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“Sicher sein kannst du dir nie”: Interview mit einem Porno-Löscharbeiter von xHamster

Mann am Laptop, aus dem Beine herausragen

Auf den ersten Blick wirkt Stevens Leben so aufregend wie ein Teller Spaghetti mit Pesto. Er ist verheiratet, arbeitet in Deutschland als Administrator bei einer Dienstleistungsfirma, werkelt in seiner Freizeit gern an seinem Oldtimer herum oder kocht. So hat er uns seinen Alltag beschrieben. Aber der 52-jährige hat noch ein anderes Hobby: Er überprüft Pornos.

Seit rund einem halben Jahr arbeitet Steven – so möchte er genannt werden, um anonym zu bleiben – als Löscharbeiter bei der meistbesuchten Pornoplattform Deutschlands: xHamster. Als einer von etwa über 100 Freiwilligen entscheidet er, ob veröffentlichte Fotos gegen die Richtlinien von xHamster verstoßen oder nicht. Seine Orientierungshilfe ist dabei bloß ein knappes Regelwerk, bestehend aus rund 2.800 Zeichen und 38 Beispielfotos. Wir haben es hier veröffentlicht.

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Steven ist einer von Dutzenden Löscharbeitern, denen wir online während unserer Undercover-Recherche im Löschteam von xHamster begegnet sind. Wir haben ihn mit einem separaten xHamster-Account kontaktiert und uns offen als Journalistinnen zu erkennen gegeben. Durch unsere Recherche wussten wir bereits, wie wenig xHamster unternimmt, um Opfer sexualisierter Gewalt zu schützen. Löscharbeiter sollen etwa durch bloßes Hinsehen entscheiden, ob eine Person schon 18 ist. Selbst potenziell strafbare Inhalte sollen online bleiben, wenn sich Löscharbeiter wie Steven nicht zu 100 Prozent sicher sind, dass ein Regelverstoß vorliegt. Unsere ausführliche Reportage darüber gibt es hier.

Hier gibt es alle Texte unserer Artikelserie Inside xHamster.

Wieso wühlt Steven sich unbezahlt für die Betreiber einer Pornoseite durch Hunderte Nacktfotos? Und wie trifft er die Entscheidung, ob eine Person auf einem Nacktfoto schon volljährig ist? Wir wollten es wissen und haben mit ihm telefoniert – zumindest solange, bis seine Frau vom Friseur kam. Die sollte nämlich nichts von seinem Hobby erfahren.

VICE: Steven, wieso hast du dich als Löscharbeiter für xHamster beworben?
Steven: Ich gucke mir ohnehin gerne Bilder an. Als Reviewer kann ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Ich reviewe fast täglich zwischen 100 und 200 Fotos. Immer, wenn ich mal ein paar Minuten Zeit habe. Ich möchte auf der Plattform keine Inhalte haben, die verboten sind. Dazu gehören Minderjährige, alles, was mit Tieren zu tun hat, und Copyright-Verstöße. Die sind eigentlich das Hauptproblem auf der Seite.

Wie hast du von dem Club erfahren?
Ich bin zufällig in den FAQs über den Club gestolpert. Da ich eh immer auf xHamster bin, dachte ich, dass ich dabei auch mal etwas Produktives leisten könnte. Ich nutze die Plattform seit rund neun Jahren und finde sie klasse, um sich mit anderen Usern auszutauschen oder Inspiration zu bekommen. 
Ich bin eigentlich jeden Tag auf xHamster. Dank Corona sind wir momentan alle im Homeoffice, das ist ganz praktisch. Ich habe meistens das Chatfenster geöffnet und wenn jemand da ist, den ich kenne, unterhalten wir uns ein bisschen. Zum Beispiel über unsere Fantasien. Ich würde aber nicht sagen, dass mein Pornokonsum durch Corona mehr geworden ist.

Wie lief der Bewerbungsprozess ab?
Relativ einfach. In den FAQs steht ein Kontakt, den man anschreiben soll, wenn man Reviewer werden will. Das habe ich gemacht und irgendwann kam eine Antwort. Die einzige Bedingung ist, dass man seit 200 Tagen als User aktiv ist. Belegen, dass ich für diesen Job geeignet bin, musste ich nicht.

Beim Reviewen sollt ihr euch an ein Handbuch von xHamster halten. Wie zufrieden bist du damit?
Das Manual ist relativ knapp gefasst, aber durchaus eine gute Richtlinie. Im Endeffekt kannst du natürlich nicht jeden Einzelfall im Manual ausführen. Deswegen gibt es immer wieder unter den Reviewern Diskussionen zu den einzelnen Punkten. Sehr oft geht es um Copyright-Fragen.

