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Ich habe mich über Instagram in die Salafistenszene eingeschleust

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Seit ich Instagram nutze, habe ich für jede Lebenslage einen Berater. Ob ich mich fit halten will, eine Stilberatung brauche, Stress reduzieren will. Überall warten Influencer mit Tipps und guter Laune, überall lauern Menschen, die etwas verkaufen wollen. Dass Instagram zu einer Dauerwerbesendung verkommen ist, fällt mir kaum noch auf.

Laut einer repräsentativen Studie stört junge Menschen die Werbung von Influencern nicht. Sie sehen darin “glaubwürdige Empfehlungen”. Mehr als ein Drittel der Befragten gibt an, Influencern voll zu vertrauen. Beste Bedingungen also, um Mascara zu verkaufen, Proteinpulver, Handyspiele, Parfüm. Was aber, wenn Influencer die Zuneigung ihrer Anhänger missbrauchen, um für radikale Weltanschauungen zu werben?

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Eines Tages, während ich mich durch meinen Feed wische, stolpere ich über das Foto eines Coaching-Events, eines dieser Seminare, bei dem ein Verkäufer anderen Verkäufern erklärt, wie sie möglichst schnell möglichst viele Produkte verkaufen. Ich sehe freundliche Männer mit Bärten und Anzügen. Doch die Teilnehmer auf dem Foto passen nicht in mein Bild der Coaching-Welt. Sie posen nicht mit Markenklamotten oder Autoschlüsseln, haben keine Sponsoren oder Rabattaktionen verlinkt. Ihr Produkt, das lese ich in den Captions, ist der Glaube.

Einer der Männer fällt mir besonders auf. Ein hochgewachsener, junger Mann mit weichen Gesichtszügen und schwarzem Kinnbart. Sein Profil ist auf dem Bild verlinkt. Ich klicke drauf.

Sein Account hat 16.700 Follower und nennt sich “muslimmindset.de”. Mit Vornamen, auch das steht dort, heißt er Tarek. “Ich helfe Dir ein islamisches, produktives und glückliches Leben zu führen”, schreibt Tarek in der Profilbeschreibung.

In kurzen Selfie-Videos fordert Tarek seine Followerinnen und Follower auf, öfter “Nein” zu sagen. Nein zur Playstation, Ja zu 20 Seiten Koran am Tag. Das klingt erstmal harmlos, doch Muslimmindset kann auch anders.

Als in Saudi-Arabien der erste Club eröffnet, postet Tarek: “Es beginnt die nächste Stufe des Masterplans vom Sheytan.” Sheytan ist Arabisch und heißt Teufel. Ein Club scheint für Tarek also das Einfallstor zur Hölle zu sein. Dann wieder: Motivationssprüche, Kalenderweisheiten, Aufmunterungsphrasen. “Die Tat unterscheidet das Ziel vom Traum”, steht dort. Oder: “Bei ruhigem Wetter kann jeder leicht Steuermann sein.”

Mir ist bewusst, dass Heilsprediger in den sozialen Netzwerken nichts Neues sind. Sie versprechen Glück durch Geld, Gesundheit, Schönheit. Letztes Jahr haben wir recherchiert, wie Kollegah mit seinem zweifelhaften Mentoringprogramm einen lukrativen Weg gefunden hat, noch mehr an seinen Fans zu verdienen.

Aber Tarek ist anders. Er folgt keinen Trends, keinen Hypes, er folgt nur seiner Religion. Für welchen Islam wirbt er? Was wollen Islamfluencer wie er erreichen? Um das herauszufinden, habe ich mich als Jugendlicher ausgegeben, der sich für den Islam interessiert.

Ein kurzer WhatsApp-Chat wird mich in die Arme eines radikalen Predigers führen. Und ich werde in einer Moschee landen, die der Terrorist Anis Amri 2016 nur wenige Stunden vor seinem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt besuchte.

“Warum sind Pornos erlaubt, aber die Burka verboten?”

Mit dem Ziel, junge Menschen für den Islam zu begeistern, ist Tarek auf Instagram nicht alleine. Es gibt unzählige Accounts, die Allahs Botschaft in die digitale Welt tragen wollen.

“Islamfakten” zum Beispiel. 110.000 Follower, 90.000 mehr als die Katholische Kirche in Deutschland. Die Seite postet ein Bild von einer Mutter, die ihrer Tochter beim Anziehen hilft. Die Frau trägt Burka. Ihr Kind, vielleicht fünf Jahre alt, ist bis aufs Gesicht verschleiert. Unterzeile: “Wie willst du deine Kinder erziehen, wenn du ihnen nicht das Richtige vorlebst?” 4.659 Personen gefällt das.

