Wenn du drei Filme gedreht hast, in denen Menschen mit dem Mund an den Anus des Vordermanns genäht werden, was steht dann als nächstes für dich an?
Für Tom Six, den niederländischen Filmemacher, der als Schöpfer der Human Centipede-Reihe weltbekannt wurde, war die Antwort auf diese Frage klar: Er musste etwas erschaffen, das mindestens genauso schockiert und provoziert wie seine vorherigen Filme. So wurde The Onania Club geboren – ein Film, den Six selbst als “pechschwarze Satire über die schreckliche Welt, in der wir heute leben” beschreibt.
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The Onania Club befindet sich jedoch seit über zwei Jahren in der Schwebe, denn Six findet keinen Verleih, der den Film veröffentlichen will. Eigentlich keine große Überraschung, wenn man bedenkt, dass es darin um Frauen geht, die von schrecklichen Tragödien wie den Terroranschlag vom 11. September erregt werden und dann masturbieren. Jetzt unterstützen aber immer mehr Fans die Bemühungen des Regisseurs, den Film weltweit rauszubringen: Ein Fan tweetet seit mehreren Monaten täglich über den Film, und eine Frau hat sich sogar das Logo auf den Arm tätowieren lassen. Six’ Filme brächten einen dazu, die Scheiße in Frage zu stellen, die uns vorgesetzt werde, sagt ein anderer Fan.
Währenddessen hat der Regisseur angefangen, seine Gedanken über die Filmindustrie und Zensur bei YouTube hochzuladen. “Ich glaube, dass The Onania Club mein bisher bestes Werk ist”, sagt er im ersten Video. “Der Film ist wie eine wunderschöne Blume, die auf einem Massengrab wächst.”
Wir haben uns mit Six unterhalten.
VICE: Kannst du für die, die nicht Bescheid wissen, mal zusammenfassen, worum es in deinem aktuellen Film geht?
Tom Six: In The Onania Club geht es um eine Frau namens Hanna, die insgeheim dem “Onania Club” beitritt. Die Mitglieder sind starke, unabhängige Frauen aus Los Angeles, die – genau wie Hanna – durch das Leid anderer Menschen sexuell erregt werden. Hanna erfährt dann mehr Leid, als sie sich jemals gewünscht hätte, und verliert dabei alles, was ihr wichtig ist.
Du hast gesagt, dass alle Schockszenen aus dem Film auf echten Ereignissen basierten. Kannst du das genauer erklären?
Die Menschheit ist böser und perverser als alles, was ich mir jemals ausdenken könnte. Ich besitze eine große Sammlung an Büchern über Skandale, Psychologie, die Freimaurer, Geschichte, Diktatoren, Dekadenz und so weiter. Die Eliten dieser Welt sind im Laufe der Geschichte schon immer die größten Perversen gewesen. Ein Beispiel: Bei einer wilden Party während der goldenen Ära Hollywoods klauten der Schauspieler Errol Flynn und seine reichen Freunde die Leiche ihres kürzlich verstorbenen Freundes John Barrymore, um noch ein letztes Mal mit ihm zu feiern. Das habe ich mit bestimmten Nekrophilie-Gerüchten verbunden und mich davon für verschiedene Szenen in The Onania Club inspirieren lassen.
Zur Hollywood-Elite sollen “die größten Perversen” gehören, ist das ein roter Faden des Films? Wie kannst du dir da überhaupt so sicher sein? Ist das eine Anspielung auf Harvey Weinstein?
Das Hauptthema des Films ist die Schadenfreude der Eliten. Das bezieht sich nicht direkt auf Harvey Weinstein, aber auch er war jemand mit enormer Macht und viel Geld. Produzenten und Studiobosse aus der goldenen Ära Hollywoods – etwa Harry Cohn, der ehemalige Chef von Columbia Pictures – waren noch viel schlimmer. Das ist alles gut dokumentiert. Geld und Macht lassen Menschen verrückte Dinge tun. Laut dem Philosophen Arthur Schopenhauer sei Schadenfreude die schlimmste Emotion des Menschen. Wenn man die Masturbation mal weglässt, sind wir auf gewisse Weise alle Mitglieder des Onania Clubs.
Verstehst du den Film als eine Metapher für deine Karriere? Anders gesagt: Bist du nur noch hier, weil dir die Empörung anderer Leute Freude bereitet?
Obwohl es einem schon ein starkes Gefühl der Macht gibt, versuche ich nicht aktiv, Leute zu schockieren. Das ist nur eine natürliche Wirkung meiner Werke. Mich fasziniert die dunkle Seite des Lebens, und ich liebe es, Filme darüber zu machen. Meine Filme sollen radikal sein, man soll so etwas noch nie vorher gesehen haben. Das Ganze repräsentiert auch immer meine Liebe für schwarzen Humor. Ich will, dass das Kino wieder gefährlich wird. Wenn die Welt immer irrer und extremer wird, sollte die Kunst nachziehen.
Du sagst, The Onania Club sei angeblich “zu originell, zu provokativ und zu herausfordernd” für eine breite Veröffentlichung. Auf wen beziehst du dich damit?
