Kekse in den Kaffee dippen ist nichts Ungewöhnliches, vielleicht auch mal ein Brötchen oder ein Croissant. Doch in Frankreich tunken sie Maroilles in ihren café, einen stinkenden Käse mit gewaschener Rinde. Oder zumindest haben sie das früher so gemacht.
Es ist definitiv gewöhnungsbedürftig: Die Bewohner anderer Regionen rümpfen schon lange die Nase über diese regionale Spezialität aus dem Norden Frankreichs. Ist Frankreich sonst eher für seine Haute Cuisine berühmt, wird der Norden eher mit der Arbeiterklasse und Kohleminen in Verbindung gebracht. Und die Tatsache, dass der Käse leicht nach Sportsocken riecht, ist auch nicht gerade hilfreich.
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Doch da sich die Franzosen – insbesondere die Pariser – immer mehr für regionale Spezialitäten interessieren, ist auch der Maroilles langsam wieder auf dem Vormarsch.
Die regionale französische Küche wurde das erste Mal während des Zweiten Weltkriegs auch über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannter, als Soldaten Rezepte aus der Heimat austauschten. Doch erst seit sich französische Millennials mehr und mehr für “authentisches” Essen interessieren, gelten nicht nur Gerichte wie Pho, Bo Bun und Bagels als exotisch, sondern auch regionale französische Gerichte. Diese jahrelang in Vergessenheit geratenen Rezepte wurden auch wieder interessant für wagemutige Gourmands.
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Die Produktion des Maroilles hat sich in den letzten 20 Jahren nicht nur verdoppelt, der Käse hat auch 1996 eine geschützte Ursprungsbezeichnung (AOP) bekommen. Damit ist er das einzige Produkt aus der Region mit dem begehrten Siegel.
Und es hat auch nicht geschadet, dass Dany Boon, ein berühmter Comedian aus dem Norden Frankreichs, in seinem Film Bienvenue chez les Ch’tis (Willkommen bei den Scht’is) gezeigt hat, wie fest der Käse zur Region – und zum morgendlichen Kaffee der Einwohner – dazugehört. Im Film gibt es eine Szene, in der ein Franzose aus der Provence, der in den Norden versetzt wurde, versucht – und kläglich dabei scheitert –, das klassische Arbeiterfrühstück zu essen: tartine au Maroilles, ein Toast belegt mit Maroilles, das in Zichorienkaffee getunkt wird.
“Maroilles gehört fest zur DNA der Käsekultur des Nordens”, meint Marwen Amor, Co-Besitzer der Pariser Wein- und Käsebar Vache dans les Vignes. Und das Arbeiterimage des Käses schreckt die Leute auch nicht mehr ab.
Angeblich waren König Philipp II. von Spanien, Franz I. von Frankreich und Kaiser Karl V. Maroille-Fans, der kulinarische Ethnologe Georges Carantino meint jedoch, dass solche streng riechenden Käsesorten, zumindest im 19. Jahrhundert, eher Lebensmittel der Armen waren.
Und auch der Maroilles macht da keine Ausnahme. Schon vor dem Jahr 1000 existierte ein Käse mit demselben Namen in der Region, doch das muss nicht unbedingt der orange Stinkerkäse mit der klebrigen Rinde von heute gewesen sein. Die Rezepte für französischen Käse wurden erst im 19. Jahrhundert schriftlich festgehalten, wahrscheinlich wurde der Maroilles erst da zum Stinkerkäse, als die Arbeiterklasse eine Vorliebe für strengeren Käse entwickelte, nicht nur Maroilles, sondern auch Vieux Boulogne, der laut Forschern der britischen Cranfield University der stinkigste Käse der Welt sein soll.
Dass die Nordfranzosen so eine Vorliebe für Stinkerkäse haben, könnte, so Carantino, an einem weiteren regionalen Produkt liegen: Bier.
“Bei würzigem Käse hat man das Verlangen, mehr zu trinken”, erklärt er und fügt hinzu, dass Maroilles gut zu starken Likören wie Genever oder eben Bier passt. Frankreich ist zwar generell eher für Wein bekannt, doch diese Region liegt an der Grenze zu Belgien, wo Abteibiere und Wacholderliköre viel beliebter sind. Und der Ruf von Bier als Unterschichtengetränk hat dem Käse auch nicht gerade gut getan.
Jahrelang waren die Einheimischen mit der traditionellen Lebensweise zufrieden: Anders als die Adeligen in Paris, die ein süßes Frühstück mit feinen Backwaren und Marmelade aßen, aßen die Nordfranzosen ein herzhaftes Frühstück mit Fleisch und Käse. Und die tartines au Maroilles gehörten fest dazu.
Doch die Zeiten ändern sich. Auch die oberen Schichten interessieren sich wieder für Maroilles und, wie Carantino meint, kann ein traditioneller Maroilles heutzutage sogar richtig teuer sein.
Alexandre Gravez ist ein Käsehersteller in der Region, hier hat er seine Käserei La Ferme du Pont des Louis. Er meint, dass viele Einheimische immer noch Maroilles in den Kaffee tunken. Marwen Amor von der Pariser Weinbar meint sogar, dass der Käse noch viel besser zu Champagner passt – na, da probier ich den Käse doch auf jeden Fall.
Nachdem ich mir also ein Stück von diesem quadratischen Käse gekauft habe (zweifach eingewickelt, damit er nicht so stinkt), probiere ich ihn erst so, wie Alexandre Gravez es mir empfohlen hat: Nicht zum Frühstück oder als Käsegang, sondern zu einem Cocktail.
“So kommen alle Aromen richtig raus, deine Geschmacksknospen sind quasi in Alarmbereitschaft”, erklärt er mir. Also beiß ich zu meinem Champagner-Aperitif in den Käse und stelle fest, dass er trotz seines Geruchs, der sich über mindestens 35 Tage Reifung entwickelt, überraschend mild im Geschmack ist. Er ist nussig und leicht süß, dazu kommt ein ziemlich angenehmer, wenn auch eigenwilliges Bauernhofaroma. Der Abgang ist sehr intensiv, fast schon klebrig, weshalb der trockene Champagner so ein perfekter Kontrast ist. Die leichten Noten des Champagners übertüncht die Finesse des Käses nicht – entschärfen ihn aber ein wenig.
Am nächsten Morgen ist es Zeit für die traditionelle Methode. Auch wenn ich seit mittlerweile zehn Jahren in Frankreich lebe, liebe ich immer noch ein herzhaftes Frühstück. Trotzdem ist es eine ziemliche Herausforderung für mich, so früh am Morgen in der Küche den beißenden Gestank des Maroilles einatmen zu müssen. Doch ich bleibe stark und mache mir ein Brot damit, dazu eine Tasse schwarzen Kaffee.
Zuerst genieße ich beides für sich. Der Käse wirkt noch mal stärker, als ob er versucht, gegen den bitteren Kaffee anzukommen. Aber ich schmecke auch etwas mehr Süße, die ich beim Champagner nicht bemerkt habe.
Dann ist es Zeit für meine Challenge: Ich tunke mein Brot mit Käsefußgeschmack in meinen Kaffee und beiße ab.
Das Brot saugte mehr Kaffee auf, als mir lieb gewesen wäre, doch der Käse hat eine völlig neue Textur: am Rand cremig, in der Mitte immer noch leicht trocken. Diese nordfranzösischen Arbeiter von damals wussten genau, wie man den Käse essen musste.
Maroilles passt definitiv zu einem Glas Champagner. Ich muss aber auch gestehen, dass ich die – nun ja – authentische Art ziemlich mag.