Ein anderes Problem ist, dass du mehrere Fotos auf einmal kategorisieren kannst. Viele Leute gucken da einfach nicht genau hin.

Was ich nicht gut finde, ist, dass es so viele Voyeur-Aufnahmen gibt. Aber die findet die Plattform offenbar gut. Zumindest wollen die Betreiber nicht, dass sie gelöscht werden.

“Es gibt eigentlich keine Kriterien, um zu entscheiden, ob das einvernehmlich war oder nicht.”

Wie kommst du darauf, dass xHamster Voyeur-Aufnahmen nicht löschen will?
Im Manual ist aufgeführt, was nicht erlaubt ist. Und Voyeur-Kram wird an dieser Stelle nicht genannt. Gerade Videos findest du dazu jede Menge – ob das jetzt Frauen auf der Toilette oder an irgendwelchen Stränden sind. Ich finde das blöd. Es gibt genügend Männer und Frauen, die sich gerne zeigen, weil sie exhibitionistisch veranlagt sind. Ich denke, dass die meisten Filme, bei denen Frauen auf dem WC gefilmt werden, ohne deren Einverständnis aufgenommen wurden. Wissen tue ich es halt nicht.

Mehr über das Regelwerk und die Löschpraxis auf xHamster haben wir hier aufgeschrieben.

Es gibt aber auch Plattformen, auf denen man noch viel blödere Dinge findet. Zum Beispiel Tierpornografie. Das ist auf xHamster ein absolutes No-Go.

Findest du, dass xHamster Minderjährige ausreichend schützt?
Ich glaube nicht, dass xHamster ein Problem mit Pädophilie hat. Es gibt immer schwarze Schafe. Ich habe aber noch nichts gesehen, wo ich dachte: Das ist offensichtlich ein Kind. Die meisten Grenzfälle gibt es bei Teenagern oder jungen Erwachsenen. Da sind wir Reviewer nicht immer einer Meinung. Das ist einfach schwierig.

Auf xHamster gibt es aber nicht nur Filme und Videos, sondern auch fiktive Sex-Storys in Textform. Ab und zu tauchen da Geschichten mit Minderjährigen auf, die nicht richtig überprüft werden. Dabei geht es nicht explizit um Kinder, aber zum Beispiel um die minderjährige Nachbarstochter. Da wird auch ausdrücklich geschrieben, dass sie 15 Jahre alt ist.

Wir haben xHamster gefragt, ob auf der Plattform solche Texte erlaubt sind, und keine Antwort erhalten.

Wie entscheidest du, ob eine Person auf einem Foto unter 18 ist oder nicht?
Das ist extrem schwierig. Wenn du dir mal die Mädels heutzutage anguckst, wie die mit 14 oder 15 rumlaufen … die könnten locker als 18- oder 19-Jährige durchgehen. Es gibt aber auch ältere Damen, die deutlich jünger aussehen. Im Zweifelsfall klicke ich auf “underage”.

Es gibt keine festen Kriterien, die uns für die Entscheidungsfindung an die Hand gelegt werden. Das halte ich auch für schwierig. Im Endeffekt zählt einfach der Eindruck, den du vom Körper, der Aufmachung oder dem Kontext hast.

Ich versuche, diese Aufgabe mit bestem Wissen und Gewissen zu machen. Sicher sein kannst du dir nie. Wenn du früher über die Grenze gefahren bist und ein Grenzbeamter das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmt, hat er dich rausgezogen. Oder er winkt dich halt durch. Im Endeffekt ist das bei uns ähnlich.

Wenn du dir unsicher bist, kannst du ein Foto überspringen, damit es ein anderer bewertet. Schiebst du die Verantwortung damit nicht einfach ab?
Vielleicht kann er das besser. Oder er kennt die Darstellerin.

Hast du manchmal ein schlechtes Gewissen, weil du womöglich Nacktfotos einer Minderjährigen online gelassen hast?
Ich persönlich klicke nicht auf “Public”, wenn ich Fotos von Minderjährigen sehe, und habe dementsprechend auch kein schlechtes Gewissen. Es kann aber durchaus sein, dass andere Reviewer eine andere Meinung als ich haben und deswegen Bilder veröffentlicht werden, die ich nicht veröffentlicht hätte.

Hast du das Gefühl, dass du durch deine Arbeit Opfer von sexualisierter Gewalt schützen kannst?
Nein, das wäre illusorisch. Gerade bei SM-Bildern weißt du ja nie genau, ob sie einvernehmlich entstanden sind oder nicht. Und selbst wenn nicht, kannst du die Person im Nachhinein nicht mehr davor schützen.

