Ich habe mir früher oft Sorgen gemacht, was mal aus mir werden soll. Aber hätte ich damals gewusst, dass ich mal Praktikant in einer Partei sein werde, die gegen Migration, Klimaschutz und den Islam Stimmung macht—ich hätte mich geschämt. Andererseits wollte ich aber schon immer mal in die Haut des Bösen schlüpfen: Als Spion im Berliner Abgeordnetenhaus AfD-Luft atmen und das ausländerfeindliche, populistische Gesicht der Partei entlarven.
Mein “Vorgesetzter” begrüßt mich im Foyer des Abgeordnetenhauses zu meinem “ersten Arbeitstag bei der AfD”. Ich denke: Oh je.
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Ronald Gläser, Abgeordneter der Berliner AfD. Militärischer Haarschnitt, vernarbtes Gesicht, die obersten Knöpfe seines Hemdes sind geöffnet, den Schlips “verachtet” er. Der 42-Jährige arbeitete als Journalist für die rechte Zeitung Junge Freiheit, war bis 2007 Mitglied der FDP, ist heute Abgeordneter und Parteisprecher der Berliner AfD—und für einen Tag mein Chef.
Die AfD sitzt seit einem Monat mit 24 Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus. Laut Umfragen könnte die AfD bei der Bundestagswahl 2017 zwischen 10 und 15 Prozent der Stimmen bekommen, und wäre damit drittstärkste Kraft im Bundestag. Sie sitzt jetzt schon in 10 von 16 Landtagen, in Sachsen-Anhalt bekam sie 24,2 Prozent der Stimmen, in Mecklenburg-Vorpommern 20,8 Prozent und in meinem ach so liberalen Berlin 14,2 Prozent. Strategien wie Kleinreden oder Ausgrenzen ziehen nicht mehr.
Dass meine Bewerbung für ein eintägiges Praktikum bei der Berliner Pressestelle der AfD angenommen wurde, hat mich überrascht. Erst vor wenigen Wochen hat die AfD in Baden-Württemberg die Presse auf dem Parteitag ausgeschlossen. Und es würde nur ein paar Klicks dauern, um herauszufinden, wie ich über die AfD denke.
Gläser kündigt im Voraus eine Untersuchung an—er wolle mich nochmal googlen, um ja keinen von der falschen Seite ins Boot zu holen. Aber offensichtlich ist die Untersuchung potenzieller Mitglieder bei der AfD nicht besonders sorgfältig.
“Die denken 1933 steht vor der Tür”
Ich fahre mit Ronald Gläser im Aufzug ins Dachgeschoss. “Die anderen Fraktionen haben uns in den fünften Stock abgeschoben, damit wir denen nicht über den Weg laufen”, meint er. Vor einem Monat übernahmen die AfD-Abgeordneten die Büros der ehemaligen Piraten-Fraktion. Eine Mitarbeiterin der AfD witzelt: “Ich habe ewig gebraucht, um den Dreck aus den Büros zu bekommen. Und das Blut!” Der Piratenpolitiker Gerwald Claus-Brunner hatte im September erst einen Bekannten und dann sich selbst getötet—in einer Berliner Wohnung, nicht im Abgeordnetenhaus.
Die anderen Parteien im Abgeordnetenhaus haben die AfD nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Im Juni unterschrieben sogar alle Fraktionen den “Berliner Konsens”. Darin erklärten sie, dass die AfD als rechtspopulistische Partei nichts im Abgeordnetenhaus zu suchen habe. Geholfen hat das nicht. Die AfD wird das Haus für fünf Jahre nicht mehr verlassen. Gläser erzählt über betretenes Schweigen im Aufzug, wenn ein SPDler auf einen AfDler trifft. “Die denken 1933 steht vor der Tür”, sagt er. Aber er sagt, dass die anderen in fünf Jahren begriffen haben werden, dass die AfD eine Partei aus der Mitte der Gesellschaft ist.
Raum 526, “mein” Büro für einen Tag. Nirgendwo hängt der rote Pfeil der AfD. Alles sieht ernüchternd normal aus. Gläser serviert Mineralwasser und Gummibärchen. Auf eine Kaffeemaschine habe man sich parteiintern noch nicht einigen können, erklärt Gläser. Er selbst stimmte für einen Vollautomaten, doch der sei den andern zu teuer.