Auch auf der Seite “Islam_Germany” gehören Frauen in Burkas zu den Lieblingsmotiven. Nur geht es dem Admin nicht mehr um die Erziehung. “Islam_Germany” stören grundsätzlich die Moralvorstellungen in Deutschland: “Warum sind Pornos erlaubt, aber die Burka soll verboten werden?”, steht in einem Beitrag. 1.706 Nutzern gefällt das.

Fundamentalisten im Rollkragenpullover

Neben diesen gesichtslosen Accounts gibt es auch Islamfluencer. Sie heißen “Erfolgsmuslim”, “Salam.Stories” oder eben “Muslimmindset”. Sie versuchen, eine persönliche Beziehung zur Community aufzubauen. Dafür bieten sie islamische Bildungsmessen, Pilgerfahrten oder kostenlose Arabisch-Kurse an.

Das Erscheinungsbild ist bei allen Islamfluencern ähnlich. Sie wollen das Beste aus zwei Welten verkörpern: Prediger im traditionellen Kaftan und Keynote-Speaker im hautengen Rollkragenpulli. Über Wochen verfolge ich die Social-Media-Profile von Tarek und Co.

Ich zeige dem Islamismus-Experten Christian Osthold Tareks Profil. Auf den ersten Blick wirke Tarek modern und offen. Tatsächlich stehe der Islamfluencer aber für fundamentalistische Glaubensvorstellungen. “Ich vermute, dass Muslimmindset für den schariagebundenen Islam werben will”, sagt er. “Im Gegensatz zu klassischen Salafisten verkörpern die jungen Männer Erfolg und benutzen Marketing-Strategien.”

Tarek unterscheidet sich also vor allem durch sein Auftreten von Salafisten. Von jenen Muslimen, die nach den Worten Allahs und den Normen seines Propheten leben. “Salafisten streben den Umsturz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an und wollen unseren säkularen Verfassungsstaat in ein Kalifat transformieren”, sagt Osthold.

Dass Jugendliche in sozialen Netzwerken mit radikalen Predigern in Berührung kommen, wissen auch die Sicherheitsbehörden. “Viele bekannte Angehörige der salafistischen Szene treten als ‘Online-Imame’ auf”, erklärt mir ein Sprecher der Berliner Innenverwaltung. Die salafistische Ausrichtung der “religiösen Fortbildungen” sei nicht immer erkennbar.

Religiöse Fortbildungen bietet auch Tarek an. Auf seiner eigenen Plattform “Islamic Tutors” erklärt er in kurzen Videos den Islam. Der Schnupperkurs ist kostenlos, also fange ich direkt an.

Tarek wird mein Islamic Tutor

Nach einem kurzen Intro geht es los mit der Schahada, dem muslimischen Glaubensbekenntnis. Gerade Mal eine Minute und 53 Sekunden dauert es, um vor dem Laptop zum Islam konvertieren. Ich muss nur einer Computerstimme auf Arabisch nachsprechen, dass es keinen anbetungswürdigen Gott außer Allah gibt und Mohammed sein Diener und Gesandter ist. Schon bin ich dabei.

“Das ist absolut unseriös!”, sagt der Experte Osthold. “Der Beitritt zu einer Religionsgemeinschaft sollte nicht durch ein Lippenbekenntnis erfolgen, sondern am Ende eines Erkenntnisprozesses.” Bei Islamic Tutors steht die Konversion aber ganz am Anfang.

Hier bekommt Tarek Unterstützung von seinen Freunden. Konvertiten mit langen Bärten, die wie er an einer staatlichen Hochschule in Medina islamische Rechtslehre studiert haben. In Saudi-Arabien also, wo auf Homosexualität und “Gotteslästerung” die Todesstrafe steht.

Tarek ist aber nicht nur im Netz für seine Follower da. Als Islamic Tutor bietet er Nicht-Muslimen an, ihnen Ansprechpartner in ihrer Umgebung zu vermitteln. Auf Instagram postet Tarek eine Handynummer mit saudi-arabischer Vorwahl. Genau zwei Klicks brauche ich, um einen WhatsApp-Chat mit ihm zu starten. Ich schreibe ihm – dass ich Journalist bin, erwähne ich nicht. Nur wenn ich Tareks Vertrauen gewinne, glaube ich, mehr über die Hintergründe des Muslimmindset zu erfahren.

