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Interview: Wie es ist, für die Letzte Generation ins Gefängnis zu gehen

Caroline Schmidt von der Letzten Generation klebt auf der Straße. Sie trägt eine orange Warnweste.

Caroline Schmidt ist 41 Jahre alt und führte bis vor wenigen Monaten ein ganz normales Leben. Sie lebt in Köln und war zwanzig Jahre lang in der Gastronomie tätig. Im Alltag versuchte sie schon immer, mit möglichst wenig zufrieden zu sein und nachhaltig zu leben. Das war im Kampf gegen die Klimakrise aber nicht genug, fand sie. 

Deswegen schloss sie sich der Letzten Generation an. Nach einigen Monaten kündigte sie ihren Job und widmete sich ganz dem Aktivismus. Am 20. September wurde sie für drei ihrer Protestaktionen am Berliner Amtsgericht Tiergarten zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt – die bisher härteste Strafe, die ein Mitglied der Letzten Generation jemals bekommen hat. Wir haben mit ihr gesprochen. 

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VICE: Für was genau wurdest du verurteilt?
Caroline Schmidt:
Ich wurde verurteilt, weil ich an zwei Straßenblockaden beteiligt war und bei einer dritten Aktion versucht habe, mich auf die Straße zu kleben.

Hat dich das Urteil überrascht?
Ja, total. Ich habe zwar damit gerechnet, eine Strafe zu bekommen, aber die Haftstrafe habe ich nicht kommen sehen. Ich werde auf jeden Fall Rechtsmittel einlegen. Wie genau das aussehen wird und wann es weitergeht, weiß ich noch nicht. Das muss ich noch mit meinem Anwalt besprechen. 

Bereust du deine Taten?
Nein. Ich habe mich ja nicht grundlos dazu entschieden, in den zivilen Ungehorsam zu gehen und mich auf die Straße zu kleben. Ich lebe seit meiner Teenagerzeit in dem Bewusstsein, dass wir mit unserer Art zu leben unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören. Ich habe immer versucht, der Erde selbst so wenig wie möglich zu schaden und möglichst wenig zu verbrauchen. Aber das reicht ja nicht. Gewaltfreier Protest, der eine große Störung verursacht, erscheint mir gut, um die Regierung zum Handeln zu bewegen.

Wie haben andere Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation auf das Urteil reagiert?
Die waren schockiert. Aber niemand denkt, dass ich wirklich ins Gefängnis muss. Wir nehmen alle an, dass das Urteil der nächsten Instanz nicht standhalten wird. Es gab auch ein paar Leute, die nachdenklich wurden, weil sie selbst keine Gefängnisstrafe riskieren wollen. Aber die meisten wollen weiter auf die Straße. Wir haben auch über dieses extreme Ungleichgewicht gesprochen: Wir werden für ein und dieselbe Tat überall unterschiedlich hart bestraft. Und wir empfinden es auch als krasses Missverhältnis, dass ich für friedlichen Protest ins Gefängnis soll.

Macht dir der Gedanke ans Gefängnis Angst?
Nein. Ich bin generell kein ängstlicher Mensch und ich glaube nicht, dass ich an dieser Haftstrafe zerbrechen würde. Ich bin mir sicher, dass ich da heil wieder rauskommen würde. Vermutlich würde ich meine Wohnung und meinen Job verlieren. Aber dann müsste ich mir eben eine neue Wohnung und einen neuen Job besorgen. Ich bin auch weiterhin bereit, Widerstand zu leisten. Diese Strafe schüchtert mich nicht ein. 

Aber, wenn du dir das Leben in der Zelle vorstellst, bekommst du da nicht automatisch Schiss?
Doch, das schon. Die Gedanken an acht Monate in einer Zelle kamen sofort, nachdem ich das Urteil gehört hatte. Ich habe mir dann Berichte über das Leben im Gefängnis durchgelesen. Und klar, das wäre bestimmt nicht einfach. Ich hasse die Vorstellung, dass andere Menschen über mein Leben bestimmen. Das ist etwas, das ich im normalen Leben nicht zulasse. Es ist gruselig, sich nicht frei bewegen zu können. Aber ich weiß, dass ich gut allein sein kann. Ich nehme das eher als eine Phase wahr, die mich an meine Grenzen bringen könnte. Aber ich mache auch heute schon viele Grenzerfahrungen. Sich auf die Straße zu kleben und von der Polizei weggerissen zu werden, ist auch eine Grenzerfahrung. Wenn ich wirklich ins Gefängnis muss, hoffe ich, in dieser Zeit sehr viel zu lernen und zu lesen.

