Identity

Im Gespräch mit der Frau, die angeblich von Dr. Dre misshandelt wurde

Straight Outta Compton erzählte die Geschichte von den frühen Jahren des Gangster-Rap—aus der Sicht von Dr. Dre, der mit N.W.A. den Grundstein für seine Karriere als Produzentenlegende legte. In dem Film fehlte allerdings eine Person, die in der damaligen Zeit ein großer Teil seines Lebens war: seine Ex-Freundin Michel’le, die in den frühen 90er-Jahren ein großer R&B-Star war. Nachdem Dre öffentlich in die Kritik geraten war, weil er Michel’le aus dem von ihm produzierten Film Straight Outta Compton einfach gestrichen hatte, veröffentlichte er ein Statement, in dem er sich „bei der Frau, dich ich verletzt habe,” entschuldigt hat, ohne seine Ex-Freundin namentlich zu nennen.

Nicht genug für Michel’le. Nun zeigt sie in dem Film Surviving Compton: Dre, Suge & Michel’leihre Seite der Geschichte—inklusiver häuslicher Gewalt und Drogenmissbrauch. Als sie wieder clean ist, verlässt sie Dre, verliebt sich aber nach kurzer Zeit in den Hip-Hop-Mogul Suge Knight und bekommt ein Kind von ihm. Sie sagt, auch Suge hätte sie geschlagen. Als sie ihren Peiniger dieses Mal verlässt, begibt sich Michel’le auf eine Selbstfindungsreise. Nebenbei enthüllt sie so viele Details über ihr Privatleben und den angeblichen Missbrauch, dass sogar die amerikanische Talkshowmoderatorin Wendy Williams meinte, dass sie den Film schockierend fand. Der Film, so Williams, verleiht dem Satz „beats by Dre” eine ganz neue Bedeutung.

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Dr. Dre leugnet, Michel’le misshandelt zu haben. Laut TMZ haben die Anwälte von N.W.A. eine Unterlassungsforderung an die Produzenten von Sony Pictures geschickt und ihnen mit einer Klage gedroht, sollte der Film ausgestrahlt werden. (Dres Publizist und Knights Anwälte haben auf Broadlys Anfrage um einen Kommentar nicht reagiert.)

Trotz der rechtlichen Drohungen weigert sich Michel’le, ihre Version der Geschichte weiter zu verschweigen. Wir haben sie getroffen.

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Broadly: Was hat dich dazu bewegt, diesen Film gerade jetzt zu machen?
Michel’le: Dr. Dre, als er vergangenes Jahr Straight Outta Compton gemacht hat. Er war es. Die Leute haben sich gefragt, was mit mir war, weil er mich in seinem Film einfach ausgelassen hat. Sie wussten, dass ich auch zu dieser Zeit und dieser Generation gehörte. Viele dachten: „Was hat sie dazu sagen?” So hat eins zum anderen geführt. Lifetime wurde mein Partner und da sind wir nun.

Warum hast du Lifetime als Plattform für deine Geschichte gewählt?
Bei Lifetime geht es viel um female Empowerment. Ich lerne sehr viel von Lifetime. Ich denke, das ist einer der spannendsten Filme, die ich bisher auf Lifetime gesehen habe. Es gibt unzählige Lektionen in diesem Film—von Suchtproblemen über die Frage, was Liebe ist, bis hin zu körperlichem und seelischem Missbrauch … und wir zeigen Nacktheit, was im amerikanischen Fernsehen noch immer ziemlich selten ist—auch auf Lifetime. Wir kriegen normalerweise nicht besonders viel zu sehen!

Was wurde in Straight Outta Compton ausgelassen, was du unbedingt klarstellen wolltest?
Nichts, wirklich. Ich habe Straight Outta Compton nicht gesehen, aber soweit ich weiß, ist es Dres Geschichte. Es ist seine Sicht auf sein damaliges Leben. Ich war allerdings überrascht [von der Geschichte des Films], weil ich nicht wusste, dass wir ein so märchenhaftes Leben hatten! Wenn mir Leute Geschichten von dem Film erzählen, schockiert mich das immer wieder.

