Ich war im Bushido-Shirt beim Konzert von Capital Bra

Der Autor im Bushido-Shirt

Es reicht meist aus, wahllos seinen Namen fallen zu lassen: Capital Bra. Und schon hat jeder Mensch in der unmittelbaren Umgebung eine Meinung. Vom 14-jährigen Flacherde-Spezialisten bis zur Hausfrau mit BILDplus-Abo. Capi ist Mainstream, so wie es vor ihm nur Sido und Bushido waren. Und wer im Spotlight steht, polarisiert. Auch bei diesem Artikel wird die Headline mal wieder ausreichen, um eifrige Likesammler zu Kommentaren wie “Wer soll das sein?” oder “Das hat mit HipHop nichts zu tun” zu animieren. Dicht gefolgt von einem: “Da durfte der VICE-Praktikant mal wieder zeigen, dass er keine Ahnung von Rap hat.”

Ich gönne euch die Likes für diesen flotten Spruch. Und trotzdem stehe ich nun vor der Verti Music Hall, einer neuen, seelenlosen Arena in der Mitte des überflüssigsten Orts Berlins: dem Mercedes-Benz-Platz. Um mich herum mehrere Wagenladungen gefälschter Gucci-Kleidung, getragen von Tausenden von Kids, deren Frisuren geordneter sind als mein gesamtes Leben. Immer wieder drängeln sich Polizeitrupps durch die Menge, warum ist nicht ganz klar. Weißwursttaktik nennt man das, in die Mitte stechen und dann nach außen drücken. Man könnte auch annehmen, sie wollen einfach ein wenig provozieren. Immerhin das haben wir gemeinsam.

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Polizeibeamte auf dem Capital Bra Konzert
Die sogenannte Weißwursttaktik der Polizei

Aber irgendwie hab ich mir das anders vorgestellt, als ich den verwegenen Plan ausheckte, mit einem Bushido-Shirt ein Capital-Bra-Konzert zu besuchen. Bisher scheint sich niemand daran zu stören. Na klar, meine Ü30-Freunde bemerken den Affront sofort, aber der Rest? Ich warte. Ein kleiner Junge, höchstens groß genug, um auf den Fußspitzen über die Käsetheke zu schauen, fragt, ob er ein Foto machen darf. Na endlich! Leider meint er den in Markenkleidung gehüllten Jugendlichen neben mir, den ich allerdings noch nie gesehen hab. “Ist ein YouTuber!”, sagt der Dreikäsehoch auf Nachfrage. “Und den findest du cool?”, frage ich. “Ja, der ist cool. Kennst du den nicht?” Ich verneine. “Wen findest du denn cool?” Ich überlege. “Haftbefehl“, antworte ich schließlich. “Den kenn ich nicht”, sagt er und läuft weiter. Puuh, das wird eine schwere Geburt heute. Capis Fans sind definitiv nicht meine Zielgruppe und andersrum.

Dabei liebe ich Capital Bra. Zumindest meistens. Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe ich mich durch seine Diskografie gekämpft und plötzlich überrascht festgestellt, dass ich verstehe, was der da macht. Und dass es mir gefällt. Sehr sogar. Diese unbändige Energie, die komplette Ablehnung diverser Szene-Regeln, der unglaubliche Output, das nicht von der Hand zu weisende Gespür für technisch einwandfreie Pop-Hooks, der nicht zu unterschätzende Hunger und eine gehörige Portion Wahnsinn – all das macht aus Capital Bra einen der interessantesten und auch relevantesten Künstler unserer Zeit. Drauf geschissen, ob er mehr Nummer-eins-Hits als die Beatles hatte oder einen Streaming-Rekord nach dem nächsten bricht. Wer solche Zahlen als relevante Maßeinheit für irgendetwas betrachtet, der glaubt auch, dass sich Fler und Bonez MC demnächst zum Faustkampf treffen. Wird aber nicht passieren, auch wenn mich das sehr traurig macht.

Junge Capital Bra Fans
Die Gucci-Accessoires haben diese jungen Capital Bra Fans nicht auf die Gästeliste gebracht

Äußerst traurig schauen auch die drei Jungs drein, die ihre Nasen an der Scheibe platt pressen wie in so einem Astrid-Lindgren-Film. Nur dass hinter der Scheibe keine veralteten Lutscher und Torten liegen, sondern die Gästeliste. Der Vater der drei hat mal im Gucci-Store gearbeitet (natürlich!) und Capi hat anscheinend versprochen, alle auf die Gästeliste zu setzen. So zumindest ihre Geschichte. Jetzt stehen sie neben mir und sagen immer wieder: “Gucci. Wir stehen als Gucci drauf”, während die Dame an der Kasse zum siebzehnten Mal die Liste durchgeht und entschuldigend den Kopf schüttelt. Alle drei tragen stilecht mindestens ein Gucci-Accessoire aus der zuvor angesprochenen Wagenladung voller Caps und Taschen, die offenbar vor der Halle ausgekippt wurde. Traurige Kulleraugen von kleinen Kindern, das kann man ja nicht mit ansehen! Mein Herz weitet sich zu einem saftigen Steak.


