Es ist Freitagabend. Ich stehe auf dem Spiellokaleplatz an der Reeperbahn und auf mich regnet ein Meer von Daunen, dort, wo ich mich noch wenige Minuten zuvor mit ein paar Leuten unterhalten habe. Mehrere hundert Menschen haben sich hier versammelt, um eine große Kissenschlacht im Gefahrengebiet zu veranstalten. Sie richtet sich nicht nur gegen das Gefahrengebiet selber, sondern auch gegen die Gewalt—Gewalt von Demonstranten gegen Polizisten, von Polizisten gegen Demonstranten.
„Es soll flauschiger werden“, sagt Niclas kurz vor der Schlacht und hält dabei ein kleines weißes Kissen in der Hand. Er und seine Freunde sind hier aus Solidarität mit den Anwohnern. „Es ist einfach absurd, dass alle in diesen Gebieten unter Verdacht stehen“, findet Charlotte. Das am Samstag ausgerufene Gefahrengebiet hier in Hamburg ist inzwischen auf drei Gefahreninseln geschrumpft, um jeweils eine Polizeiwache, und gilt auch nur von 18 bis 6 Uhr morgens. Trotzdem finden die Freunde, dass dies ein Eingriff in die Menschenwürde ist. Linus meint, sie würden entpolitisiert. Ihre einzige Möglichkeit für das einzustehen, was sie wollen, wäre eine friedliche Demonstration. „Mit Kissen statt Steinen“, sagt David, der ein rotes Herzkissen dabei hat.
Videos by VICE
Etwa 800 Menschen wurden inzwischen in dem Gefahrengebiet kontrolliert. Die Polizei spricht hier auch von einem Erfolg, denn inzwischen werden immer weniger illegale Pyrotechnik, Schlagwerkzeuge und Vermummungsgegenstände sichergestellt. Was auch immer Vermummungsgegenstände genau sein sollen—Mütze und Schal, auf dessen Etiketten nicht nur „Wash with similar clothes“ sondern auch „zur Vermummung geeignet“ steht?
Was die meisten aber verunsichert, ist, dass die Polizei falsche Angaben macht, wie beim angeblichen zweiten Anschlag auf die Davidwache. Denn gerade dieser vermeintliche Angriff war der endgültige Auslöser für die Ausrufung des Gefahrengebiets. Auch bei den Freunden fehlt das Vertrauen in die Polizei, aber auch in die Presse, die ohne eigene Recherche die Pressemitteilungen der Polizei wiedergibt. Deshalb sagt Lynn: „Wir hören solange nicht auf mit den Protesten, solange die Polizei Scheiße baut.“
Und plötzlich fängt einer an, seinen Nebenmann mit dem Kissen zu hauen. Innerhalb weniger Sekunden gibt es ein wildes Geraufe. Erwachsene Menschen springen kichernd mit ihren Kissen in die Menge. Viele greifen mit vollen Händen in ihre mit Federn gefüllten Bezüge. Es schneit, die Daunen sind überall, in den Haaren, in der Nase, in den Ohren, auf den Wimpern, in meiner Kapuze. Ich sehe aus wie ein Hühnchen. „Mist, ich hätte keinen Lipgloss nehmen sollen“, sagt ein Mädchen, dessen Lippen voller Federn sind. Ich sehe einen Jungen, der ein fremdes Mädchen mit seinem roten Herzkissen bearbeitet. „Man haut nicht mit Herzen“, ruft sie und gibt Paroli mit ihrem Polster. „Ich will dir doch nur Liebe geben“, sagt er und haut noch einmal zu. Die Stimmung ist ausgelassen, der Boden wird weiß, die Schicht unter meinen Füßen immer dicker. Auch Kinder hauen mit all ihrer Kraft ihre Eltern. Ein ordentlicher Vierjähriger sammelt die herumliegenden Federn wieder in seinen Kissenbezug ein.
Nach etwa zehn Minuten hören die ersten Teilnehmer auf. Ich habe auch fürs Erste genug Federn geschluckt und kann kaum noch geradeaus schauen vor fliegenden Federn. Ich mache mein Gesicht sauber und versuche, auch meine Locken von den Federn zu befreien—vergeblich. Irgendwo fängt eine Trommlerband an, Musik zu spielen. Dann entdecke ich eine Horde wilder Tiere, die sich mit Konfetti bewirft, die Kissen um sich schlägt und mit einem Schild rumrennt, auf dem steht: „Gefahrengebiet zu Tierschutzgebiet“.
Gustav und Kilian stehen zwei Schritte weiter und haben gemerkt, dass sie schon fast ein bisschen spät sind für die große Schlacht. „Ich finde den Zusammenhalt im Viertel sehr schön. Außerdem ist dies eine friedliche Art, gegen die Gefahrenbereichsproblematik zu protestieren.“ Kilian sieht dies als eine kreative Aktion gegen die absurde Maßnahme der Polizei und der Politik.
Zwischen den Kissen und Federn sieht man auch immer wieder eine Klobürste blitzen, die inzwischen zu einem Symbol des friedlichen Widerstands in Hamburg geworden ist. Ein junger Mann nimmt mit seiner Bürste einen Haufen Federn vom Boden auf: „Eine Pusteblume.“
Ein paar Tage vorher trafen sich die Menschen zu Spaziergängen durchs Gefahrengebiet oder zu Fahrradtouren durch St. Pauli. Am Samstag gibt es einen „Brushmob“, mit Klobürsten, Trommeln, Rasseln, Trillerpfeifen eben allem, was Lärm macht, um gegen die Sirenen anzukommen.
Irgendwer hat eine Box mit Musik aufgestellt, aus der gerade „Ja, ja … deine Mudder“ von Fünf Sterne Deluxe schallt. Ich stehe am letzten Schlachtfeld, auf dem sich die Leute mit Händen voller Federn bewerfen, wie Schnee. Auch Darlyn und Larissa haben hier ihren Spaß. Sie wohnen beide genau zwischen der Reeperbahn und der Schanze, sind also an einigen Lärm und auch sporadische Polizeieinsätze gewohnt. „Es ist aber lästig, wenn man an jeder Ecke kontrolliert werden kann“, sargt Larissa. „Wir haben die Nase voll von den ganzen Unruhen hier. Das wird immer schlimmer.“ Die beiden haben definitiv genug von Krawallen und wollen einfach ihre Ruhe.
Ich habe nicht einen einzigen Polizisten gesehen. Selbst vor der Davidwache stehen keine und die ist nur gefühlte fünf Schritte entfernt vom Schlachtfeld. Dafür schauen mich, auf meinem Weg zur Bahn, die entgegenkommenden Passanten etwas verwirrt an. Liegt wohl an den Federn in meinen Haaren und auf meiner Jacke. Ich setze meine Kapuze auf—ein Fehler, denn die war nicht leer.