Zelten hat mich dann im Endeffekt nicht so fertig gemacht, wie ich es mir gedacht habe. Was mich fertig gemacht hat: Keine kotzenden Leute zu sehen, nicht viel Gelächter zu hören und junge, aufgestylte Menschen zu sehen, wie sie fünf Gramm pro Stunde verrauchen, um wie auf Hero in der Nachmittagssonne herumzuwandern. Versteht mich nicht falsch: In meiner Vorstellung ist ein gutes Festival ein Kennenlernen und rauschig sein und ein schlechtes eines, wo das Wetter oder das Equipment nicht mitspielt. Dieses Festival passte in keins der Extreme. Mir wurde auch bewusst, wie schrecklich abhängig vom Wetter wir in der heutigen Zeit leben: Auf einem Camping-Platz ist das Wetter dein Gott und es bestimmt die Stimmung und auch deine Laune. Deinen Schlaf sowieso.

Schlussendlich habe ich noch dazu zwei Kilo zugenommen, weil ich wirklich die ganze Zeit nur Bullshit gefressen habe. Aus Altersfrust, aber auch wegen Munchies. Das Festival war trotzdem sehr cool, ich habe die meisten der Künstler, die ich sehen wollte auch gesehen. Jeden Tag zu Rap aufzustehen, weil alle ihn gespielt haben, war auch voll OK: Wir hatten Spaß und keine gröberen Probleme. Ich hätte nur gerne mehr Menschen kennengelernt und wäre lieber jeden Tag dauerhaft besoffen gewesen, um ehrlich zu sein. Ich verstehe jetzt aber auch die Faszination Festival. Es war wie eine eigene kleine Stadt, mit Menschen, die dieselbe Musik wie du hören. Eventuell fahre ich eines Tages wieder auf eines, aber es wird in Österreich sein und ich werde fünf Paletten Bier mitnehmen. Und ich werde vorher checken, ob der Altersdurchschnitt eh 18 übersteigt.

Fredi hat Twitter: @schla_wienerin.

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