Intime Blicke in die Mädchenseele

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Intime Blicke in die Mädchenseele

Seit zehn Jahren fotografiert Sandra Stein heranwachsende Frauen und blickt dabei hinter Geschlechterklischees und Selfie-Posen.

Seit zehn Jahren fotografiert Sandra Stein Mädchen—irgendwo zwischen Schulanfang und dem Ende der Pubertät. 2003 begann die Kölner Fotografin mit diesem Hobbyprojekt, was sich mittlerweile zu einem richtigen Buch ausgewachsen hat. Keine Ahnung zeigt junge Frauen, die ihren Platz im Leben noch nicht gefunden haben, und zeichnet dabei ein ganz anderes Bild von beginnender Weiblichkeit als das, was Instagram- und Facebook-Selfies transportieren. Echter, ehrlicher und intimer.

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VICE: Hat sich dieses Projekt eher zufällig ergeben, oder war es von Anfang an die klare Intention, Mädchen zu fotografieren?
Sandra Stein: Ich habe immer gerne fotografiert und habe das natürlich auch schon professionell gemacht, wusste aber, dass ich noch irgendetwas nebenher brauche, was ich für mich mache. Ich finde, gerade wenn man kreativ arbeitet, muss man irgendwas haben, was man selber schön findet und gerne macht und wo man sich ausprobiert. Ich habe ganz viel fotografiert und die Mädchen einem Freund von mir gezeigt, der auch Fotograf ist. Der hat dann gesagt, dass er findet, dass ich da einen besonderen Blick habe, irgendeine Art von besonderen Zugang.

Er fand die anderen Sachen auch gut, aber meine Mädchen seien sehr besonders. Dann habe ich mal nachgespürt, was ich so fühle, wenn ich das mache, und habe gespürt, dass ich da so versuche zu vereinen, was ich bin. Meine Lebensgeschichte spielt da sicherlich auch eine Rolle. Ich bin in Heidelberg geboren und habe da sechs Jahre gelebt, dann ist meine Mutter weggegangen und nach Spanien gezogen. Ich bin bei meinem Vater geblieben und seitdem sind wir eigentlich andauernd umgezogen, insgesamt bestimmt 20 Mal. Ich war auf 15 verschiedenen Schulen. Darüber hat sich für mich ein Standpunkt ergeben, der sehr vielseitig war auf der einen Seite, aber auch sehr suchend.

Das mit den Mädchen hat sich in unterschiedlichen Situationen so ergeben—von Freunden von Töchtern bis hin zu Situationen, wo ich Workshops in Wohnheimen gegeben habe. Und ich hatte bei jedem das Gefühl, dass da ein Stück von mir ist. Als ob ich mich in jedem Mädchen so ein bisschen wiederfinden würde. Ich glaube das war der Grund dafür, dass ich das auch weiter gemacht habe. Immer wenn ich Zeit und Lust hatte, habe ich die Mädchen fotografiert und ich wollte ganz bewusst nicht, dass das ein Projekt wird, bei dem Leute sagen: „Ach, das hat sie sich so und so überlegt." Ich wollte, dass sich aus der Situation, von mir und dem Mädchen, etwas ergibt, was dann auch individuell zu dieser Situation passt. Ich wollte widerspiegeln, wie es mir geht, aber eben auch zeigen, wie es dem Mädchen geht. Das Mädchen sollte einen Freiraum bekommen, in dem es sich darstellen kann, wie es sich wirklich führt. Abseits von diesem „Ich muss so und so aussehen" und „Ich muss mich in Pose schmeißen, damit ich hip und cool bin".

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Ist es schwierig, heranwachsende Frauen, die von der gesellschaftlichen Seite her zum Teil ja sehr klar aufgezeigt bekommen, wie sie auszusehen haben, zu fotografieren, ohne dass sie irgendeine Rolle annehmen?
Mädchen sind eine unheimliche Projektionsfläche, gerade als Heranwachsende. Das kennst du ja sicherlich auch: Du bist ein Strich in der Landschaft und spielst mit Jungs im Sandkasten, und plötzlich wachsen dir Brüste und alle gucken dich ganz anders an. Auch wenn du noch gar nicht das Körpergefühl dafür hast. Dann ziehst du dir knappe Sachen an, weil es irgendwie gut aussieht und wirst plötzlich von Menschen aus einer ganz anderen Sicht gesehen, die dich vorher als Kind gesehen haben. Du wirst plötzlich eine Frau, obwohl du es eigentlich noch gar nicht bist. Dein Körper geht voran, obwohl du noch gar nicht bereit bist.

Ich fotografiere ja wirklich sehr, sehr unterschiedliche Menschen und bei den Mädchen hat mich wirklich immer sehr berührt, dass die so nach ihrer Position suchen. Gerade dieses Suchen will ich ja auch so ein bisschen darstellen. Da ist wie so eine Verbindung zwischen denen und mir. Ich kann denen das Gefühl geben, dass es OK ist, nichts zu wissen. Dass es OK ist, kurz mal loszulassen. Ich finde es nicht schwieriger, weil ich eben diesen Zugang habe. Vielleicht ist das das Besondere. Ich arrangiere nur das Licht und den Hintergrund, ich möchte eigentlich nur, dass das Bild schön ist. Auf dem Foto selbst machen die Mädchen aber, was für sie das Richtige ist.

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Wir haben Jan Böhmermann getroffen—und Sandra Stein hat die Fotos gemacht.

Zehn Jahre sind ja eine ziemlich lange Zeit. Haben sich die Mädchen über die Jahre verändert?
Ich glaube, dass das eigentlich eine zu kurze Zeitspanne ist, um eine empirische Sache draus zu machen. Ich habe jetzt das Buch gemacht und mich auch gefragt, wie das jetzt für mich weitergeht. Ob ich das Projekt weitermachen möchte oder nicht. Eigentlich möchte ich es weitermachen und zwar genau so: Dass Mädchen neu dazukommen und andere weiter wachsen. Ich glaube nämlich wirklich, dass es diesen Unterschied gibt, man den aber erst über einen längeren Zeitraum sieht. Den Unterschied habe ich bisher eher in sozialen Schichten gesehen—und der Charakter jedes Mädchens ist natürlich auch sehr unterschiedlich, und in welchen Cliquen sie sich aufhalten. Um zu deiner Frage zurückzukommen: So allgemeine Veränderungen sind bisher nicht sichtbar, aber vielleicht in 30, 40 Jahren, wenn ich mit dem Projekt fertig bin.

Mehr Fotos von Sandra findet ihr auf ihrer Website, mehr Informationen zu ihrem Buch Keine Ahnung gibt es hier.