Ich sollte mich im Vorhinein schon mal bei allen Isländern entschuldigen, die das lesen. Island ist einer der natürlich schönsten Orte auf der ganzen Welt. Seine idyllische Schönheit könnte sogar den abgehärtesten Soziopathen zum Winseln bringen und keiner, der nur annähernd bei Sinnen ist, würde den kulturellen Reichtum des Landes bestreiten. Ich will Island auch absolut nicht beleidigen, indem ich meiner Verwirrung über die dortigen Essensgewohnheiten Ausdruck verleihe.
Aber das Essen der Isländer hat mich echt verstört.
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Es wäre nicht ganz fair zu behaupten, Island wäre für sein Essen außerhalb der Landesgrenzen bekannt. Es ist vielleicht aber fair zu sagen, dass Island für sein Essen „bekannt” ist. Aber nicht auf dieselbe Art wie es Italien, San Francisco oder sogar Texas (für herausragende Barbecue-Kochkunst) sind. Islands Küche ist verrufen, weil sie von Außenstehenden (im Allgemeinen sind das die Nichtnordischen) als ekelhaft angesehen wird. Das Land exportiert fast gar keine Lebensmittel, weil nicht viele Nutzpflanzen an einem Gletscherhang und über mehrere Monate ohne Sonnenschein besonders gut gedeihen. Es besteht in der isländischen Küche auch die Verbundenheit zu kräftigen Aromen, die wohl noch von den Wikingern durchgesickert sind und definitiv nicht für den jeden Gaumen gemacht sind. Sogar der scheinbar unerschütterliche Anthony Bourdain erklärte hákarl—Islands traditionelles Gericht aus monatelang fermentiertem Haifleisch—als „das absolut ekligste Ding mit dem furchtbarsten Geschmack”, das er je in seinem Mund hatte. Und das sind die Worte eines Mannes, der schon Warzenschweinrektum, den Augapfel einer Robbe und das Herz einer Kobra, während es noch schlug, verspeist hat.
Walfleisch ist eine weitere regionale Spezialität, obwohl 40% davon von Touristen verzehrt wird. Ich hatte keine Gelegenheit es zu probieren, aber es wurde mir als „angsteinflössend, aber lecker” und vergleichbar mit „dem verstörenden Gefühl einen Freund zu essen” beschrieben.
Es ist nicht was für jeden, aber die isländische Küche ist auf jeden Fall alles andere als langweilig. Als ich letzte Woche in Island, genauer gesagt in Ásbrú, einem ehemaligen NATO-Stützpunkt im Flughafen Keflavik, ankam, gab es nur wenige Restaurants im Umkreis. Ich hatte schon Gerüchte über Eis am Stiel aus verrottetem Hai und Quesadillas aus Schafskopf gehört und war mental noch nicht darauf vorbereitet zu entscheiden, was ich essen soll. Und so stellte ich mich ohne ein einziges Wort der Landessprache zu beherrschen—außer takk (danke)—der faszinierenden und beängstigenden Aufgabe des Lebensmitteleinkaufs in Island.
Das erste Problem: Ich wurde vorgewarnt, dass Island sehr teuer ist. Ich bin ein schlechter Mathematiker und 1000 isländische Kronen entsprechen ein bisschen weniger als 6,50 Euro. Deshalb hatte ich während meiner Reise permanent das Gefühl, ich würde wahllos „tausende von irgendwas” aus dem Fenster schmeißen.
Ein Lebensmittelgeschäft, Nettó (eigentliche eine dänische Kette), sah so aus und fühlte sich so wie jedes andere in einer mittelgroßen amerikanischen Vorstadt. Ich bestaunte ein Regal mit abgepacktem geräucherten Lachs und entschloss, das das eine sichere Wahl ist. Dann musste ich aber eine der sechs Sorten aussuchen, die wild fluktuierende Preise hatten. Obwohl alle Packungen ungefähr gleich groß aussahen, kosteten zwei davon fast 5000 krona (mehr als 30 Euro?!), eine kostete 2600 krona (23 Euro) und eine Packung hatte sich mit 598 krona (3,90 Euro) darunter verirrt. Ich hatte zu viel Angst davor, den billigsten zu nehmen. Erstens, weil es auf dieser Welt nichts gratis gibt. Und zweitens, weil ich davon ausgehe, dass es auch einen Grund gibt, wenn eine Marke das gleiche Produkt für den 8-fachen Preis verkauft. Als hatte ich mich entschieden: Ich kaufe keinen Lachs.
Ich dachte, es wäre eine gute Entscheidung, vielleicht ein paar Brotaufstriche als Snack zwischendurch zu kaufen. Als ich aber in der Kühlwarenabteilung ankam, fiel mir auf, dass auf vielen Packungen „skinku” stand. Ich versuchte das Wort an meinem Handy zu suchen, aber das ergab keine relevanten Ergebnisse. Deshalb startete ich eine Bildersuche nach „skinku Iceland” und die Resultate zeigten einige Zeichnungen von DeviantArt und ein einziges Bild von einem gammligen Schafskopf auf einem Teller. Ich kaufte den Aufstrich nicht.
