Im Gespräch mit der Politikerin, die Pornos gesellschaftsfähig machen möchte

Als der Berliner Polizei zu Ohren kam, dass einer ihrer Auszubildenden vor knapp drei Jahren in einem elfminütigen Porno mit dem ausdrucksvollen Titel “Pimmel Bingo 8” aufgetreten ist, kündigte die zuständige Behörde an, mögliche disziplinarrechtliche Konsequenzen zu prüfen. Ihre Entscheidung begründete die Behörde Berichten zufolge damit, dass ein solcher Auftritt nicht mit dem Beamtenstatus vereinbar sei und dem Ansehen der Polizei schaden könnte. Der Fall schlug hohe Wellen und brandmarkte den Polizistenschüler kurzerhand als “Porno-Polizisten.”

In den Augen der Berliner Abgeordneten June Tomiak von den Grünen war es hingegen nicht nachvollziehbar, die berufliche Zukunft eines angehenden Polizisten aufgrund seines Auftritts in einem Porno zu riskieren. In einer Pressemitteilung kritisierte sie die allgemeine Tabuisierung von Pornografie, die in ihren Augen einfach nicht mehr zeitgemäß sei und forderte stattdessen einen offeneren und toleranteren Umgang mit Körper, Sexualität und Pornos.

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Unter dem Titel “Rein oder raus ins Beamtenverhältnis” stellte die 20-Jährige eine parlamentarische Anfrage an den Senat und stellte konkrete Fragen zur Reaktion der Behörden und dem Auftritt des Polizeischülers. Unter anderem wollte sie wissen, welche Sexualpraktiken eine Nicht-Eignung für den Polizeidienst rechtfertigen würden, aus welchen Gründen der Auftritt in einem Porno nicht mit dem Beamtenstatus vereinbar sei und ob der Senat den Film selbst gesichtet hätte.

Update [23.02.2017]: Der Berliner Senat kam nach einer genauen Einzelfallprüfung zu der Entscheidung, den Polizeischüler am 28. Februar 2017 nun doch zu verbeamten. “Die Vorwürfe gegen ihn reichen nicht aus, um ihn zu entlassen”, äußerte das Präsidium gegenüber der BILD.

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Während die Stigmatisierung von Personen, die in der Erotikbranche tätig sind, an sich nichts Neues sind, wirft der Fall doch eine interessante Frage auf: Kann die Politik Pornografie und den öffentlichen Umgang damit besser machen – und sollte sie das überhaupt? Wir haben uns mit der Grünen-Politikerin getroffen und nachgefragt.

Broadly: Würdest du dich ähnlich öffentlich positionieren, wenn ein ähnlicher Film von – sagen wir mal – einem CDU-Politiker auftauchen würde?
June Tomiak: Ja, denn ich beurteile ja auch jetzt nicht den Polizisten selbst oder sage, dass man sich für Polizisten generell nicht einsetzen sollte. Das ist Quatsch. Es geht einzig und allein darum, die politische Dimension dieses Themas aufzuzeigen und sich die Inhalte anzusehen. Wir müssen uns als Gesellschaft dazu positionieren, dass es nun mal Menschen gibt, die in Pornos mitspielen und wir müssen uns überlegen, ob sie deswegen jetzt einen anderen Stand in unserer Gesellschaft haben sollten oder eben nicht. Wenn ein CDU-Politiker ein Video macht, in dem er nichts Verwerfliches tut, dann sei das so – ich meine, wo ist das Problem? Wenn er aber Frauen beleidigt oder LGBTIQ* diskriminiert, dann wäre das nicht in Ordnung. In so einem Fall muss man, wie gesagt, immer auf die Inhalte schauen.

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Ich bin in jedem Fall gespannt, wie der Senat sich verhält und ob er sagen wird, dass ein Auftritt in einem Porno Grund genug ist, um nicht verbeamtet zu werden – eine solche Entscheidung würde potenziell 260.000 Beamte allein in Berlin betreffen. Ich persönlich hätte kein Problem damit, wenn die Frau, die meinen Pass erstellt, in einem Porno mitgespielt hätte. Warum sollte ich sie deswegen nicht mehr ernst nehmen können? Mir erschließt sich einfach nicht, warum das ein Problem darstellen sollte.

Wo siehst du einen konkreten Nachholbedarf, was die Aufklärung über Sexualität und Pornografie betrifft?
Es geht darum, dass das zumindest in der Politik noch nie so ein großes Thema war und wir uns im Bereich Sexualität und Pornografie einfach mehr mit der Realität auseinandersetzen müssen. Auch die Berliner Polizei muss sehen, dass es eben Menschen gibt, die in Pornos mitspielen und dass Pornos auch einen Einfluss auf unsere Gesellschaft haben. Gleichzeitig hat die Politik als Vertretung der Gesellschaft auch die Verantwortung, sich für einen positiveren Ansatz einzusetzen. Ein negatives Beispiel wäre es, regressiv mit der Thematik umzugehen und [Pornografie] pauschal zu verurteilen.