Die Gesellschaft ist extrem empfindlich geworden, und die Filmverleihe reagieren nun auf diese Entwicklung. Sie haben so große Angst davor, kritisiert oder gar gecancelt zu werden, dass sie den einfachsten und risikofreisten Weg gehen. Ich bin nicht der Meinung, dass man im Film oder allgemein in der Kunst zu weit gehen kann. Das wurde uns nur so eingeredet. Die alles einnehmende politische Korrektheit erstickt jegliche Kreativität. Es ist unmöglich, das Kino auf diese ganze Empfindlichkeit abzustimmen. Das ist so, als würde man einem Erwachsenen verbieten, Steak zu essen, weil ein Baby so etwas noch nicht kauen kann. Alle großen Filmfestivals haben The Onania Club abgelehnt. Von einem Veranstalter wurde mir sogar gesagt, dass ihnen der Film total gefallen würde, sie so etwas aber niemals vorführen könnten. Ach, wie gerne würde ich euch jetzt sagen, um welches Festival es sich handelt. Das würde denen auf jeden Fall ordentlich schaden.
Was ist mit Bounty Films, dem Filmverleih, der Human Centipede veröffentlicht hat? Oder mit IFC Films, die den zweiten Teil der Reihe in den USA rausgebracht haben?
Als wir mit The Onania Club zu IFC gegangen sind, sagte man uns nur, dass sich der Markt verändert habe. Nach einer mehr als zehn Jahre andauernden, erfolgreichen Zusammenarbeit ließen die uns einfach fallen. Leider scheint es keine Filmverleihe mehr zu geben, die die Eier dazu haben, ein Risiko einzugehen.
Du hast Filmverleihe als Zensoren bezeichnet, weil sie The Onania Club nicht rausbringen wollen. Ist das wahre Zensur, also keinen Filmverleih zu finden?
Filmverleihe sind zur Moralpolizei geworden. Entweder verstehen sie die Satire des Films nicht, oder sie lehnen meine Werke wegen mir als Filmemacher ab. Hier ist es ja nicht so, dass die Verleihe The Onania Club einfach nicht mögen. Sie mochten Human Centipede anfangs auch nicht, aber dann wurde der Film zu einem weltweiten Phänomen der Popkultur. Es ist einfach nur dumm, einen Film abzulehnen, auf den schon so viele Menschen warten und der schon so gute Kritiken bekommen hat. Auf der Filmwebsite Rotten Tomatoes hat The Onania Club eine Bewertung von 100 Prozent, der britische Filmkritiker Alan Jones bezeichnete ihn als “Meisterwerk”, eine spanischer Filmkritiker als “direkten Kultklassiker”. Mehrere Filmverleihe haben The Onania Club direkt abgelehnt, ohne ihn sich überhaupt anzuschauen.
Du sagst, dass heutzutage jeder Film “risikofrei” sein müsste. Es gibt jedoch viele aktuelle Filme, die Grenzen ausreizen, oder? Zum Beispiel die Werke von Lars von Trier, die Saw-Reihe oder Midsommar. Das sind alles keine leicht verdaulichen Werke, die einem viel Freude bereiten.
Mit risikofrei meine ich, dass fast alle Produktionsfirmen und Filmstudios sich an gewisse Checklisten halten, weil es um viel Geld und Ansehen geht. Das gilt auch für die Saw-Reihe, darin ist ja nur die Art von Gore, Folter und Gewalt zu sehen, die OK ist. Bei Lars von Trier ist es anders. Er ist einer meiner Helden, denn er gehört zu den sehr wenigen Filmemachern, die Grenzen erforschen und die Moral in Frage stellen. Er ist auch einer der Lieblinge der Filmfestspiele von Cannes, was ihn irgendwie von der kulturellen Elite akzeptiert macht. Dennoch ist er eine Ausnahme, genauso wie Gaspar Noé. Bei meinen Filmen gehe ich absolut keine Kompromisse sein, sie polarisieren sehr. Ich bin stolz auf meine Werke und werde mich für sie niemals entschuldigen.
Was kannst du uns über Enjoy verraten? Den Film willst du ja drehen, wenn The Onania Club veröffentlicht wird.
Enjoy ist eine weitere pechschwarze Satire mit einem originellen Konzept, über das die ganze Welt reden wird. Ich weiß jedoch nicht, ob ich diesen Film jemals machen kann. Wenn kein Filmverleih The Onania Club rausbringen will, dann wird mir auch kein Investor das Geld für Enjoy geben. Denen ist ja auch klar, was in der schrecklichen aktuellen Filmwelt abgeht. Ich lebe dafür, Filme zu machen, aber ich würde mich niemals verkaufen, um einen “sicheren” Streifen zu drehen, der der Masse gefällt. Für mich hat das Leben nur einen Sinn, wenn ich das erschaffen kann, was in mir drin ist, ohne dabei von den Grenzen anderer Menschen eingeschränkt zu werden. Ich bin mir sicher, dass man noch jahrzehntelang über The Onania Club diskutieren und den Film lieben oder hassen wird. Er hat auf jeden Fall eine gewisse Langlebigkeit und wird ein großes Publikum erreichen. Es muss sich nur endlich der richtige visionäre Filmverleih besinnen und The Onania Club veröffentlichen.