Gleich in der Nähe, entdeckte ich ein ganzes Regal „kalorienfreie Dips”, die von scheinbar amerikanischen Marken wie Walden Farms hergestellt wurden, von denen ich noch nie in meinem Leben gehört hatte. Es gab ungefähr 30 verschiedene Sorten Ranch-Dressing, Schokoladesauce, Erdnussbutter, Dips und aromatisierte Mayonnaise, die angeblich „keine Kalorien, kein Fett, keine Kohlenhydrate, kein Gluten und kein Zucker” enthielt, was ich sehr rätselhaft finde. Ich kann die wissenschaftliche Logik hinter fettarmen, zuckerfreien oder glutenfreien Produkten verstehen. Aber mein Gehirn weigert sich zu verstehen, wie ein Zimt-Rosinen-Erdnussaufstrich keine Kalorien haben kann, wenn er tatsächlich Rosinen oder Erdnüsse enthält. Rein aus unbändiger Neugier kaufte ich den französischen Zwiebeldip und den Speckdip. Später, als wir uns mit Tequila betrunken hatten, probierten meine Freunde und ich beide Dips und kamen zum Schluss, dass sie komplett ungenießbar sind. Der französische Zwiebeldip schmeckte schmeckte genau so, wie Latexfarbe riecht.
Im anschließenden Getränkeregal betrachtete ich einige Boxen mit einem Saft, der Brazzi heißt. Auf der Packung war ein muskulöser, italienisch aussehender Typ mit Oberlippenbart, der ungefähr so dünn wie ein Draht war, und mit einem Durag, darüber eine Taucherbrille und etwas das aussah, wie Fußballkleidung. Im Hintergrund steht ein fröhliches Mädchen mit einer pinken Perücke. Erst später wurde mir klar, dass das die Besetzung der isländisch-amerikanischen Kindersendung Lazy Town war, was den Saft aber nicht weniger komisch erschienen ließ. Brazzi könnte aber auf Ausländer weniger seltsam wirken, als zum Beispiel Kool-Aid, was von einem vermenschlichten Krug repräsentiert wird, der manchmal ein Hawaiihemd trägt und ein Gesicht hat, das aussieht, als hätte man es mit einem Edding gezeichnet.
Außerdem: Milch. In Island gibt es so viele verschiedene Milchsorten! Zumindest glaube ich, dass es Milch ist. Obwohl jede einzelne Person in Island fehlerfreies Englisch sprach und alle ausnahmslos freundlich waren, wollte ich nicht fragen. Es gab Blaubeermilch, Holundermilch und etwas das nach Dörrpflaumenmilch aussah. Darunter befand sich eine unglaubliche Bandbreite an verschiedenen Geschmacksrichtungen von skyr, eine Art griechischer Joghurt, der echt lecker ist. Ein skyr mit Bananensplitgeschmack von der Tankstelle war das erste, das ich nach meiner Ankunft aß und es schmeckte wie warmes Frozen Yogurt und war cremig, süß und herb zur selben Zeit. Skyr ist eines der ältesten isländischen Nahrungsmittel, das auf der Insel schon vor über 1000 Jahren konsumiert wurde und bis heute ein Grundnahrungsmittel ist. Nach einer Kostprobe von skyr will ich nie mehr den „griechischen Joghurt” zu Hause essen.
In der Gefrierabteilung stieß ich gleich auf einige Tierköpfe und es fühlte sich an, als würde ich eine lokale Berühmtheit bestaunen. Haufenweise große Köpfe mit kleinen Zähnen, die zwischen ihren enthäuteten Lippen hervorragen. Zuerst dachte ich, es handle sich um Schafsköpfe, aber die Schnauzen waren zu spitz im Vergleich zu den eher runden Gesichtern von typischen Schafen. Ich starrte sie einige Minuten an, während ich versuchte mir vorzustellen, wie sie wohl mit Haut und Fell aussehen würden und war mir dann schließlich sicher, dass es keine Schafe waren.
Ich dachte mir, dass ich zumindest mit Süßigkeiten nichts falsch machen konnte. Süßigkeiten sind Süßigkeiten, stimmt’s? Nein! Ein klares Nein. Ich kaufte mir drei Tafeln Schokolade und entschied, alle zu probieren, weil ich ein gieriges Kind bin. Ich bemerkte schnell, dass es sich gar nicht um Schokolade, sondern um mit Schokolade überzogene schwarze Lakritze handelte. Die Verpackungen sahen alle komplett unterschiedlich aus und stammten auch von verschiedenen Herstellern, aber das isländische Bedürfnis, alles mit Lakritzgeschmack zu beschmutzen, ist wohl so stark, dass jede einzelne Süßigkeit davon befallen war. Noch schlimmer, die schwarze Lakritze hat nicht den dezenten Geschmack der amerikanischen Jelly Beans. Es ist eine aggressive Sorte von Salmiak-Süßigkeiten, die ihren Geschmack durch Ammoniumchlorid erhalten. Dracula Megas sind eine gute Wahl, weil sie sogar eine Füllung haben, die aus purem Ammoniumchloridpulver besteht (oder zumindest so schmeckt). Ich kann aber auch Haribos salzige Gummibären mit Brezelgeschmack empfehlen.
Ich verließ das Geschäft mit ein paar Reiswaffeln, einem veganen Käse, der Sheese heißt und von einer schottischen Marke stammt, einer Pizza, die ungekühlt in der Backwarenabteilung lag und vier Klementinen (wovon zwei innen schwarz und verfault waren). Trotz alledem wollte ich das Geschäft eigentlich gar nicht verlassen. Es eine eigenartige und wunderbar abstoßende Welt.