June Tomiak. Foto: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Gleichzeitig glaube ich auch, dass wir eine gesellschaftliche Debatte brauchen. Sexualität ist ein Teil jedes Menschen, seines Lebens und Alltags. Wir müssen uns überlegen, welchen Platz wir ihr einräumen und welchen Wert wir ihr beimessen. Natürlich müssen wir aber auch sicherstellen, dass die Menschen in unserer Gesellschaft – auch die Polizei – verstehen lernen, dass nicht jeder, der einen Porno dreht, böse ist und dass Sexarbeiter nicht böse sind oder es gegen ihren Willen machen. Es geht darum, Stereotype aufzubrechen.

Nun gibt es aber natürlich auch Pornos, die durchaus fragwürdige Geschlechterbilder und -dynamiken vermitteln und erwiesenermaßen auch einen Einfluss darauf haben, wie junge Menschen über Sexualität denken. Was könnte von politischer Seite her getan werden, um dem entgegenzusteuern?
Man muss dabei natürlich ganz klar unterscheiden und sagen, dass Pornos nicht generell schlecht sind, sondern gewisse Dinge, die darin gezeigt werden. Nicht konsensuelle Gewalt und LGBTQ*-Feindlichkeit sind natürlich immer abzulehnen und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen – auch in Pornos. Die PorYes-Bewegung hat beispielsweise ein Gütesiegel entworfen und entsprechende Kriterien festgelegt, die beschreiben, was ein feministischer beziehungsweise ein vernünftiger Porno mitbringen sollte. Das ist eine ziemlich gute Sache, weil es zeigt, dass das Problem nicht die Filme an sich sind, sondern dass es vielmehr darum geht, was in den Filmen gezeigt wird.

Gleichzeitig glaube ich, dass diese Gegenwahrnehmung auch im Unterricht thematisiert werden sollte. Durchschnittlich fangen junge Leute mit elf Jahren an, Pornos zu schauen. Das ist super früh – noch vor dem ersten richtigen Aufklärungsunterricht. Junge Menschen orientieren sich natürlich auch daran und hinterfragen erstmal nicht groß, was sie da sehen. Pornos sind aber immer noch Filme – mit einem Drehbuch und Schauspielern. Damit junge Menschen das differenzieren können, braucht es eine vernünftige Aufklärung und Debatte darüber. Deutschland hat den höchsten Porno-Traffic der ganzen Welt. Der Konsum ist also da. Deswegen müssen wir darüber sprechen, wie das Ganze vermittelt werden sollte.

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Im Rahmen deiner Pressemitteilung hast du erwähnt, dass Pornos auch durchaus Werte im Privaten vermitteln können, wenn sie auf Respekt und Konsens basieren. Wie könnte ein solcher aufklärerischer Porno aussehen?
Zum einen wäre es schön, wenn der Fokus mal auf der Frau liegen würde. Die Pornoindustrie ist ja bekanntermaßen sehr sexistisch. Meistens geht es nur darum, Brüste und Muschis zu zeigen und am Ende ist der Sex dann mit dem Abspritzen vorbei. An dieser Stelle muss man sich die Frage stellen: Ist das denn wirklich so? Sollte es wirklich so sein? Wäre es nicht auch schön zu sehen, wie die Frau kommt und sollte das nicht genauso ein Bestandteil von Sexualität sein? Pornos sollten immer auf Respekt und Konsens basieren. Es sollte darum gehen, die Bedürfnisse von beiden – oder wie vielen auch immer – darzustellen und zu zeigen, dass [ihre Bedürfnisse] gleichwertig und gleich wichtig sind. Auch Körperbehaarung ist OK oder zu zeigen, dass es eben auch mal schmutzig werden kann. Man sollte deutlich machen, dass das alles dazu gehört, der Normalität entspricht und vollkommen in Ordnung ist.

Was macht in deinen Augen einen guten Porno aus?
Das kommt natürlich immer darauf an, was man sehen möchte – es gibt aber mittlerweile auch ganz verschiedene Angebote: die alternative Pornowoche und das Alternative Porn Film Festival beispielweise. Zudem gibt es weltweit immer mehr kleine Firmen, die auch queere Pornos drehen und zeigen wollen, dass nicht nur Frau und Frau, Mann und Mann oder Frau und Mann miteinander Sex haben können, sondern dass es da eben noch viel mehr gibt. Und es ist natürlich schön, die gesamte Bandbreite zu haben, die man sich anschauen kann. Klar, den einen perfekten Porno gibt es nicht, aber ich glaube, dass es auf die Vielfalt ankommt.


Titelfoto: GillyBerlin | Flickr | CC BY 2.0