Auffällig wären natürlich Bilder von Frauen, die in einem Ordner auftauchen, der “Bilder von meiner Ex-Freundin heißt”. Sowas geht meiner Ansicht nach nicht. Die schiebe ich dann in den Bereich “andere” und schreibe dazu, dass es sich meiner Meinung nach um Rache-Bilder handelt.

Verschwinden diese Bilder von xHamster, wenn du deine Bedenken geäußert hast?
Die Bilder werden immer von mehreren Leuten gereviewt. Wenn die anderen der gleichen Meinung sind, bestimmt. Ich verfolge das allerdings nicht weiter.

Hast du mal bei Pornhub, xHamster oder einer anderen großen Pornoplattform gearbeitet – oder arbeitest dort noch immer? Hast du schon mal versucht, Inhalte von dort löschen zu lassen? Wir würden uns freuen von dir zu hören. Du erreichst uns verschlüsselt via Signal oder WhatsApp (+49 152 1012 4551) sowie Threema 27DS6P2R, am besten mit einem Gerät, das nicht deinem Arbeitgeber gehört.

Um zu bewerten, ob eine Darstellung Gewalt zeigt, sollt ihr auf “echte Tränen” achten. Woran erkennt man die?
Gar nicht. Gerade beim Spanking kommen Tränen öfter vor – ohne dass es sich dabei um echte Gewalt handelt. Es gibt eigentlich keine Kriterien, um zu entscheiden, ob das einvernehmlich war oder nicht. Anders ist es bei schwerer Gewalt. Laut Manual sind das SM-Praktiken mit Blut, Atemkontrolle oder beteiligten Personen, die unter Drogeneinfluss stehen. Ich denke, das erkennt man dann schon.

Das heißt, andere Aufnahmen von möglicherweise echter Gewalt bleiben online. Belastet dich das?
Nein.

Wie gehst du mit Nackt-Leaks von Prominenten um? Im Handbuch von xHamster steht dazu nichts.
Da sind mir bisher noch keine über den Weg gelaufen. Generell sollten meiner Meinung nach alle Bilder und Videos auf xHamster freiwillig entstanden sein.

Niemand sollte Bilder von der Ex hochladen, die einen verlassen hat, oder Bilder leaken – ob von Promis oder nicht.

Wenn du zu viele Fotos falsch bewertest, fliegst du möglicherweise aus dem Club. Wie wirkt sich das auf deine Arbeit aus?
Das ist mir eigentlich egal. Obwohl ich oft anderer Meinung als die anderen Reviewer bin, habe ich noch nie Probleme bekommen. Ich habe mich auch schon mal verklickt. Bis jetzt hat das niemanden interessiert.

Bist du zufrieden mit der Moderationspraxis von xHamster?
Bei den Sex-Geschichten könnte sie besser sein. Bei Fotos und Videos finde ich sie gut. Da stoße ich nie über Dinge, die besser nicht da sein sollten. Oder zumindest nicht oft.

Weißt du, dass Uploader die schriftliche Erlaubnis von jeder Person haben sollten, die in einem Upload identifizierbar ist? Halten sich xHamster-Nutzer daran?
Ja, das weiß ich. Ob sich die Benutzer dran halten … wohl eher nicht, wenn ich dran denke, wie viel Copyright-Kram wir aussortieren.

Wenn man dir die Macht geben würde, die komplette Löscharbeit von Inhalten auf xHamster neu und besser zu gestalten, was würdest du machen?
Gut wäre, wenn das Handbuch in einem Wiki wäre, so dass man wiederkehrende Fragen da aufnehmen kann. Ich würde es auch nachvollziehbar machen, wer wie gereviewt hat. Es gibt wohl einige Kollegen, die es sich einfach machen und viele Fotos auf einmal als “Copyright” oder “Underage” bewerten. Man sollte jedes Bild einzeln anschauen und dann bewerten.

Beratung und Unterstützung bei sexualisierter Gewalt finden Betroffene, Angehörige, Fachkräfte und alle Menschen, die sich Sorgen um ein Kind machen, in Deutschland beim Hilfetelefon Sexueller Missbrauch, 0800 22 55 530 (kostenfrei und anonym) und auf dem Hilfeportal www.hilfeportal-missbrauch.de. Hilfe bieten auch die bundesweiten Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe.

Wer in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt hat, findet bei der Frauenberatung Links zu Beratungsstellen. Betroffene Männer erhalten Hilfe im Männerhaus. In Österreich wird ein 24-Stunden-Hilfenotruf unter 01 71 719 angeboten.

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