Ich war mit meiner Oma beim Pratersauna-Closing

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Folgendes hat sich am Donnerstag nach dem Pratersauna-Closing auf der WU zugetragen: „Zugegeben, ich war psychisch, geistig und eigentlich auch mental nicht immer vollständig anwesend letztes Wochenende in der Pratersauna, aber kann es sein, dass deine Oma da war?“ Wie Constantin, einem Freund von mir, ging es vielen beim Pratersauna-Closing. Meine Oma war nämlich wirklich ganz vorne mit dabei. Fangen wir bei der Geschichte aber doch von vorne an:

29. Jänner, Freitag Nachmittag

Ich saß mit meiner Oma im Kaffeehaus. Als ich ihr erzählte, was meine Pläne für den Abend waren, fragte ich sie (ehrlich gesagt aus Spaß), ob sie mich nicht begleiten möchte. Ich argumentierte, dass es die letzte Chance sei das Wohnzimmer der heutigen Mittzwanziger-Gesellschaft kennenzulernen und abgesehen davon, dass sie ein historisches Ereignis der Wiener Technoszene verpassen würde. Es ist schlicht und ergreifend das Ende einer Ära. Sie winkte lächelnd ab und murmelte etwas von „dafür sei sie doch wirklich zu alt“ und „was die Leute von ihr denken sollen“. Ich beließ es dabei.

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Der Tag darauf, Samstag Mittag: „Also ich ärger mich scho‘ a bissl, dass ich nicht mitgegangen bin“, sagte sie zu mir bei einem gemeinsamen Familienessen. Die Gasometer(-Raves) hat sie auch nie gesehen und ärgert sich heute noch (Umbau 1998). „Trifft sich gut, die Pratersauna hat nämlich am Sonntag Nachmittag auch geöffnet!“, erwiderte ich mit einem Grinsen, weil mir klar war: Aus der Nummer kommt sie nicht mehr raus. So war es dann auch: Am Samstag gegen Abend checkte ich noch einen „Nicht-anstellen-Seniorenbonus“ mit den Securitys ab (an dieser Stelle nochmal vielen Dank—ich mag euch) und am Sonntag, 19:30 Uhr, war es dann so weit: In ihrem 76 Jahre langem Leben wurde meiner Oma zum ersten Mal ein Stempel auf das Handgelenk gedrückt.

Erste Station: Saunafloor

Mit beiden Händen den Gymbag meines Bruders umklammernd, trippelte sie hinter ihm her durch den engen Gang zum hellsten Floor des Clubs, wo die Chance auf melodischen Techno noch am größten war—so weit die Gedankengänge von meinem Bruder und mir. Vorne links neben dem DJ Pult stand sie da nun, eine Bierflasche in der Hand und sah sich mit großen Augen um. Ich erklärte ihr, was das leuchtende Ding mit den kleinen Rädchen vor dem Mann mit den großen Kopfhörern ist und zeigte ihr die Lichtspiele an der Wand. Als sie meine Hand nahm, dachte ich zuerst, dass es vielleicht doch zu viel für sie sei. Die Lichter, das Gedränge, die laute Musik. Als sie mir aber „Es ist sehr schön da! Bleib aber bitte bei mir stehen, sonst halten mich alle für eine komische alte Frau.“, ins Ohr schrie, wurde mir klar, was ich noch gar nicht bedacht hatte: Sie befürchtete, nicht akzeptiert zu werden.

Ein für mich absurder Gedanke, dass irgendjemand gerade hier für komisch oder verrückt abgestempelt werden würde. Also zeigte ich ihr, was ich an der Pratersauna so liebte: Die Offenheit aller. Nach den ersten Leuten, die ihr die Hände schüttelten und Fotos machten, kam der Breaking Point: Ein großes hübsches Mädchen mit dunklem Lippenstift schwebte auf meine Oma zu, drückte ihr ohne Vorwarnung einen Kuss auf die Stirn, gab mit großen Pupillen–ääh ich meine natürlich großen Augen—ein „so schön!“ von sich und schwebte weiter. Die Frage, ob ich sie kenne, verneinte ich zögerlich.

Meine Oma sah mich einen Moment leicht verwirrt an und fing dann so zu lachen an, dass sofort klar, dass auch sie ihr Herz an die Pratersauna und ihre Besucher verloren hatte. Aus Mitwippen wurde Tanzen und aus Händeschütteln Smalltalk, man konnte ihr richtig zusehen, wie sie „eine von uns“ wurde. Nachdem viele Lachtränen geflossen waren, weil sich ein Typ, man möchte meinen für sie, das Shirt auszog und seinen schönen muskulösen Rücken präsentierte, entschieden wir: Sie ist bereit für den Bunker. Als mein Bruder sie vorwarnen wollte, weil lauter, enger, dunkler und vor allem härtere Musik, hörte sie gar nicht mehr richtig zu: „Mein Lieber, das ist alles kein Problem. Gehen wir endlich.“ Sie drehte ihn mit beiden Händen um, klammerte sich wieder an seinen Rucksack und sah mich erwartungsvoll an.

Zweite Station: Bunker

Wir steuerten wie immer den Gang rechts zur Tür an, dort hatte man einen guten Blick und trotzdem Platz zu tanzen. Dort angekommen war von der anfänglichen Unsicherheit keine Spur mehr da. Sie lachte viel, schwenkte das Bier von links nach rechts und küsste uns auf die Wangen. „Wenn du magst, können wir etwas in die Menge reingehen?“, fragte ich. Als Antwort bekam ich ein heftiges Nicken, sie nahm mich an der Hand und ging vor. Und dann kam mein Sauna-Moment: Bunker erste Reihe. Dunkel, eng, laut, Friedrich Locke spielt einen Remix von No Eyes and the Beat Drops und meine wunderbare Nonna war dabei! Das war der Moment, als Constantin sie gesehen und kennengelernt hat. Eigentlich verständlich, dass er seinen Augen nicht ganz traute, als er sah wie Leute hinterm DJ Pult anfingen, einer kleinen, süßen 76-jährigen die Hand zu geben. Sage und schreibe zweieinhalb Stunden genossen wir gemeinsam die Musik, die Menschen, die Atmosphäre. Nach einem Getränkestopp zwischen Glashaus und Mainfloor zeigte ich ihr, wo es in der Pratersauna im Sommer den 5 Uhr Tee gab.

Letzte Station: Garten

Sie stand einen Moment ruhig da und lächelte mich an. „Ich kann wirklich verstehen, warum ihr hier alle so gern herkommt. Ihr seid so vielen Reizen ausgesetzt, ich mein ich hör ja nicht mal Radio. Aber ihr, ihr habt euer Handy, das Internet, alles geht immer ganz schnell und auf euch lastet der Druck, dass ihr die nächste Generation seid. Wenn ich so unter Stress stehen würde, dann käme ich auch hierher, nur um zu tanzen und Freude zu haben. Hier kann jeder sein, wie er möchte, ganz egal wie man aussieht, was man anhat oder wie man tanzt. Hier wird jeder akzeptiert, wie er ist.“ Wahnsinn, dachte ich. Sie hatte ‚das gewisse Etwas‘ der Pratersauna sofort erkannt. Als ich sie umarmte, fügte sie noch hinzu: „Tut mir wirklich leid für dich, dass das hier zumacht.“

Um kurz nach 22:00 Uhr standen mein Bruder und ich vor dem Eingang und winkten ihrem kleinen roten Golf hinterher. Eine Geschichte, die wir unseren Enkelkindern erzählen werden.

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