Wie hast du reagiert, als du gehört hast, dass Dre damit gedroht hat, Sony wegen dem Film zu verklagen?
Ich dachte nur: Das ist die zweite Kränkung. Zuerst willst du mir sagen, dass du mich nie geschlagen hast und jetzt willst du verhindern, dass ich meine Geschichte erzähle? Ich finde, das ist nicht fair—ganz zu schweigen, dass es mich auch ziemlich schockiert, weil ich [Dre] ja schließlich auch erlaubt habe, seine Version der Geschichte zu erzählen und ich würde jetzt einfach gerne meine Seite der Geschichte erzählen. Ich möchte meine Sicht auf die Dinge darstellen, weil es anderen Frauen helfen könnte. Alle denken, ich hätte ein absolut erfülltes Leben gehabt, während ich für Sony Records gesungen habe, quer durch die Welt geflogen bin und jede Menge Geld verdient habe—was sie allerdings nicht wissen ist, was wirklich passiert ist. Dabei geht es in der wahren Geschichte noch sehr viel um Empowerment.

Damals haben alle Männer ihre Frauen geschlagen—das war ganz normal.

Wie hast du Dre kennengelernt?
Ich habe Dre zu Hause bei dem [West Coast DJ] Alonzo [Williams] kennengelernt. Das erste Mal, als ich ihn gesehen habe, habe ich nicht mit ihm gesprochen und er hat auch nicht mit mir gesprochen. Erinnerst du dich noch an „Turn Off the Lights” von der World Class Wreckin’ Crew? Er war auch Teil der Gruppe. Ich hatte allerdings noch nie zuvor von ihnen gehört. Sie waren an dem Abend auf der Suche nach einer Sängerin, also hat mich Alonzo angerufen und meinte, ich solle rüberkommen und für ihn singen … und so habe ich Dre kennengelernt.

Als ihr zusammengekommen seid, wart ihr da glücklich?
Absolut! In den ersten zwei Wochen ist jede Romanze glücklich. Der Mann war ein Genie und wir waren seine Kinder. Ich möchte Frauen aber davor warnen, ein solches Leben zu führen—ganz egal, um wie viel Geld es geht.

Bist du so lange bei ihm geblieben, weil dir Frauen als Kind gesagt haben, dass alle Frauen Erfahrungen mit Missbrauch machen und man lernen muss, mit häuslicher Gewalt umzugehen?
Meine Großmutter wurde 1914 geboren. Damals haben alle Männer ihre Frauen geschlagen—das war ganz normal. Sie mochte Dre. Sie hat mir immer gesagt: „Halte durch, bleib bei ihm.” Und das habe ich getan. Also habe ich versucht, dafür zu sorgen, dass die Beziehung funktioniert.

Stimmt es, dass Dre dir die Nase gebrochen hat?
Einmal hat er mir die Nase gebrochen. Als er es das nächste Mal versucht hat, bin ich in Deckung gegangen.

Wart ihr allein, wenn er dich geschlagen hat?
Immer, wenn er mich schlug, war entweder die Familie zu Besuch oder wir waren allein. Er hat mich überwiegend zu Hause geschlagen—vor allem, wenn wir Familie und Freunde zu einem Spieleabend oder Grillen da hatten. Das haben wir jede Woche gemacht. Er hatte auch sein Studio im Haus, deswegen hatten wir am Wochenende jeden Tag 50 oder 100 Leute im Haus. Die letzten 20 waren wahrscheinlich die, die seine Wut zu spüren bekommen haben. Ich hab es meistens abends in unserem Schlafzimmer zu spüren bekommen, weil er da die Tür schließen konnte, oder im Auto. Er hat wahrscheinlich auch oft so viel getrunken, dass er einen Filmriss hatte und deswegen kann er sich jetzt wohl nicht mehr an alles erinnern. Ich weiß nicht. Wenn man Angst hat, kann man sich allerdings an alles erinnern.

