Letzte Woche wurde bekannt, dass Bernd Lucke den Bau einer Moschee in Erfurt unterstützt. Der Mann, der Deutschland die AfD gegeben hat—die Partei, deren Hauptanliegen zu sein scheint, gegen Flüchtlinge und den Islam zu hetzen—, setzt sich jetzt also für ein Projekt ein, das sein Ex-Parteifreund Björn Höcke mit allen Mitteln verhindern will. Seit Lucke den Parteivorsitz abgeben musste und aus der AfD ausgetreten ist, hat er Alfa gegründet, die “Allianz für Fortschritt und Aufbruch”. Experten sind in den Prognosen für deren Erfolg nicht besonders optimistisch, die Zahlen der Partei sind bisher so niedrig, dass sie nicht “seriös messbar” sind. Trotzdem sitzt Lucke jetzt als Alfa-Mitglied noch im EU-Parlament, in das er zu seinen AfD-Zeiten gewählt worden ist.
Wir wollten von ihm wissen, warum er plötzlich den Moscheebau unterstützt. Und ob es ihm eigentlich peinlich ist, was er mit der AfD auf dieses Land losgelassen hat.
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VICE: Warum unterstützen Sie, dass eine muslimische Gemeinde eine Moschee in Erfurt baut?
Bernd Lucke: Ich unterstütze die Religionsfreiheit. Zu ihr gehört auch, dass man Prediger hören kann und dafür braucht man einen Versammlungsraum. Sprich: Gotteshäuser sind vom Grundgesetz geschützt. Aus der Religionsfreiheit folgt das Recht, eine Moschee zu bauen. Ich halte es für völlig inakzeptabel, dass eine Partei wie die AfD dieses Grundrecht in Frage stellt. Die Grundrechte stehen auch Minderheiten zu und deshalb kann über sie nicht mit einem Mehrheitsvotum der Bürger entschieden werden.
Warum schalten Sie sich ausgerechnet in Erfurt in diese Debatte ein?
Ich hätte das überall in Deutschland getan und von wem auch immer ein Angriff auf die Religionsfreiheit durchgeführt wird. Aber ich sehe natürlich mit großem Bedauern, dass meine frühere Partei, die AfD, und ihr Thüringer Chef, Björn Höcke, gegen den Bau der Moschee protestieren.
Ist die AfD eine Anti-Islam-Partei?
Ja. Das zeigt, wie sich die Partei inzwischen verändert hat. Unter meinem Vorsitz hat der Bundesvorstand mehrfach beschlossen, dass Islam-Feindlichkeit in der AfD keinen Platz hat. Aber dann entstand die Pegida-Bewegung und Leute wie Gauland und Frauke Petry begannen, anti-islamische Rhetorik zu verbreiten. Da kam dann in Teilen der Mitgliedschaft viel Skepsis und Ablehnung dem Islam gegenüber hervor. Der moderate Teil der AfD aber war für Toleranz, und die Konflikte, die daraus entstanden, personifizierten sich im Streit zwischen Petry und Lucke. Und am Ende hat sich die Partei entschieden, einen Weg zu gehen, bei dem ich sagen musste: Hier will ich nicht Mitglied bleiben.
Verstehen Sie heute, warum sich die Partei so entwickelt hat?
Einmal, auf einem Landesparteitag in Baden-Württemberg Anfang 2014, habe ich mich in einer Rede dafür eingesetzt, dass eine muslimische Gemeinde ein Minarett bauen kann, dafür habe ich damals von der Mehrheit Beifall bekommen, es war allerdings nicht der komplette Parteitag. Es gab ein gewisses Murren bei einigen Mitgliedern. Das hat Alarmglocken bei mir klingeln lassen. Das zweite Ereignis war 2015, also schon während der Auseinandersetzung um die künftige Ausrichtung der AfD, wo der nordrhein-westfälische Landesparteitag für ein Minarett-Verbot gestimmt hatte. Ich kam am Abend des zweiten Tages dazu, wandte mich an den Landesvorsitzenden, sagte: “Das ist grundgesetzwidrig. Heb das auf.” Und der Beschluss ist in der Tat am nächsten Tag aufgehoben worden. Das zeigte aber trotzdem, wo die Reise hingeht. Doch das war “nur” der Streit ums Minarett. Ein Moscheeverbot, wie es die AfD in Thüringen fordert, ist schon eine ganze neue Qualität.
Denken Sie im Nachhinein manchmal: “Um Gottes Willen, was habe ich da geschaffen?”
Tut mir leid, wenn ich Sie enttäuschen muss, aber die jetzige AfD ist gerade nicht mein Werk. Ich habe eine bürgerliche, überwiegend liberal-konservative Partei gegründet. Aber so wie Rom auch nicht von einem Mann gebaut wurde, gab es halt auch andere Menschen in der AfD. Die heutige AfD ist geschaffen worden von Menschen wie Frauke Petry, Marcus Pretzell, Alexander Gauland und Björn Höcke.
Im September 2014 haben wir Michaela Merz interviewt, die im Bundesvorstand der Partei saß und damals schon ausgetreten war. Frau Merz sagt, dass Sie die AfD für den Rechstpopulismus geöffnet haben.
Falsch! Michaela März hatte sich bei den Nationalkonservativen angebiedert und war mit einer großen Deutschland-Fahne über den Parteitag marschiert. Daraufhin entzog ich ihr meine Unterstützung und das hat sie mir verübelt. Seither erzählt sie genau das Gegenteil dessen, was wahr ist. Ich habe noch nicht gesehen, dass sie ihren Vorwurf jemals belegt hat.
Aber trotzdem gab es auch immer wieder die “Einzelfälle”, von denen Sie ebenfalls wussten.
Falls Sie mit den Einzelfällen die Parteiausschlussverfahren meinen, die wir eingeleitet haben—was war daran falsch? Das Problem war ein anderes: Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten zwei Jahren polarisiert und teilweise radikalisiert. Und viele ursprünglich gutbürgerliche Mitglieder haben das auch getan. Rund 15% der Gesellschaft haben das getan und wählen jetzt AfD, während meine gemäßigt-bürgerliche AfD höchstens sieben Prozent bekommen hatte. Gegen eine solche Entwicklung können Sie mit Parteiausschlussverfahren nichts machen.
Haben Sie Fehler gemacht im Umgang mit Leuten wie Frauke Petry, Björn Höcke oder Alexander Gauland, die jetzt die Partei führen?
Ja, weil ich ihnen zu lange vertraut habe. Ich hätte nicht gedacht, dass sie diese Radikalisierung mitmachen oder sogar vorantreiben. Aber ich habe auch anderen Leuten vertraut, die standhaft geblieben sind. Leute wie Ulrike Trebesius, Bernd Kölmel, Hans-Olaf Henkel, Joachim Starbatty und Tausende treue Parteimitglieder, die uns bis zum Ende unterstützt haben. Die dann mit uns ausgetreten sind und mit uns Alfa gegründet haben. Denn wir brauchen nach wie vor eine politische Erneuerung in Deutschland und Europa.