In Singapur hat jede Wohnung ihren eigenen Luftschutzbunker

Wenn die Bewohner von Singapur etwas zu Hause “bunkern”, dann ist das wörtlich zu verstehen. In dem Stadtstaat hat jede Wohnung, die seit 1996 gebaut wurde, einen eigenen Luftschutzbunker. Die verstärkten Wände und explosionsbeständigen Türen sollen die Bewohner vor Druckwellen und Bombensplittern schützen, falls Singapur je bombardiert wird.

Die Bunker sind in Singapur Vorschrift. Dass es ausgerechnet hier so ein Gesetz gibt, hat kulturelle und geografische Gründe. Der Inselstaat mit der gut organisierten Infrastruktur liegt im Südchinesischen Meer. Ein Krieg erscheint in dieser Region nicht undenkbar, und die singapurische Regierung ist nun mal pragmatisch drauf, ob beim Straßenbau oder bei der Absicherung gegen Bomben.

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Fast alle Gebäude mit Baujahr 1997 oder später haben einen eigenen Luftschutzbunker. Zusätzlich gibt es auf ganz Singapur verteilt 575 öffentliche Bunker, meist an Orten wie U-Bahnhöfen, Schulen und Gemeindezentren.

Wir wollten wissen, wie die Bewohner von Singapur mit ihren Bunkern umgehen und wie sie diese tägliche Erinnerung an einen möglichen Krieg empfinden. Diese Menschen haben uns in ihre Wohnungen gelassen:

Celin kommt aus ihrem Luftschutzbunker, den sie als Abstellkammer nutzt

Celin, 31

VICE: Hi, Celin. Für was benutzt du deinen Luftschutzbunker?
Celin Chen: Als Abstellkammer, wie alle anderen auch. Wir wohnen seit ein paar Jahren hier. Als wir nach dem Einzug unseren Freunden die Wohnung zeigten, nannten wir es auch nicht “Luftschutzbunker”. Es wirkt einfach naheliegend, stattdessen “Abstellkammer” dazu zu sagen.

Was würde passieren, wenn Singapur mal bombardiert wird? Würdest du deinen Bunker benutzen?
Nein, auch wenn ich jetzt vermutlich Ja sagen sollte. Wir haben mal versucht, da drin zu übernachten, aber es ist echt heiß, selbst bei offener Tür. Ich glaube nicht, dass wir in dem Raum überleben könnten, wenn wir die Tür schließen.

Celins Luftschutzbunker, der als Lagerraum dient

Wo würdest du lieber unterkommen? Ich habe gelesen, von Bomben getroffene Gebäude sollen einstürzen und es bleiben einfach nur die 15 Stockwerke Bunker aufgestapelt stehen.
Ich würde sofort nach unten rennen. Ich fände das einfach zu riskant. Mir gefällt die Vorstellung nicht, drinnen festzusitzen. Außerdem glaube ich, das Gebäude würde umstürzen, auch wenn es kein Hochhaus ist. Wenn wir im Bunker Schutz suchen, können wir nicht mehr entkommen.

Du bist gebürtig aus Singapur, aber wusstest bis eben nicht, dass die Bunker Vorschrift sind?
Wir hatten keine Ahnung. Ich finde, da hat man die Öffentlichkeit nicht gut genug informiert. Für uns waren die Bunker bisher immer nur Abstellräume. Aber ich weiß, dass es der singapurischen Regierung immer viel ums Vorausplanen geht, wie auch mit SGSecure, dem nationalen Plan zur Terrorismusprävention und -bekämpfung. Bunker gehören wohl einfach zum Plan.

Min Sang und sein Mitbewohner vor ihrem Luftschutzbunker

Min Sang, 28

VICE: Hey, Min Sang, erzähl uns mehr über die Bunker.
Min Sang: Manche bringen dort ihre Hausangestellten unter, was ich schlimm finde, da drinnen ist ja kaum Luft. Einer meiner Kollegen nutzt seine zum Bierbrauen, weil es dunkel ist und man die Temperatur gut kontrollieren kann. Sein Zubehör ist nicht fest verbaut, also ist es noch erlaubt. Es wird fast so eingestuft, als würde er da einfach gerade Wein lagern.

Würdest du deinen Bunker benutzen, wenn Bomben auf Singapur fielen?
Das wäre nicht meine erste Wahl. Als Erstes würde ich ins Erdgeschoss wollen. Der Bunker hilft dir nicht, wenn du in der obersten Etage bist, oder im 14. Stock, wie ich. Wenn das Gebäude einstürzt, stürze ich ja mit.

Die staatliche Rettungsorganisation Singapore Civil Defence Force sagt, sie würde dich dann retten.
Ich würde viel lieber in der Zeit runterrennen und mich selbst retten, statt im Bunker zu warten. Ich halte das für keine realistische Art, wie man einen Luftangriff überleben kann. Draußen ist es vermutlich sicherer, dort kann man sich frei bewegen und überall hinkommen.

Michell posiert vor seinem Luftschutzbunker mit seinem Hund

Michell, 32

VICE: Wie nutzt du deinen Luftschutzbunker?
Michell: Wir nutzen ihn als Lagerraum. Im Grunde sind alle Luftschutzbunker in Singapur Abstellkammern.

Ja, merkt man. Und würdest du deinen verwenden, wenn Bomben fielen?
Wahrscheinlich nicht. Ich würde wahrscheinlich einfach nach unten rennen. Das hat nicht unbedingt mit Klaustrophobie zu tun, sondern einfach damit, dass das in meinem Kopf ein Abstellraum ist und kein Luftschutzbunker.

Michells Wohnung ist klein, aber ordentlich und modern

Auch die Antwort hört man häufiger. Hältst du Singapur für einen sicheren Ort?
Es ist hier sehr sicher. Wir sind nicht in Gefahr, und ich denke, deswegen nimmt hier auch niemand die Bunker ernst. Vermutlich braucht man so was schon, aber niemand hier wurde richtig darüber informiert, wie man sie überhaupt benutzt. Vielleicht haben sie uns das nie demonstriert, weil auch noch nie ein Luftangriff stattgefunden hat. Wir wissen nicht mal, ob sie überhaupt funktionieren. Ich weiß auch nicht, ob es stimmt, dass die Gebäude dann zusammenstürzen und nur noch die Bunker aufeinandergestapelt stehen bleiben. Zumindest habe ich das auch noch nie gesehen.

Michells vergitterte Wanduhr und sein Feuerlöscher, den er mit Plüschtieren behängt hat

Ist ja auch schwer vorstellbar. Wusstest du, dass Singapur eines der wenigen Länder ist, in denen Luftschutzbunker in allen Gebäuden Vorschrift sind?
Echt? Ich hatte keine Ahnung. Aber ich finde es wirklich gut, dass Singapur diese Vorsichtsmaßnahmen ergreift. Man weiß nie, was passiert, deshalb ist es gut, vorbereitet zu sein.

Bist du denn vorbereitet?
Wahrscheinlich nicht. Sieh dir meine Abstellkammer an, die platzt aus allen Nähten, lauter Krempel. Da ist absolut kein Platz für uns. Wir könnten alles rausräumen, aber ich weiß nicht, ob wir im Ernstfall so schnell die ganzen Regale abmontieren könnten. Außerdem haben wir sonst keinen Stauraum, also benutzen wir den Bunker wohl weiter als Abstellkammer.

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