In der Flüchtlingskrise: Der Vegangsta Attila Hildmann hat Angst

Deutschland geht es gut. Es könnte besser sein, sicher. Aber die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit mehr als zwei Jahrzehnten, die Wirtschaft wächst, der Finanzminister macht Überschüsse und Attila Hildmann verkauft 5000 Gläser seiner veganen Bolognese an einem einzigen Tag. Die Zahlen sind gut, die Stimmung ist schlecht; das ist bei Hildmann nicht anders als in der BRD. Er fürchtet den Bürgerkrieg.

Der selbsternannte Vegangsta macht sich Sorgen. Hildmann hat sich damit einen Namen gemacht, dass er sich aufregt über die Ungerechtigkeiten in der Welt. Wenn Hildmann sieht, wie Tiere unter dem Menschen leiden müssen, dann bricht es aus ihm heraus, ein Wutschwall, den er in seine Kanäle ablässt. Allein über Facebook kann er so mehr als 100.000 Menschen erreichen. Dazu verkauft er Bücher in Bestsellerauflagen und ist immer wieder im Fernsehen präsent. In einem aktuellen Fernsehspot besiegt er sogar den Tod.

Videos by VICE

ich lass die mädels shooten und fahre lieber möhren kaufen ?#porsche #911 #gt3 A photo posted by Attila Hildmann (@attila_hildmann) on

Eines seiner Markenzeichen ist sein Porsche, Ledersitze inklusive. Auf der Tür ist das Hildmann-Logo abgebildet, Finger zu einem „V” geformt. Das steht bei ihm für „Vegan”. Oft präsentiert er sich in seinem Profil mit freiem Oberkörper, zeigt spärlich bekleidete Frauen oder erzählt, dass das „Sperma von Veganern besser schmeckt“. Bevor er sich dem veganen Essen zuwandte, war ein fleischessender Übergewichtiger, heute hat er den Körper einer Hochleistungsmaschine und trainiert für den Ironman.

Hildmann hat sich dafür entschieden, sein moralisches Kapital, das er sich als Tierschützer erworben hat, dafür auszugeben, dass er die Flüchtlingskrise kommentiert. In einer groben und schnellen Art begleitet er das Geschehen, oft halb gar. So ist er der Meinung, unser Land werde von „Kriegstreibern” regiert. Von „unserer politischen Elite” hält er schlicht „nichts“. Merkel wirft er Verfassungsbruch vor, was zumindest umstritten ist. Nicht für ihn. Aber warum spricht ein Mann, der bisher mit der Instandhaltung seines Körpers beschäftigt war, plötzlich vor einem großen Publikum von Verfassungsfragen? Anstatt Tierrechte nun das Asylrecht. Und während er für die Tiere alles will, ist er weniger fordernd, wenn es um die Rechte von Geflüchteten geht. Da sieht er vor allem eine Bedrohung auf das Land zukommen.

Jeder kann es schaffen! Mit natürlichen Bio-Produkten, frischen Zutaten, guten Rezepten und ausgewogenem Sport! Ohne Chemie und Pulverchen! Ich bin jetzt 15 Jahre dabei, ich zeige solche Bilder eigentlich nur noch, damit sie ein paar Menschen noch aufwecken! Heute geht es mir um viel mehr als nur ein besseres Körpergefühl, ein Sixpack oder reine Haut, obwohl das alles Resultate meiner Ernährungsumstellung waren! Heute geht es mir vor allem darum, Schwächere zu schützen, ihnen meine Stimme zu verleihen, die aktuellen Zustände aufzuzeigen und auch dafür zu sorgen, dass nicht jedes Jahr fast eine halbe Millionen Deutsche an ernährungsbedingten Krankheiten sterben und 750 Millionen Tiere in Deutschland geschlachtet werden! Erschreckende Zahlen aber sie sind Realität! Jeder kann etwas kleines bewirken, nur eine vegane Mahlzeit pro Tag oder ein veganer Tag in der Woche hochgerechnet auf 80 Millionen Deutsche trägt viel zu einem Wandel bei! Mein Fitness-System in http://goo.gl/cjVEvS #vegan #athlete #diet #weightloss #sixpack #health #workout #beforeandafterpicture #veganism A photo posted by Attila Hildmann (@attila_hildmann) on