Hast du Schmerzmittel genommen, um besser damit zurechtzukommen?
Damals noch nicht. Ich habe damals viel getrunken, weil ich keine Pillen bekommen habe. Ich habe getrunken, weil ich versucht habe, [den Missbrauch] zu betäuben. Wir haben uns oft zusammen betrunken, hatten Spaß und gingen feiern—wir gingen oft zusammen zu irgendwelchen Hollywood-Partys. Als wir nach Hause kamen, fühlten wir uns großartig und irgendwann, ganz zufällig, habe ich gemerkt, dass es nicht mehr so wehtat, wenn ich betrunken war während er mich schlug. Ich dachte: Wenn er da ist, betrinke ich mich besser, weil es dann nicht mehr so weh tut.

Hat deine Mutter deswegen das Sorgerecht für euren gemeinsamen Sohn Marcel bekommen?
Nein, sie hat meinen Sohn zu sich genommen, weil Dre und ich nicht die besten Eltern waren. Ich nahm meinen Sohn mit zu Partys, College-Partys. Die Kinder meiner Freunde gingen aufs College und veranstalteten immer irgendwelche Partys. Dre ließ mich mit Marcel allein. Er hat gar nicht erst versucht, heile Welt zu spielen. Ich habe es irgendwann einfach aufgegeben. Manchmal braucht es eine starke Frau, um etwas am Laufen zu halten, aber manchmal möchte man es auch gar nicht am Laufen halten, weil es unmöglich ist. Ich hatte es satt. Meine Mutter hat irgendwann erkannt, dass wir beide nicht bereit waren, um uns um diesen wundervollen Zwei- oder Dreijährigen zu kümmern.

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Bereust du diese Entscheidung?
Nein, auf keinen Fall. Es hat ihm das Leben gerettet.

Wie bist du aus der Beziehung mit Dre rausgekommen?
Ich bin gegangen. Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich habe niemanden angerufen. Ich bin einfach gegangen. Als ich zurückkamen—clean und trocken—wurde mir gesagt, Dre wäre verlobt. Ich meinte nur: „Das ging aber schnell. Wirklich?” Ich habe versucht, mit ihm zu reden und bin auch ein paar Mal mit seiner neuen Frau aneinandergeraten. Ich wollte ihn zurück, aber wir konnten es nicht mehr hinbiegen. Ich habe ihm immer gesagt: „Ich heirate dich, sobald du nicht mehr Dr. Dre bist.” Aber er wollte weiter dieses Leben führen. Als ich Dre verlassen habe, habe ich alles zurückgelassen. Ich habe nur mein Auto, mein Baby und ein paar Klamotten mitgenommen, das war alles. Ich habe auch um nichts mit ihm gestritten. Ich sagte nur: „Gott wird mich retten.”

Wie bist du nach Dre mit Suge Knight zusammengekommen?
Nachdem ich clean war und alles gut lief, wollte ich mich wieder auf die Musik konzentrieren und darauf, eine gute Mutter zu sein. Suge war wie ein Ritter in glänzender Rüstung. Am Anfang mochte ich Suge eigentlich nicht, aber er hat mich bestärkt. Er sagte mir immer: „Halte durch, halte durch.” Irgendwann fing ich an, auf ihn zu vertrauen, wenn ich ihn brauchte. Er war immer da, wenn Dre nicht da war und wenn Dre mal da war, meinte er immer nur: „Ruf Suge an.”