“Wir segeln auf einer riesigen Welle des publizistischen Interesses”
Zur Einführung meines Praktikums im Presseteam der AfD erhalte ich einen Lagebericht. “Wir segeln auf einer riesigen Welle des publizistischen Interesses”, eröffnet mir Gläser begeistert, “da ist ein Hunger, der nicht zu stillen ist.” Im Prinzip sei die Medienarbeit ein Selbstläufer.
Besonders wertvoll seien die sozialen Netzwerke, da es dort “keinen Filter” gäbe. Auf Facebook hat die AfD über 300.000 Follower, mehr als die “Volksparteien” SPD und CDU zusammen.
Gläser nennt es den “Reiz des Neuen”, der die AfD umgibt. Den müsse man nutzen, bevor man den Leuten aus dem Hals hänge wie die “Mutti Merkel”. Und er schwärmt weiter: Von den Medien gäbe es mehr Berichterstattung, als er es sich je erträumt hätte.
Je mehr er über das Medieninteresse philosophiert, desto gedemütigter fühle ich mich. Bin ich als Journalist nicht auch mitschuldig, dass diesem AfD-Pressesprecher gerade einer abgeht? Lösen nicht alle, die täglich versuchen die AfD niederzuschreiben und über jeden Pups dieser Partei berichten, eine Welle aus, auf der die AfD immer höher surft? Wir machen uns lustig, aber eigentlich sind wir verängstigt, dass in der AfD so eine Feierstimmung herrscht. Das muss sich ändern. Das ist die erste Lektion, die ich heute gelernt habe.
Aber was ist mit den Skandalen, den Fehltritten, den Entgleisungen der AfD, frage ich Gläser. Schadet die Berichterstattung denn auch dann nicht, wenn Beatrix von Storch auf Kinder schießen oder Andreas Wild öffentlich Burkas verbrennen will? Für den Pressesprecher der AfD alles kein Problem. Diese Skandale seien doch nur “Ausdruck gegen rot-grüne Denkverbote”. In der AfD solle man alles sagen dürfen, egal ob es stimmt oder nicht. Jede Provokation der AfD löst Proteststürme aus, jeder Proteststurm macht die AfD noch stärker, weil er belegt, wie sehr es Wähler “dem Establishment” zeigen können, wenn sie die AfD wählen. Es ist dieser Kreislauf, der uns als Journalisten so hilflos macht.
Aber Ronald Gläser weiß auch: “Um mit diesen 24 Abgeordneten durch die fünf Jahre zu kommen, muss ich den ein oder anderen immer wieder ins Gebet nehmen”. Um grobe Schnitzer seiner Kollegen zu verhindern, hat er schon zwei Medientrainings organisiert. Man kennt die “prognostizierten Baustellen”, sagt ein Fraktionsmitglied über den Abgeordneten Andreas Wild. Wild hatte vor einigen Tagen Angela Merkel in einem Facebook-Post als “Unfruchtbare” bezeichnet. Mit Direktkandidaten wie ihm habe man nicht gerechnet, aber jetzt seien sie nun mal da und man müsse wohl oder übel mit ihnen zusammenarbeiten, sagt Gläser.
“Womit füllt man denn eine Paprika vegetarisch?”
Mittagessen gibt es um Punkt 12: Schnitzel oder vegetarisch gefüllte Paprika. Als “AfDler” wähle ich selbstverständlich Schnitzel. Ein Fraktionsmitarbeiter, der sich für die Paprika entschieden hat, muss sich am Tisch anhören: “Womit füllt man denn eine Paprika vegetarisch?”, und “Das will ich gar nicht wissen”. An den vielen vegetarischen Gerichten seien die Grünen Schuld, erklären mir meine Tischnachbarn.
Ronald Gläser wird Anfang Dezember sein Amt als Pressesprecher der Berliner AfD abtreten. Sein Nachfolger arbeitet sich aber schon jetzt in die Parteistruktur ein. Er ist mein Sitznachbar, um die 40, korrekt-sitzender Anzug und “Wer bist du eigentlich?”-Lächeln. Über sein Schnitzel gebeugt hält er mir ein flammendes Plädoyer für die AfD: Er habe seinen gut bezahlten Job aufgegeben, weil die AfD für ihn eine Herzensangelegenheit sei. Er ist eloquent, berichtet schlüssig über die ideologische Lücke, die die Union rechts von sich aufgerissen hat und wie wichtig die AfD sei, um die Lücke zu schließen. “Und die rechtsextremen Idioten, die das anzieht?”, frage ich. Ach, es sei immer noch besser, sie wählten AfD als NPD, sagt er.