Ich erfinde also einen 18-jährigen Jugendlichen, der nach Orientierung im Leben sucht und den Islam kennenlernen will. Einen, der eigentlich Christ ist. Der gerade bei seinen Eltern ausgezogen ist und nun seinen Weg ins Leben sucht. So geht meine Legende, falls Tarek nachfragt. Tut er aber nicht.

Illustration: Ein Mann in Anzug und Brille, ein Mann mit Bart und Kopfbedeckung, ein Instagram-Bildschirm
Illustration: Russlan

Auf WhatsApp erhalte ich eine automatisierte Antwort, in der mir Tarek seine Motivation erklärt: “Früher gab es noch kein YouTube und erst recht keine Vlogs. Da hatten wir nur gegen die ganzen Gangster-Rapper zu kämpfen (…)”. Jetzt gebe es unzählige berühmte Muslim-Vlogger und “tausend Schwestern”, die sich sehr unislamisch verhalten würden. Davon wolle er die Leute jetzt wegkriegen. Nur wohin?

Wer ist Tareks Kontaktperson Eyad Hadrous?

Ich frage Tarek, ob er mir wie bei Islamic Tutors angeboten einen Kontakt in Berlin geben könne. Und tatsächlich hat er direkt eine Handynummer parat. Ein Mann namens Eyad Hadrous könne mir am besten helfen.

Ich google den Namen und finde heraus, dass Eyad Hadrous ein prominenter Imam ist. Er hat über vierzehntausend Facebook-Abonnenten, seine Videos auf YouTube erreichen Zehntausende. Seit 2015 ist er Prediger und Islam-Lehrer in der Al-Nur-Moschee. Seit über zehn Jahren beobachtet der Verfassungsschutz die Moschee in Neukölln. Der Tagesspiegel nennt sie einen “Treffpunkt radikaler Salafisten”. Für Eyad Hadrous ist es eine Bildungsstätte, in der er Jugendlichen den Islam erklärt.

Auch Denis Cuspert, besser bekannt unter dem Künstlernamen Deso Dogg, gehörte in der Al-Nur-Moschee zu den Stammgästen. Dann schloss er sich dem sogenannten Islamischen Staat an.

Bei meiner Suche nach Eyad Hadrous begegnet mir immer wieder der Name “Ansaar International”. Ein Verein, der nach eigenen Angaben Spenden für Bedürftige in aller Welt sammelt. Zum Beispiel mit Pilgerreisen nach Mekka. Auf dem YouTube-Kanal von “Ansaar International” sehe ich “Sheikh Eyad Hadrous” wieder. Er lädt mich ein, an der Hadsch 2019 teilzunehmen.

Es werde die Reise meines Lebens, verspricht Hadrous. Einen Monat nach der Veröffentlichung des Videos durchsucht die Polizei 90 Objekte in neun Bundesländern. Sie alle hängen mit Ansaar International zusammen.

Die Sicherheitsbehörden verdächtigen den Verein, die als terroristisch eingestufte Hamas finanziell unterstützt zu haben.

Wie hängen Instagramer und Salafisten zusammen?

Ich will wissen, wohin mich die Route des Islamfluencers führt und was ich von Eyad Hadrous lernen soll. Gleichzeitig habe ich Angst, mir das Vertrauen eines Salafisten zu erschleichen, der möglicherweise Verbindungen zu Terroristen hat.

Ich schreibe Eyad Hadrous eine Nachricht. Einen Tag später antwortet er mir. Er bedankt sich für das Vertrauen. “Wollen Sie einen Termin vereinbaren und mal in die Moschee kommen? Gruß Abu Yusuf”. Bevor wir uns treffen, verabreden wir uns zu einem Telefonat.

“Mashallah”, sagt Abu Yusuf mit sanfter Stimme, als ich von meinem Interesse am Islam erzähle. Er komme gerade vom Unterricht in der Al-Ummah-Moschee im Wedding. “Was meinst du, wie sich die anderen Jungs gefreut haben, als ich ihnen gesagt habe, dass es da einen Jungen gibt, der Paul heißt und uns bald besuchen wird?”

Ich fühle mich geschmeichelt und ein bisschen unter Druck gesetzt. Abu Yusuf setzt seine Charmeoffensive fort. Er bietet an, bei meinem ersten Besuch am Eingang der Moschee auf mich zu warten. Dann müsse ich nicht alleine reingehen. Er wisse, wie schwierig das am Anfang ist.