Denn während er großes Mitleid für Tiere aufbringt, hat er für Geflüchtete nur wenig Empathie. Zwar wolle er Kriegsflüchtlingen helfen, aber insgesamt sind sie doch eher eine Gefahr für das Land, denn der Staat gehe „fahrlässig mit der inneren Sicherheit um”. Diese Pauschalität ist das Problem, in dem ganzen aufgeregten Dampfgeplapper bleibt keine Zeit für Zwischentöne: Dass man mit gefälschten Papieren auch über regulärem Weg ins Land kommen kann, dass es das strategischen Ziele von Daesh (ISIS) sein könnte, sozialen Unfrieden zu stiften, indem man in der Nähe der Attentate von Paris einen syrischen Pass finden lässt und so das Misstrauen befördert und Geflüchtete unter Generalverdacht stellt. Es dauert seine Zeit, um Gerüchte von Wahrheiten zu trennen, wie es die Polizei immer häufiger muss. Der Vegangsta erzählt derweil von Vergewaltigungen durch Täter mit „Goldketten” und „ausländischem Akzent”. Die Zahlen des Bundeskriminalamts aber sagen, dass es nicht mehr Taten gibt. Keine Nuancen, nicht für Hildmann, alles macht ihn einfach nur „sauer“. Er wird zynisch, wenn er—ohne die Details zu kennen—über Armlängenabstand bei der erwähnten Vergewaltigung spottet und den Fall für seine eigene Erzählung benutzt. Dabei gibt es nur einen Verdacht, geklärt ist nichts. Und tatsächlich: In dem Fall, den Hildmann zitiert, gab es eine Wende. Gegen das vermeintliche Opfer wird wegen des Verdachts des Vortäuschens einer Straftat ermittelt. Die Polizei ist sich sicher, dass die Vergewaltigung „so nicht stattgefunden hat“. Für Hildmann war nach der ersten Meldung die Geschichte erledigt, ins Weltbild eingefügt, einer breiten Öffentlichkeit präsentiert und nicht wieder erwähnt.

Hildmann hat mehr vorzubringen. Die Menschen, die zu „mehrere[n] [!] Millionen” in Deutschland Asyl suchen, hätten nicht unseren „Bildungsstandard” und für die sozial schwachen Deutschen wird das Leben unmöglich, weil ohnehin kein Geld da sei. Es gelte herausfinden, wer herkomme, um „das Sozialsystem zu nutzen” und „Parallelgesellschaften” zu gründen. Das alles ist weiterhin Standard im Asylverfahren, das ja nicht ausgesetzt ist. Das sind klassische xenophobe Klischees, da spielt es auch keine Rolle, wer sie vorträgt und wie seine Geschichte ist. Es ist ja nicht so, als wäre bis vor dieser Krise genug Geld für die Bedürftigen ausgegeben worden, obwohl es da war und in Hildmanns Argumentationslinie besteht noch nicht einmal die Möglichkeit, dass Geflüchtete die deutsche Wirtschaft stärken und nicht die Sozialsysteme ausnehmen wollen. Dabei ist alles getrieben von Angst, auch er will sich abschließen von der Welt. Lösungen hat Hildmann keine anzubieten. Man muss die möglichen Gefahren dieser Krise ja nicht in Abrede stellen, um zu sehen, dass eine solche Fokussierung auf das Negative allein problematisch ist.

Das Verstörende dabei ist, dass Hildmann von sich behauptet, die Geschichte des Dritten Reiches sehr genau studiert zu haben und dass es ihm immer noch zu schaffen macht, wenn er durch Berlin fährt und die Geschichte sehen kann. Und dann posiert er historisch unsensibel in dem Nazibau Olympiastadion, wenn er ein Posting über Asylsuchende bebildert. Er habe gelernt, dass es nie wieder Krieg geben soll, sagt er. Hildmann erinnert sich an die Gespräche mit der Familie, die „von einer Zeit des Wahns, der Gewalt, Armut und Entbehrung erzählten“. Dass viele, viele der Menschen, die in diesem Sommer und in diesem Winter in Richtung Europa aufgebrochen sind, ganz Ähnliches erleben mussten, diese Parallele zieht er nicht. Was passiert eigentlich, wenn sich wie nach der Silvesternacht von Köln der Ton wieder verschärft und vormals hartrechte Positionen weiter salonfähig werden? Welche Meinung wird er dann vertreten? Mittlerweile will er eine Partei gründen. Wenn das kein Grund zur Sorge wäre.

ARTIKEL: Mit Neo-Nazis, die vegan kochen, stimmt einiges nicht