Wann hat sich deine Beziehung zu Knight verändert?
Oh, das war schlimm. Unsere gemeinsame Tochter war zwei. Wir schliefen damals nicht mehr wirklich miteinander … eigentlich war sie noch nicht mal zwei. Ich habe ihn verlassen, als sie zwei war. Suge hat noch ein Kind, das ungefähr zehn Monate älter ist als meine Tochter und von dem ich erst nichts wusste. Er hat wegen der Frau, die er geschwängert hat, gelogen. Eines Tages habe ich sie dann gesehen und sagte zu ihm: „Das ist dein Baby, aber du kannst gern weiterhin lügen, wenn du willst.” Später habe ich dann herausgefunden, dass es [Knights] Baby ist. Die Mutter hat es mir bestätigt. Wir waren eigentlich in einer festen Beziehung, also meinte ich: „Weißt du was, das ist einfach zu gestört.” Ich ließ wieder einmal alles zurück und packte nur ein paar Klamotten für mein Baby ein. Ich habe nie wieder zurückgesehen.

Ich weiß, dass [Suge Knight] Mütter und Großmütter liebt.

Knight hat einen keinen sonderlich guten Ruf. Hast du eine sanftere Seite von ihm kennengelernt?
Absolut. Er ist lieb. Er ist ein sehr romantischer Mann und ich weiß, dass er Mütter und Großmütter liebt. Er tut alles für dich. Das einzige Problem ist, dass du es ihm doppelt zurückzahlen musst, wenn du etwas von ihm willst. Er hat aber auch seine guten Seite wie jeder Mensch. Niemand kann ein schlechter Mensch sein, wenn er dich nicht zuerst davon überzeugen kann, wie liebenswert er ist. So ist es nunmal. Das steckt in jedem von uns!

Haben deine Kinder den Film auch gesehen?
Das weiß ich nicht. Ich wünschte, sie würden ihn sehen, damit sie meine Misere verstehen und verstehen, woher ich komme, was ich zu sagen versuche und was ich damals tun wollte, aber nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich wünschte, sie würden verstehen, dass ich keine Eltern hatte, die mir gesagt haben, dass sie mich lieben, mich jeden Tag geküsst und ins Bett gebracht haben. Sie haben noch nicht einmal im selben Haus gelebt. Verdammt, meine Eltern waren noch nicht mal zusammen. Ich hoffe wirklich sehr, dass sie nicht denken, dass diese Selbstfindungsreise nur in meinem Kopf stattgefunden hat. Ich möchte, dass die Leute eine Lehre daraus ziehen und nicht durchmachen müssen, was ich durchgemacht habe.

In welchem Punkt irren sich die Leute bei dir am meisten?
Ich weiß nicht. Da gibt es zu viele.

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Das ist ein guter Schlusssatz.
Kann ich dich noch etwas fragen? Welche Botschaft hast du als Mann aus diesem Film gezogen?

Ich bin ein homosexueller Mann.
Das ist noch besser, weil du verstehst, wie schwer es für mich war, mit einem Mann zusammen zu sein.

Ich finde es wichtig, sich selbst daran zu erinnern, dass jeder Menschen eine eigene Geschichte hat. Was wir tun, hängt damit zusammen, was wir in der Vergangenheit erlebt haben und wovon andere vielleicht gar nichts wissen. Menschen sind sehr viel komplexer, als wir denken. Das ist wohl auch die wichtigste Botschaft des Films. Dr. Dre und Suge Knight wurden dadurch nicht bloßgestellt. Sie werden nur als komplizierte Männer dargestellt und das, finde ich, macht den Film besonders aufschlussreich.
Weißt du, was witzig ist? Ich habe Entscheidungen getroffen, die mich Jahre später einholten, weil ich überhaupt nicht darüber nachgedacht habe. Der Film zeigt meine Schwierigkeiten, womit ich zu kämpfen hatte und wie ich zu mir selbst gefunden habe. Darum geht es bei dem Film. Es geht nicht darum jemanden bloßzustellen. Wir haben uns alle weiterentwickelt—zum Glück! Wenn du wissen willst, ob ich mit diesem Kapitel endgültig abschließen konnte, dann ja, absolut.