Vor unserem Treffen will ich mich bei Tarek absichern. Vielleicht ist das ja alles ein Missverständnis. Tarek kennt Abu Yusuf gar nicht richtig und hat mir leichtfertig irgendeine Nummer weitergeleitet. Ich schicke Tarek eine Sprachnachricht. Erzähle ihm, dass ich im Internet gelesen habe, Anis Amri hätte sich nur Stunden vor dem Terroranschlag in der Al-Ummah-Moschee aufgehalten. Ob das gefährlich für mich sei? Tarek schreibt erstmal nichts.

Die Al-Ummah-Moschee im Wedding

Die Al-Ummah-Moschee liegt im Wedding, zwischen arabischen Friseursalons und Handy-Shops. Auf dem Weg zur Moschee begreife ich erst so richtig, wie schnell ich von einem Zufallsfund auf Instagram in einer Moschee gelandet bin, in der auch islamistische Terroristen und Dschihadisten verkehrten.

Wie viele junge Männer landeten wohl über ein paar harmlose WhatsApp-Chats beim fundamentalistischen Islam?

“Du musst Paul sein”, sagt Abu Yusuf grinsend. Den dichten, langen Bart und Abu Yusufs leuchtende Augen erkenne ich schon aus der Ferne. Handschlag, Schneller Blick aufs Handgelenk. Das nächste Gebet sei um 16:13 Uhr, sagt Abu Yusuf. Die Zeiten würden sich täglich verändern, aber das würde er mir ja alles noch erklären.

In der Moschee riecht es nach Melone, die Wände sind kahl, der Gebetsraum hat keine Fenster. Damit wir die anderen Moscheebesucher nicht stören, stellt mir Abu Yusuf die fünf Säulen des Islams im Flüsterton vor.

Was mir Abu Yusuf alles erzählt, konnte ich nicht wie bei einem gewöhnlichen Interview aufzeichnen. Oft hatte ich erst nach den Begegnungen mit dem Imam die Möglichkeit, unsere Gespräche aus meiner Erinnerung aufzuschreiben. Damit ich Abu Yusuf nicht falsch zitiere, stehen die meisten Zitate in indirekter Rede.

Als Abu Yusuf mir den Islam vorstellt, hält er immer wieder inne und überprüft meinen Lernfortschritt. Er stellt rhetorische Fragen, damit ich beweisen kann, wie clever ich bin.

Was ich denn glaube, welche Religion auf der Welt am meisten verfolgt werde? “Der Islam?”, frage ich. Genau, sagt Abu Yusuf. Und was würden die Europäer von den Muslimen wollen? “Dass ihr euch anpasst?”, rate ich. Richtig, sagt Abu Yusuf. Weil sie es selber nicht geschafft hätten, ihre Religion richtig zu leben.

Zuhause google ich, ob der Imam Recht hat. Je nach Berechnungsform werden die Christen oder die Juden am meisten verfolgt. In der Weddinger Moschee nicke ich trotzdem zustimmend.

Mit Bonbons und der Lies-Stiftung zum Islam

Im Gegenteil, mich beeindruckt Abu Yusufs Ausstrahlung. Er tritt so selbstsicher und ruhig auf, als könne es überhaupt keinen Zweifel an Allahs Botschaften geben. Ich fühle mich fast ein bisschen zu wohl, während mich der Imam wie einen Ehrengast durch die Moschee führt. Er greift am Ende seiner Monologe in die Jackentasche und zieht bunte Bonbons hervor. “Möchtest du auch einen?”

Wir zertrümmern die Bonbons mit unseren Zähnen, als der Muezzin zum Gebet ruft. Gläubige strömen in den Gebetsraum. Junge Männer mit langen Bärten und bleicher Haut, Ältere mit großväterlicher Milde im Gesicht. Immer wieder schlagen ihre Knie dumpf auf den Teppich, aufrichten, verbeugen und wieder auf die Knie.

Nach dem Gebet stehen Abu Yusuf und ich vor dem Bücherregal. Ich frage ihn, welches Buch ich als Einstieg in den Islam lesen soll. Abu Yusuf fährt mit dem Finger über die Buchrücken, empfiehlt die Koran-Übersetzungen der Lies-Stiftung. Jene Exemplare, die Salafisten in Deutschen Fußgängerzonen verteilten, bis die Stiftung vom Bundesinnenministerium 2016 verboten wurde.