Mir wird immer klarer: Diese Partei, die wir alle nicht wollen, hat verdammt viel Wind in den Segeln. Alle haben Bock. Ich frage mich, ob ich als Praktikant bei anderen Parteien genauso viel Optimismus spüren würde.
Der Pressesprecher in spe erzählt weiter: Auf dem Spielplatz würde er auf andere Eltern treffen, denen er von seinem neuen Posten erzählt. “Die AfD habe ich zwar noch nicht gewählt, aber ich denke darüber nach”, sei eine der häufigsten Reaktionen von Müttern und Vätern. Es sei noch viel Luft nach oben, folgert man vereint am Mittagstisch. Man glaubt an Großes. Für mich klingt das wie eine Drohung.
“Wieviel ist denn 1 Berg Money?”
Die nächsten Stunden verbringe ich mit Gläser im Büro 526. Ich redigiere eine Rede, die er am nächsten Tag im Plenum über die Rundfunkgebühr halten wird. Ich schreibe sie um, sodass er sie beim rechten Magazin eigentümlich frei einreichen kann (“oder bei VICE”, wie Gläser meint und mir damit endgültig bestätigt, dass er nicht weiß, was VICE ist).
Ich verfasse eine Pressemitteilung über eine aus der Sicht der AfD unangemessene Erhöhung der Abgeordnetendiäten. Immer wieder kommen Männer in Anzügen und Frauen im Kostüm herein und schütteln mir erfreut die Hand. Einer mit rotem Schlips und weißen Haaren, der aussieht wie ein Sparkassen-Filialleiter, interessiert sich für VICE. Er googelt und ich bete, dass zumindest heute kein AfD-Artikel auf der Startseite ist. “Wieviel ist denn 1 Berg Money?”, fragt er mich amüsiert, “wenn du gut über uns berichtest, kann ich euch mal als Finanzexperte helfen.” Es scheint wirklich niemand auf den Gedanken zu kommen, dass ich die AfD als junger Journalist scheiße finde.
Der Alltag, den ich in diesen Stunden im Abgeordnetenhaus erlebe, wirkt erschreckend normal. Die Leute lesen Akten und sitzen vor ihren Bildschirmen. Klar, sie pöbeln den ganzen Tag gegen die Politik der Regierungsparteien—aber schließlich ist die AfD Opposition und macht damit nur ihren Job.
Als die wissenschaftliche Mitarbeiterin auf meine Bitte ein Foto von Gläser und mir schießt, soll ich nicht “Cheese” sagen, sondern “Osterweiterung”. Ich will hier raus.
Der letzte Termin um 16 Uhr: Der Weihnachtsbaum vor dem Abgeordnetenhaus wird zum ersten Mal beleuchtet. Da man in der AfD für Christentum und Tradition einsteht, habe man beschlossen, dass alle anwesenden Fraktionsmitarbeiter der Zeremonie beiwohnen sollen. Und so endet mein Tag damit, dass ich inmitten der AfD stehe und einem Kinderchor zuhöre, der “Leise rieselt der Schnee” singt. Die AfD-Abgeordneten zücken ihre Smartphones, um dieses Idyll festzuhalten. Ich fühle mich leer, will diesen absurden Moment durch ein Selfie festhalten.
Statt mein Bild vom rassistisch-fluchenden, hitzköpfigen Rechtspopulisten bestätigt zu bekommen, habe ich erlebt, wie seriös diese Partei bereits arbeitet, mit welcher Begeisterung sie jeden Tag im Büro sitzen und wie sehr sie davon profitiert, dass noch über den kleinsten Mist berichtet wird. Das alles macht die AfD bedrohlich.
Ich möchte der AfD als Journalist schaden. Aber anders, als wir das bisher tun. Ich möchte ihr mit meiner guten Laune schaden, zeigen, dass es zahlreiche Gründe gibt, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken und nicht mit Hass und Angst. Ich will über sie berichten, aber ohne Spott. Dann wird sich die AfD mit der Zeit selbst zerreiben, an unsinnigen Anfragen, an innerparteilichen Streits. Und an einem politischen Alltag, in dem man mehr als populistische Parolen braucht, um zu überleben. Das hoffe ich zumindest.
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