Sex

Ich wünschte, ich hätte einen richtigen Schwanz …

Seit vergangenem Wochenende hat Wien eine neue Stimme. Und das meine ich nicht politisch (Frank Stronach gibt’s schon etwas länger) und auch nicht journalistisch (Christian Rainer gab’s auch schon vor dem WOMAN-Interview), sondern ganz pragmatisch und wortwörtlich. Die neue Stimme beglückt uns seit Sonntag nämlich dort, wo man sonst Sex hat oder Drogen kauft: In den öffentlichen Verkehrsmitteln der Wiener Linien. Streicht euch den Tag rot im Handy-Kalender an: Am 7. Dezember 2012 habt ihr zum letzten Mal die schnarrende Stimme von Franz Kaida gehört, dem gestandenen Stammtisch-Rhetoriker mit Nasenklammer, der mich vor 11 Jahren wie ein in der Hauptstadt empfangen hat und seither bei jeder betrunkenen Heimfahrt und jeder betrunkenen Fahrt in die Arbeit begleitete. Das ist zwar dem Rest der Welt und selbst dem Rest von Österreich alles ziemlich scheißegal, aber für mich war Kaida ein Kaiser, auch wenn sein Reich gerade mal drei Gehörknöchelchen groß war und seine Kleider aus nicht viel mehr als ein bisschen Trommelfell bestanden haben.

Jetzt hat Kaisa keine Zettel mehr, von denen er die Stadtgeschichte Wiens wie ein Märchenopa ablesen und sie uns wie montägliche Nutellabrote ans Ohr pappen könnte — was natürlich Sinn macht, wenn man mit VERNUNFT an die Sache herangeht, weil selbst ein Herr Kaisa ja älter wird und man mit einem spontanen Stimmwechsel im Anlassfall seines Todes die Donaustadt in den schlimmsten Stimmbruch aller Zeiten führen würde. Männer würden auf die Gleise laufen, weil sie das “Zurücktreten bitte” nicht mehr verstünden, Frauen würden mit Donauwasser gurgeln, Kinder würden rückwärts skaten, Madonna würde gratis auf der Donauinsel spielen und alle würden sie dem fürchterlichen Systemfehler —  auch bekannt als “Kaisa-Reboot” — mit dem kollektiven Versagen ihrer kognitiven Fähigkeiten Rechnung tragen.

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Nein, dann schon besser die neue. Andererseits kommen pro Jahr bestimmt nicht mehr als eine Handvoll neue Stationen hinzu, die eine Kaisa-Computerstimme halbwegs anhörbar einsingen könnte und man müsste die restlichen Bänder sicher nicht vor dem Jahr 2089 austauschen. Und seit wir alle wissen, dass es auch im Jahr 2089 immer noch keine Hoverboards geben wird (wie der zeitreisende Colonel Payton Pence in diesem Forum erklärt), kann mir diese Zukunft sowieso gestohlen bleiben. Und wenn wir schon bei VERNUNFT sind: Welches denkende Wesen würde sich Samstagnacht oder Montagmorgen freiwillig von den Schweiß-Flacons und Schläger-Trupps in den Wiener Linien anspeien lassen, wenn es beim öffentlichen Verkehr irgendwie um Vernunft ginge?

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Ich weiß, ich klinge ein bisschen wie eure alte Nazi-Großtante, die nichts von diesem verteufelten Digital-TV hören will — und dabei sollte ich viel eher wie Leni Riefenstahl draufsein, die im strammen Alter von fast 100 Jahren noch mal schnell digitalen Videoschnitt mit Adobe Premier Pro gelernt hat, um auf ihre alten Tage ein bisschen Unterwasser-Propagandafilme zu drehen. Aber jung bleiben ist nicht einfach, wenn die Welt rund um einen mit jeder neuen U-Bahnansage weiteraltert, und Offenheit gegenüber der neuen Stimme ebenso wenig, wenn die Figur dahinter sich so gibt:

Gesprächssituationen wie diese sind es, die Menschen zu Heroin oder Dosenbier am Würstelstand treiben. Nur fürs Protokoll: Angela Schneider — das mit dem neumodischen Begriff des “Castings” noch nicht restlos vertraute Schauspieltalent aus Wien — wird in der U-Bahn von ihrem Interviewpartner — dem nicht minder begabten Reporter-Spürhund in Sachen prätentiöse Peinlichkeit — so ziemlich alles gefragt, das auch nur irgendwie dazu beitragen könnte, den Beitrag noch unangenehmer und abgehobener wirken zu lassen. Außerdem wird sie dazu genötigt, Straßennamen vorzulesen und muss so tun, als gäbe es zu all dem irgendwas anderes zu sagen als: “Eine nach der andern lesen, es hilft nix.”