In der Begründung heißt es über die Stiftung: “[Sie] befürworte den bewaffneten Jihad und stellte ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten (…) dar”. Bei Abu Yusuf heißt es: Die hatten da mal so ein Problem mit ihrem Verlag. Zum Abschied schenkt er mir eine Koran-Übersetzung.

Drei Tage nach dem Treffen mit Abu Yusuf bekomme ich eine Sprachmemo von Tarek. Paul, tut mir leid. Ich habe deine Nachricht jetzt erst gesehen. Ist ziemlich untergegangen”. Über jede Moschee in Deutschland würden bei Google negative Dinge stehen. “Irgendeinen Attentäter oder irgendeinen, der angeblich einen Ehrenmord gemacht hat, finden die immer”, sagt Tarek. Er fragt nicht jeden Abend bei mir nach, welche Suren ich heute gelernt habe. Schafft er auch gar nicht. Aber wo Tarek nicht zur Stelle ist, springen Freunde wie Abu Yusuf ein.

Islam-Unterricht für Fortgeschrittene

Dienstagabends versammeln sich jede Woche fünfzehn bis zwanzig junge Männer. Sie sind in Berlin aufgewachsen, im Wedding oder in Neukölln, sie sprechen untereinander türkisch, arabisch und deutsch. Abu Yusuf hat mich eingeladen, obwohl die Jungs schon wesentlich weiter seien.

Mir gegenüber sitzt ein junger Mann in BVB-Trainingsjacke. Abu Yusuf hat sich ein schimmerndes Gewand übergeworfen. Der Imam begrüßt alle “Geschwister im Islam” – und natürlich auch die Islaminteressierten. Dabei zwinkert er mir wohlwollend zu, die Köpfe der Jugendlichen drehen sich neugierig zu mir.

Mit hochgezogener Augenbraue und ausgestrecktem Zeigefinger ruft Abu Yusuf den Schülern zu, dass wir in unserer Familie zu Buhmännern würden, wenn wir nach unserem Glauben lebten. Nicht mehr auf Hochzeiten gingen, auf denen Männer und Frauen gemeinsam feiern. Keine Shisha mehr rauchten. Unser Umfeld und die Gesellschaft wollten uns vom rechten Weg abbringen.

Abu Yusuf erzählt Geschichten aus dem Leben des Propheten vor mehr als tausend Jahren. Gleichzeitig versucht er, nah an der Lebensrealität der Schüler zu sein. Über WhatsApp habe er ein Video gesehen, in dem sich zwei Frauen beim Autofahren filmen. “Sie singen, sie tanzen, sie machen haram.”

Dann knallt es, das Video bricht ab. Beide sterben. Die Lektion: Im Leben bleibe manchmal keine Zeit, um bei Allah um Vergebung zu bitten. Die Geschichte soll uns eine Mahnung sein.

Wie die eines Autors, der früher große Anerkennung unter den muslimischen Gelehrten genoss. Doch dann habe der Mann hier einem Philosophen zugehört und dort die Meinung eines Demokraten übernommen. Mit den Fingern zeichnet Abu Yusuf eine Zickzack-Linie. So sei er zum Kufr, also zum Ungläubigen, geworden und tief gefallen.

Ich gucke mich um. Kein Stirnrunzeln, kein Fragezeichen in den Gesichtern von Abu Yusufs Schülern. Auch nicht bei meinem Sitznachbarn Ismael, der mir nach der zweiten Stunde eine salafistische Broschüre schenkt und anbietet, dass wir uns auf einen Tee treffen.

Vier-Augen-Gespräche mit Abu Yusuf

Nach dem Unterricht bleibe ich in der Moschee sitzen, um mit Abu Yusuf unter vier Augen zu sprechen. Am Ende meiner Moscheebesuche passe ich Abu Yusuf ab, um mit ihm alleine zu reden. Nicht einmal sagt er: Paul, ich muss gehen. Mehrmals sind wir die letzten in der Moschee. Doch Abu Yusuf begleitet mich nach unseren Treffen bis zum Eingang der U-Bahn-Station. Dabei hat er ganz woanders geparkt.

Mir ist klar, dass es bei Abu Yusufs Fürsorglichkeit mehr um seinen Glauben als um meine Probleme geht. Trotzdem beeindruckt mich, wie er sich für mich ins Zeug legt. Wie mich wildfremde Menschen begeistert an ihre Brust drücken, als ich ihnen meine Geschichten auftische.