Hat deine Strafe auch etwas Gutes? Zum Beispiel noch mehr Aufmerksamkeit für die Letzte Generation?
Na ja. Es ist unser generelles Problem, dass immer wieder über unsere Protestform gesprochen wird, aber nicht über unsere Ziele. Mir ist aber wichtig, dass die Leute erfahren, warum ich ins Gefängnis soll. Ich habe der Richterin bei meinem Prozess gesagt, dass die Forschung schon seit 40 Jahren weiß, dass wir unseren Lebensraum zerstören. Trotzdem ändert sich nichts. Die Regierung empfindet den Klimawandel immer noch als etwas, das man bald mal ernsthaft angehen kann. Dafür bleibt aber keine Zeit mehr. Ich bereue meinen Protest überhaupt nicht und würde es immer wieder so tun.

Ich will, dass jeder weiß, dass die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen gerade zerstört wird. Und das ist ein Bruch unserer Verfassung und unseres Grundgesetzes. Mit den Straßenblockaden wollte ich friedlich auf diese Verstöße von unserer Regierung aufmerksam machen. Die Strafe dafür soll Haft sein. Wenn mehr Menschen klar wird, wie absolut unverhältnismäßig ist, was mir passieren soll, kann meine Haftstrafe etwas Gutes haben.

Woher wisst ihr, dass eure Methoden nicht total kontraproduktiv sind?
Ziviler Ungehorsam hat in der Vergangenheit schon oft funktioniert. Und auch in der Vergangenheit waren nicht alle begeistert von den Protestaktionen. Die Wissenschaft sagt seit 40 Jahren, dass wir handeln müssen und trotzdem ist nichts passiert. Man könnte ja meinen, dass Forschungsergebnisse Grund genug sind, um zu handeln. So ist es aber anscheinend nicht. Noch weiter abzuwarten und nichts zu tun, ist für mich nicht noch länger moralisch vertretbar. Wer einen sinnvolleren Weg sieht, die Regierung auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, kann sich gerne bei uns melden. 

Wird es das wert gewesen sein? Oder anders: Wie würdest du dich fühlen, wenn du nach acht Monaten aus dem Gefängnis kommst und sich immer noch nichts geändert hat?
Diese Frage stelle ich mir bei jedem Protest. Ich habe wirklich keine Lust, mich auf die Straße zu kleben. Ich kann meine Zeit auf jeden Fall angenehmer verbringen und vielleicht ergeben sich aus meinem Protest überhaupt keine direkten Veränderungen. Aber was ich hoffentlich bewirke ist, ein paar mehr Menschen zu alarmieren. Und ich glaube, das schaffe ich.

Glaubst du, dass ihr den Klimawandel wirklich stoppen könnt?
Wir allein offensichtlich nicht. Das wäre großartig. Aber um den Klimawandel aufzuhalten, müssen riesengroße Hebel bewegt werden. Wir haben noch ein bis zwei Jahre. In dieser Zeit müssen wir Wege finden, um bis 2030 von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Wenn Deutschland ein gutes Beispiel setzen und damit anfangen würde, wäre das ein riesiger Fortschritt. 

Ich denke, wir müssen als Gesellschaft gemeinsam überlegen, wie wir den Wunsch an ein ewiges Wirtschaftswachstum umdenken können. Wir können nicht alle immer mehr verbrauchen und gleichzeitig nachhaltig leben. Die Regierung muss den Diskurs entsprechend öffnen und dem Klimawandel angemessen begegnen. Ich hoffe, dass der Wirbel um meine Haftstrafe genau darauf aufmerksam machen wird.

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