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In den Dschungel-Gärten von Ecuador

„Das ist eine Barbosco-Pflanze, eine Selbstmordpflanze”, erklärt Edmundo Salazar. Er geht auf den kleinen Busch mit den vielen länglichen, knallgrünen Blättern zu.

Jahrhundertelang haben die indigenen Völker in Südamerika Lonchocarpus urucu, so der wissenschaftliche Name des Barbosco-Strauchs, zum Fischen genutzt. Aus den Wurzeln kann man einen Brei machen, mit dem man man Fische in stehenden oder langsam fließenden Gewässern betäuben kann.

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Edmundo Salazar. Alle Fotos von der Autorin

Und man kann sich damit umbringen. Drei Jugendliche aus Salazars Heimatort Rukullacta haben sich über Weihnachten mit der Pflanze das Leben genommen.

„Wegen Liebeskummer”, erzählt Salazar, berührt die Blätter der Pflanze und hält kurz inne.

Kurz danach gehen wir weiter. Schließlich ist der Barbasco-Strauch nur eine von vielen Pflanzen in Salazars Garten. Überall wuchert essbares Grün oder Büsche mit medizinischer Wirkung. Zum Essen gibt es die Wurzeln und Blätter der Maniokpflanze, Pilze, Kakao, essbare Farne und ecuadorianischen Zimt, Vanille und Trauben. Außerdem gibt es Taro-Pflanzen, verschiedene Zitrusfrüchte, Bananen, grüne Kochbananen und Toquilla-Palmen—aus deren Blättern man Hüte machen kann, die jungen Palmenherzen kann man essen. Hier wachsen Kräuter, die wie natürliche Antibiotika wirken. Andere Pflanzen kann man als Gewürze verwenden, wieder andere sind einfach nur Vogelfutter.

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Taro-Wurzeln

Edmundo Salazars „Garten” ist insgesamt 1,5 Hektar groß.Er lebt davon. Das ist nicht einfach nur ein Garten, sondern die wichtigste Nahrungsmittelquelle für sich und seine Familie. Und so ist das seit Jahrhunderten.

Diese Gärten, oder besser kleine Ackerflächen, werden auch chacra genannt. Mit diesem Wort beschreibt das Volk der Kichwa einen Nutzgarten mitten im Dschungel. Edmundo Salazar gehört zu den Kichwa und er ist Leiter der Aktivistengruppe „Wayru Churis”, die die kulturellen und musikalischen Traditionen der Kichwa bekannter machen möchten.

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Salazar schneidet ein Palmenherz

Die Kichwa sind in vielen südamerikanischen Staaten verteilt, seit Tausenden von Jahren vor allem im Amazonas-Regenwald. Sie leben im Dschungel in der ecuadorianischen Provinz Napo. Die Mehrheit der Bevölkerung hier sind Kichwa.

Fast jede Familie hat eine eigene chacra. So bekommen sie Essen, Arzneimittel und irgendwann auch Holz. Eine chacra ist durchschnittlich zwischen 8.000 und 16.000 Quadratmeter groß und vom Aufbau her völlig anders als die Monokulturen in unseren Breiten.

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Ein typisches Essen der Kichwa

„Dieses Stück Land erneuert sich ständig selbst”, meint Carlos Calapucha, Kichwa und Tourguide im Amazonas-Resort La Casa del Suizo. „Es versorgt eine Familie mit den wichtigsten Nahrungsmitteln. Ohne chacra könnten wir nicht leben.”

Eine chacra ist also Land- und Forstwirtschaft in einem und ist ähnlich vielfältig und vielschichtig wie der Regenwald. Dafür wird zuerst ein Teil des Waldes abgebrannt. Wenn die Nährstoffe aus der Pflanzenasche aufgebraucht sind, wird die chacra an den Dschungel zurückgegeben und es wird ein neuer Garten gemacht. Eine chacra wird rein ökologisch bewirtschaftet, ohne Pestizide oder Dünger.

Diese Gärten sind zwar nicht so ertragreich wie eine Monokultur, aber die Pflanzen profitieren von der Vielfalt. Eine brasilianische Studie aus dem Jahr 2015 hat gezeigt, dass auf „Gartenflächen” mit Waldfeldbau durchschnittlich 10 bis 12 Spezies leben, auf einer durchschnittlichen landwirtschaftlichen Fläche typischerweise nur eine.

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Edmundo und die Selbstmordpflanze

„Bei der konventionellen Landwirtschaft braucht man Hilfe von außen, zum Beispiel durch Pestizide oder Düngemittel. Beim Waldfeldbau können die Nährstoffe auf natürliche und Weise recycelt werden—und zwar so, dass einheimische Arten vor Schädlingen, Krankheiten und anderen Stressfaktoren geschützt werden, die man in der konventionellen Landwirtschaft oft antrifft”, meint Sydney Nilan, Programmbeauftrager bei der Runa Foundation. Diese Non-Profit-Organisation aus Ecuador will die Wertschöpfung der Regenwälder steigern und dabei gleichzeitig das Ökosystem Wald schützen.

Chacras erfordern nicht viel Arbeit. Edmundo Salazar meint, dass er sich nur zwei Mal pro Woche um seinen Garten kümmert und er noch keine Probleme mit Schädlingen hatte. Durch die Lage tief im Dschungel bekommen die Pflanzen auch viel Wasser.

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Pilze

Salazar zeigt mir seinen kleinen Teich, in dem er Tilapia züchtet. Diese Fische kamen vor zehn Jahren ins Amazonasgebiet und sind bei den Einheimischen als Proteinquelle beliebt. Sie sind einfach zu züchten, was auch die Flüsse und Bäche in der Region enorm entlastet.

„Es ist schwer zu sagen, wie viel eine chacra produziert im Vergleich zu konventionellen Anbaumethoden. Sicher ist, dass die Bauern weniger im Voraus investieren müssen und ein geringeres Risiko eingehen. Außerdem wird die Umwelt weniger belastet, was natürlich einen Einfluss auf andere Aspekte und natürliche Ressourcen hat, von denen die Einheimischen abhängig sind”, erklärt Sydney Nilan.

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Edmundos Sohn

Für einen Laien mag Salazars kleine Farm aussehen wie der Rest des Dschungels. Doch jeder Teil hat eine eigene Funktion—sogar verrottende Bäume.

Am Ende der kleinen Tour müssen wir über einen Haufen aus toten Palma klettern. Ein beißender Geruch liegt in der Luft—der Geruch der Verwesung. Es sind Chonta-Palmen. Edmundo nimmt eine Machete und hackt die Rinde ab. Er sucht nach Larven des Chontacuro-Käfers.

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Chontacuro

Die Larven des chontacuro wird traditionell gegrillt und gilt in der ganzen Region als Delikatesse. Sie entwickeln sich erst, wenn die Palmen abgestorben sind, sie verstecken sich tief im Inneren des Baumes und haben nach zwei Monaten die ideale Größe zum Ernten.

Mehr als nur eine wunderbare Proteinquelle: Es zeigt auch, wie viel Einfallsreichtum die Kichwa haben. Im ganzen chacra wird aus Totem etwas Lebendiges. Mit genau dieser Einstellung haben sie es geschafft, vom Regenwald zu leben, ohne seine Ressourcen zu strapazieren.

„Außer Salz und Öl muss ich nichts auf dem Markt kaufen”, meint Salazar. „Der Wald versorgt uns mit allem Nötigen.”