Es ist eben wie immer: Die Brotkrumen, denen die Hänsel und Gretel der Regionalmedien in ihrer Beitragsgeilheit hinterher hechten, führen wieder mal nur zu einer mittelalten Durchschnittsfrau, die man schon allein wegen der Sensationslust zur Hexe machen muss. Also, sinnbildlich gesprochen. Und am Ende landet auch niemand im Ofen, sondern schlimmstenfalls in der leicht überhitzten U-Bahn. Wie wenig das Reden über ihr Reden hergibt, hat Frau Schneider in diesem etwas früheren Interview unter Beweis gestellt, indem sie sprach: “Wenn man jemanden kennt und hört, das ist ja jetzt, in anderen Dingen auch, Radio oder Fernsehen, ist das immer so: AHA. Schön jedenfalls.” Ganz genau. Womit auch gleich mitbewiesen wäre, dass man nicht unbedingt reden können muss, um Sprecherin zu sein.

Auch zu ihrem Appeal hat sie eine These, und zwar: “Ich glaub, ich bin hörbar doch Wienerin. Glaub ich. Denk ich.” Wichtig ist ihrer Meinung, ihrem Glauben und ihrem Denken nach auch, dass die Stimme “nicht fremd” klingt, weil man ohnehin von so vielen Klängen umgeben ist, die kaum noch aushaltbar sind. Seither weiß ich zumindest, dass es neben Grammatik- auch Stimmnazis gibt. Aber weil schon der letzte Wrong Boner keiner war und ich euch nicht schon wieder mit einem sauren Geschmack im Mund statt einer salzigen Spur in der Hose zurücklassen kann, habe ich mir vorgenommen, einfach das Potenzial in der Säuselstimme von Frau Schneider zu nutzen und zu seiner logischen Konsequenz durchzudenken. Und die hat mit Konditionierung und Schwänzen zu tun.

BONER

Die Sache ist die: Ich glaube ja schon, dass Frau Schneiders Stimmbänder mich noch weichklopfen werden. Egal, ob ich will oder nicht. Weil ihr weichspülendes Irgendwas trotz allem ein bisschen leichter zugänglich ist als der nasenklammernde Stammtisch-Opa. Deshalb schlage ich vor, wir gewöhnen uns besser schnell daran und denken uns einfach in ein kleines Furry-Fantasy-Spiel hinein, durch das wir auch mit unserer unfreiwilligen Konditionierung besser leben können. Denn eins ist jetzt schon klar — wir werden Sturmbandstimme Schneider gehorchen. Vielleicht nicht sofort, aber früher oder später. Da macht es wohl auch Sinn, wenn wir etwas zulegen, mit dem wir unsere Unterwürfigkeit spielerisch zur Schau stellen und zugleich für den Rest der vernetzten Welt als aufgegeilt geogetaggt werden. So etwas wie Tailly, zum Beispiel — das japanische Schwanz-Accessoire, das passend zum Blutdruck wedelt und die Position seines Trägers auch gleich auf der Stadtkarte fixiert.

Bei Pawlow wedelte der Hund noch mit dem Schwanz, weil er Glöckchen läuten hörte; bei Tailly wedelt der Schwanz bereits mit uns, damit unsere Glöckchen läuten. Oder so ähnlich. Das Ganze gibt es auch als Kickstarter-Projekt, falls ihr bei der Finanzierung helfen wollt. Frau Schneider und ich würden es euch danken. Wenn daraus was wird, kriegen wir bestimmt auch ein kleines Nebensprechprojekt hin: Ich will noch nicht zu viel verraten, aber mir schwebt eine Kooperation von Frau Schneider mit der Positions-Ortung von Tailly vor … Hechel, hechel. Mahalo!


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