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Gott sei Dank haben wir jemanden dabei, der jemanden kennt, der jemanden kennt, und nach einem kurzen Anruf bekommen alle vier doch noch ihre VIP-Bändchen ausgehändigt. Es soll das letzte Mal für lange Zeit sein, dass wir ein strahlendes Kinderlachen sehen. Denn sobald man die Halle betritt, herrscht Krieg. Zumindest ein Stellungskrieg von Wachsfiguren, die kleinste Bewegung wird missgünstig bis schockiert wahrgenommen. Es läuft gerade das Intro zur Show und eine Stimme befiehlt den Anwesenden: “Nehmt euer Handy raus!”. Eine geradezu lächerlich überflüssige Ansage, es gibt hier Leute, die halten zwei Handys in jeder Hand hoch, und wer aus irgendwelchen Gründen kein Telefon in die Höhe streckt, wird angestarrt, als trage er ein Bushido-Shirt. Ach ja, das Shirt! Ich hab mittlerweile einige Biere und Klopfer intus, öffne die Jacke noch ein Stück weiter und beschließe, mich nach vorne zu kämpfen, während die Halle einen Countdown hinunter zählt. Zehn und dann neun und irgendwann kommt die Acht, ihr kennt das Spiel.

Capital Bra Fans mit ihren Handys
Mehr Handys als Capital-Bra-Fans

Dann kommt die Null. Vollkommen apathisch schauen die Kinder im ungefähren Alter von “Ich hab gerade erst Milchzähne bekommen” bis “Mein Oberlippenflaum weist mich als soliden Mann aus” nach vorne, während Capital mit einigem Budenzauber die Bühne betritt. Sie vergessen beinahe zu schreien, erst als der Bratan sie auffordert, fällt ihnen ein, dass man das ja so macht. Selbst ihr Kreischen wirkt blutleer. Tausende Telefone und gespenstische Ruhe, dazu eine Anlage, die deutlich zu leise eingestellt ist – das wird super. Niemand scheint zu atmen. Ich leider schon und so komme ich in den Genuss von sogenanntem Pubertätsschweiß, gemischt mit relativ günstigem Parfüm, um es mal nett auszudrücken. Neben mir kotzt jemand – Heureka! –, endlich mal eine Regung.

Ein Mann kreischt, dass er nicht 50 Euro bezahlt habe, um jetzt meinen Hinterkopf zu sehen. Offenbar ist das hier gar kein Konzert. Es handelt sich ganz eindeutig um einen Zoo.

Als wir uns durch die Leute drängeln, die ersten Reaktionen. Offenbar sind all die Anwesenden doch keine Wachsfiguren. Empörte Gesichter und wütende Eltern so weit mein Blick reicht, bei jedem Schritt werden es mehr. Was uns einfalle, sie stünden hier bereits seit halb acht und jetzt kommen wir hier einfach hin und so. Ein Mann kreischt, dass er nicht 50 Euro bezahlt habe, um jetzt meinen Hinterkopf zu sehen. Sein Kind ist zu keiner Reaktion fähig. Offenbar ist das hier gar kein Konzert. Es handelt sich ganz eindeutig um einen Zoo. Und während der Duracell-Hase auf der Bühne durch die Gegend springt und einen Hit nach dem andern abfeuert, stehen die Besucher in Reih und Glied.

Das T-Shirt interessiert nach wie vor niemanden, stattdessen schreit mich eine Mutter an, dass ich ihrer Tochter jetzt schon dreimal gegen den Arm gehauen habe und damit ihre Instagram-Story ruiniere. Mir entfährt ein nicht jugendfreies Wort und ich erwarte, demnächst in eine Schlägerei verwickelt zu werden, denn hey, wir sind hier schließlich auf einem HipHop-Konzert und ich tue wirklich alles, um mich unbeliebt zu machen. Aber nichts passiert. Wie die Zombies stehen sie nebeneinander und gucken alle in die gleiche Richtung. Mehr haben sie nicht gemeinsam. Nur die Blickrichtung.

Ich habe inzwischen die Jacke ausgezogen, auf meinem T-Shirt prangt jetzt für jeden sichtbar “Carlo Cokxxx Nutten”, hinten drauf das klassische Bushido-B, und Capi dreht und tanzt und rappt und singt und man kann ihm keinen Vorwurf machen, die Show ist theoretisch gut. Im Saal: Nichts! Einfach gar nichts passiert. Die gespenstische Atmosphäre wird nur unterbrochen von weinenden Mädchen oder Jungs mit Schwächeanfall, die ab und an in aller Ruhe von Sanitätern aus dem Saal geleitet werden. Die kalten Handylichter erhellen den Saal, ab und zu zucken Lichtblitze von Feuerwerk durch die Halle, Feuerfontänen schießen in die Luft und ich muss jetzt irgendwas machen, sonst wird das noch das langweiligste Konzert, auf dem ich jemals war, und das, obwohl der Künstler alles tut, um das zu verhindern. Also fange ich an zu tanzen. Und noch mehr zu trinken.

Der Autor mit zwei Bieren
Prost, Juri!

Und dann tanzen wir – Capi auf der Bühne und ich im Publikum – und ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich dabei genauso einsam fühlt wie ich. Und dann fällt mir auf, dass ich eventuell ein paar Bier und Klopfer zu viel hatte und etwas melodramatisch und kitschig werde. Doch bevor mich meine Gefühle übermannen und ich Capital Bra zuschreie, dass ich der einzige hier im Saal bin, der ihn versteht, und dass wir vielleicht mal abhängen sollten, geht das Licht an und die Leute strömen nach draußen. Im Stechschritt. Niemand sieht glücklich aus, Eltern und Kinder wirken angestrengt, meine Wenigkeit hat leichte Schräglage.

Ich zünde mir eine Zigarette an, wie nach so einem schlechten One-Night-Stand, und lass mich von der Masse nach draußen treiben. “Ey! Bushido ist ein 31er!”, tönt es von irgendwo her. Ach komm halt die Schnauze, dafür ist es jetzt auch zu spät. Ihr hattet eure Chance und habt sie nicht genutzt.

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