Und die Moschee zum Freitagsgebet so überfüllt ist, dass die Gläubigen bis auf die Straße stehen und ihre Teppiche auf dem nassen Asphalt auslegen. Für mich rücken sie noch enger zusammen. Aber ich lehne ab. Ich bin ja kein Muslim, auch wenn sich das leicht ändern ließe.

Bei fast jedem Treffen spricht Abu Yusuf meine bevorstehende Konversion an. Wenn ich so weit sei, solle ich ihn unbedingt anrufen. “Dann lasse ich alles stehen und liegen”, sagt er. Als sein Werben für den Islam keinen Erfolg hat, verändert er die Taktik.

Nun reicht es, wenn ich keine grundsätzlichen Einwände mehr habe. Dann sollte ich “keine Sekunde zögern” und den Islam annehmen. Mit meinen Eltern vielleicht erst reden, wenn ich wirklich überzeugt sei.

Doch je länger ich mit Abu Yusuf rede, desto abschreckender finde ich seine Ansichten. Der Imam unterteilt die Welt in Freunde und Feinde, in Zivilisierte und Barbaren, Muslime und den Rest.

Auf der Welt sei es schon immer so, dass die eine Gruppe die andere unterdrücke. “Früher hatten die Leute noch Schamgefühle”, sagt Abu Yusuf. Heutzutage lebten die Menschen in Deutschland wie die Tiere. Die “Homobewegung” würde uns ihre Lebensweise aufdrücken.

“Das stört uns ja nicht. Lass die doch machen”, erwidere ich. Abu Yusuf stutzt. Er möchte wissen, ob ich das auch bei Pädophilen sage oder wenn ein Mann auf der Straße vor einer Frau onaniert? Ob ich die auch, Kunstpause, einfach machen lasse?

Gesetze würden da auch nicht helfen. Die seien ja eh überall anders, in Saudi-Arabien oder Deutschland. Ob ihm die Gesetze in Saudi-Arabien besser gefallen, sagt Abu Yusuf nicht. Von den schwierigen Themen möchte er mich ohnehin abbringen.

Lieber erklärt er mir, dass der Islam nicht nur aus Verboten und Pflichten bestehe. Als junger Muslim könne ich mein Leben genießen, sagt Abu Yusuf. Er erinnert mich daran, vier Frauen heiraten zu können. Vier!

Ich möchte aber lieber schnell aus dem Gespräch kommen, also sage ich: “Danke für deine Zeit.” In der U-Bahn überlege ich, was Tarek von Muslimmindset zu Abu Yusufs kruden Theorien sagen würde. Würde er weiterhin Jugendliche an Abu Yusuf vermitteln, wenn wir zu dritt in der Moschee gesessen hätten?

“Gut, dass du nachfragst”

Ich schicke ihm eine Sprachnachricht und sage, dass mir Abu Yusufs Ansichten ziemlich extrem vorkämen. “Wie siehst du das?”

“Hey Paul, gut, dass du nachfragst”, sagt Tarek. Gerade am Anfang sei das bestimmt alles ziemlich überwältigend für mich. Ich solle mich deshalb an die Video-Reihenfolge auf Islamic Tutors halten. “Für viele Dinge kannst du erst Verständnis entwickeln, wenn du weiter dabei bist.”

Und natürlich wirke einiges befremdlich, wenn man unter Deutschen aufgewachsen sei. Gerade, was Moralvorstellungen und Gedanken über das Leben angeht. Zum Schluss hat Tarek noch einen Rat für mich: “Ich würde dir empfehlen, erst mal nicht immer alles negativ zu hinterfragen, sondern die Dinge einfach auf dich zukommen zu lassen.”

Update vom 03.02.2020, 13:45 Uhr: In einer früheren Version des Textes haben wir geschrieben, dass Eyad Hadrous bis 2019 Imam der Neuköllner Al-Nur-Moschee war. Tatsächlich tritt Eyad Hadrous dort seit 2015 wöchentlich als Prediger und Islam-Lehrer auf. Imam der Moschee ist er aber nicht.

Update vom 04.02.2020, 10:55 Uhr: In einer früheren Fassung des Artikels haben wir formuliert, dass die Sicherheitsbehörden vermuten, dass der Verein Ansaar mit Spendengeldern Terrororganisationen wie die Hamas und den Islamischen Staat finanzierte. Tatsächlich wird in den diesbezüglichen Pressemitteilungen der Innenministerien sowie den Verfassungsschutzberichten ein Verdacht der finanziellen Unterstützung auch des ‘Islamischen Staats’ nicht ausdrücklich angeführt. Wir haben die betreffende Formulierung entsprechend korrigiert.

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