Es ist das zentrale Indiz in der Anklage des IS-Prozesses, der am Donnerstag am Landesgericht Salzburg fortgesetzt wird: Auf das Handy des Angeklagten Abid T. seien sämtliche Telefonkontakte einer SIM-Karte überspielt worden, die für kurze Zeit in den Händen des mutmaßlichen IS-Terroristen und verhinderten Paris-Attentäters Adel H. gewesen ist. Dieser Vorgang soll sich im Dezember 2015 in einem Salzburger Flüchtlingsheim zugetragen haben. Zu dem Fall hat VICE bereits ausführlich berichtet.
Verteidiger Wolfgang Blaschitz hat nun einen brisanten Beweisantrag bei Gericht eingebracht. Demnach sei es wahrscheinlich, dass der Kopiervorgang der Daten eigentlich von einem Ermittler des Salzburger Landesamtes für Verfassungsschutz selbst durchgeführt wurde – nämlich durch einen schlampigen Umgang mit Beweismitteln. Die flapsige Handhabe mit der SIM-Karte und dem Handy des Angeklagten sei in einem Amtsvermerk, der VICE vorliegt, sogar beschrieben.
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Zur Vorgeschichte: Am 10. Dezember 2015 wurden in einem Salzburger Flüchtlingsheim tatsächlich zwei Personen – der Algerier Adel H. und der Pakistani Muhamad U. – festgenommen, die wohl bei den verheerenden Anschlägen von Paris mitwirken hätten sollen. Sie waren mit anderen Attentätern aus Syrien nach Europa gereist, aber in Griechenland aufgehalten worden. Bereits nach den Anschlägen von Paris strandeten sie in Salzburg und saßen einen Monat dort fest, ehe der Zugriff erfolgte. Sie wurden im Juli 2016 nach Frankreich ausgeliefert.
Ermittler führte sichergestelle SIM-Karte selbst in das Handy des Angeklagten ein
Die Beamten konfiszierten bei der Festnahme dann auch Gegenstände, die sie eigentlich Adel H. zurechneten – wie eben auch das Handy des nun Angeklagten Abid T., das neben dessen Schlafplatz aufgeladen wurde. T. selbst befand sich während der Verhaftung nicht im Raum, wohnte aber kurzzeitig in der Flüchtlingsunterkunft. Außerdem beschlagnahmte die Polizei damals eine Brieftasche, in der sich eine lose SIM-Karte befand. Die Brieftasche gehörte wiederum eigentlich dem Algerier Youcef B., der sein Quartier ebenfalls im selben Raum hatte. Youcef B. hatte Adel H. laut eigenen Aussagen die Brieftasche kurz zum Aufpassen überlassen.
Nach und nach untersuchten die Ermittler dann die beschlagnahmten Gegenstände. Am 15. Dezember führten man dabei auch die SIM-Karte in das Handy ein und wählten die Notrufnummer, um die Rufnummer der SIM-Karte festzustellen, wie es heißt.
Am nächsten Tag, dem 15. Dezember, ging das Handy dann zur “erweiterten Auswertung und Datensicherung” an das Bundeskriminalamt nach Wien. Erst durch die dortige Datenanalyse erschienen dann auch der SIM-Kartenbesitzer Youcef B., sowie der Handybesitzer Abid T. verdächtig. Sie wurden später verhaftet und angeklagt. Dieselben Telefonkontakte machten das Smartphone von T. fortan zu einem “Kuriertelefon des IS”. Generell sind die kopierten Telefonnummern keine durch die Anklage nachgewiesenen Terrorkontakte. Allein aber die Präsenz des IS-Mannes Adel H. im selben Zimmer, sein möglicher Zugriff auf das Handy und die SIM-Karte, schienen verdächtig.
Der Zeitpunkt des Kopiervorganges sei “nicht näher bestimmbar”, meint der LVT-Bericht, “müsse aber am 10. Dezember passiert sein” – also kurz vor der Verhaftung von Adel H. Stimmt nicht, sagt nun der Beweisantrag der Verteidigung: “Nach Recherchen der Verteidigung, sowie aus Erfahrungen und Erkenntnissen in anderen einschlägigen Verfahren ist es technisch und praktisch sehr wohl möglich, den exakten Zeitpunkt des Kopiervorganges festzustellen.”
“Es ist wie ein Film der hier gegen mich gedreht wird, eine Verschwörung. Ich werde hier zum Psychopathen!”
Damit spielt Blaschitz eben an die späteren Vorgänge in der Beweismittelsicherung an: “Es ist natürlich nicht zu unterstellen, dass der Kopiervorgang vom Ermittlungsbeamten bewusst durchgeführt wurde, sondern passiert dies automatisch durch bloßes Einlegen der SIM-Karte in das Telefon und Wählen irgendeiner Nummer”, heißt es im Antrag.
Das Zusammenführen von zwei unterschiedlichen Beweismitteln sei jedenfalls alles andere als sauber. Der Richter des Verfahrens habe laut Blaschitz bereits signalisiert, die Vorgänge und den Zeitpunkt so gut es geht klären zu wollen.
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Im Verfahren selbst zeigten sich die Beteiligten zu dem Kopiervorgang unwissend bis perplex. Youcef B., der in erster Instanz in seinem Prozess im Mai zu sechseinhalb Jahren verurteilt wurde, erklärte als Zeuge in der Verhandlung von Abid T. im Juni: “Woher kommt das? Wie gibt es das? Ich kenne den Angeklagten nicht und habe ihn nie gesehen. Es ist wie ein Film der hier gegen mich gedreht wird, eine Verschwörung. Ich werde hier zum Psychopathen!”
T. wiederum wusste zum angeblichen Kopiervorgang ebenfalls nichts zu sagen: “Ich habe nur mein Handy in dem Zimmer aufgeladen, da ich selbst kein Ladekabel hatte. Was damit passiert ist, weiß ich nicht.” Verteidiger Blaschitz möchte am Donnerstag den nach Frankreich ausgelieferten Adel H. per Videokonferenz befragen. Auch der für ihn in Verdacht geratene Ermittler soll noch einvernommen werden.