Alexander Van der Bellen, der ehemalige Parteivorsitzende der Grünen ist durch, er ist der nächste Bundespräsident. Die tatsächliche Gewinnerin dieser Wahl könnte allerdings die FPÖ sein. Denn es ist das bei Weitem beste Ergebnis für eine rechtsextreme Partei in Westeuropa seit dem Zweiten Weltkrieg. Sehr viele, die bei einem der insgesamt drei Wahlgänge erstmals FPÖ wählten, könnten nun auf den Geschmack gekommen sein und auch in Zukunft ihr Kreuzchen bei den Blauen machen.
2016 war vor allem ein Jahr der Polarisierung rund um das Thema Migration. Die Wahl hat genau zwei Möglichkeiten zugelassen: Alexander Van der Bellen wurde trotz aller Verbiegungen als tendenziell migrationsfreundlich wahrgenommen, die FPÖ repräsentiert das Lager des Rassismus. Viele haben in dieser Situation erstmals so gewählt, wie sie politisch eigentlich ohnehin denken.
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Apropos Migration und Wahlen: Enorm viele Menschen, die in diesem Land leben, dürfen hier nicht wählen. In Wien betrifft das beispielsweise rund ein Viertel der Bevölkerung. Bei Debatten um Wahlergebnisse und politische Stimmungen sollte dieser an Wahltagen unsichtbare Teil der Bevölkerung nie vergessen werden.
Alexander Van der Bellen ist kein strahlender Sieger. Viele haben ihn voller Überzeugung gewählt, viele andere allerdings vor allem als kleineres Übel. Auch der Wahlkampf von Van der Bellen und seinen UnterstützerInnen beruhte wesentlich auf einer klaren Strategie: durch eine Stimme für den liberalen Wirtschaftsprofessor sollte Norbert Hofer als Präsident verhindert werden. Diese Verteidigungshaltung ist aber gleichzeitig auch ein Indiz, wer in diesem Wahlkampf wen vor sich her trieb.
Sowohl Van der Bellen wie Norbert Hofer zielten mit ihrem Wahlkampf auf bürgerliche und konservative WählerInnenschichten. Ein Euro für jeden Trachtenjanker im Wahlkampf von Van der Bellen und wir müssten nie wieder arbeiten. Rot-weiß-rote Fahnen, Bergpanoramen, Blaskapellen allerorten, ein Wahlkampf wie ein Kirtag.
Wahlstrategisch war diese Werbelinie durchaus folgerichtig: Hofer hatte bereits im ersten Wahlgang im April 35 % der Stimmen erhalten. Gemeinsam mit dem bekannt rechtskonservativen ÖVP-Kandidaten Andreas Khol und dem rechten Clown Richard Lugner konnte das konservative bis rechtsextreme Spektrum bei dieser Wahl rund 49 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen.
Demgegenüber bekam Van der Bellen am 24. April 2016 gerade einmal 21 %. Wohin die Stimmen von Sozialdemokratie und insbesondere Irmgard Griss wandern würden, war keineswegs klar. Bereits vor der ersten Stichwahl führte Van der Bellen also einen Wahlkampf, der vor allem das bürgerlich-konservative Lager ansprechen sollte. Nach dem juristisch umstrittenen Urteil zur Aufhebung der Wahl verstärkte sich dieser Trend nochmals.
Auch Norbert Hofer fraß nun zeitweise so viel Kreide, dass verwunderlich war, wie er überhaupt noch sprechen konnte.
Wir sahen nun einen Wahlkampf, der das Phänomen der US-Wahlen auf Österreich übertrug: jedes Lager war sich bestimmter Stimmenpotenziale sicher, der Wahlkampf fokussierte sich fast ausschließlich auf die wenigen Unentschlossenen. Diese sollten entweder gewonnen oder zumindest neutralisiert werden. (Dass diese Strategie allerdings auch gewaltig ins Auge gehen kann, zeigen die aktuellen Wahlen in den USA).
Auch Norbert Hofer fraß nun zeitweise so viel Kreide, dass verwunderlich war, wie er überhaupt noch sprechen konnte. Seine Verdrehungen der FPÖ-Positionen zur EU waren abenteuerlich. Seiner Partei empfahl der deutschnationale Burschenschafter und Autor des Parteiprogramms, auf die traditionelle Kornblume (das Erkennungszeichen der illegalen Nazis) zu verzichten. Schließlich behauptete Hofer sogar, aus einem christlich-sozialen Elternhaus zu stammen.
Tatsächlich aber war sein Vater ein strammer FPÖler: Hofer senior amtierte als Gemeinderat für die Blauen und war sogar Obmann des Freiheitlichen Seniorenrings im Burgenland. Dennoch hat der Wahlkampf von Norbert Hofer insgesamt die Positionen der FPÖ deutlich klarer gespiegelt als der von Van der Bellen die Linie der Grünen.
Gleichzeitig musste sich Van der Bellen in vielen Bereichen wahrscheinlich weit weniger verbiegen, als seiner Partei (und vielen, die ihn wählten) lieb war: der Wirtschaftsprofessor ist kein Linker sondern ein klassischer Liberaler. Dass er also etwa für Freihandelsabkommen eintritt, sollte nicht überraschen. Auch seine sehr deutliche Pro-EU-Linie entspricht wohl durchaus seinen persönlichen Überzeugungen.
Was wird der Sieg von Van der Bellen nun konkret bringen?
Was wird der Sieg von Van der Bellen nun konkret bringen? Erst mal nicht viel. Die linke, die fortschrittliche und die bürgerlich-liberale Hälfte des Landes atmet gerade tief durch, rechts sind die üblichen Verschwörungstheorien zu erwarten (Geheimtinte, Komplott der Bolschewisten, Chemtrails–je nach persönlichem Bedarf).
Van der Bellen wird sich als staatstragender Einiger des Landes präsentieren und ein Amtsverständnis an den Tag legen, das dem seines Vorgängers Heinz Fischer nicht unähnlich ist. Bei der einen oder anderen Gelegenheit wird er sich zu Wort melden, praktisch gestalten wird er aber vermutlich kaum. Auffallend ist übrigens, dass es nun relativ lange keine/n PräsidentIn gegeben hat und das eigentlich niemanden abgegangen ist–die Frage, wofür dieses Amt insgesamt gut ist, darf also durchaus gestellt werden.
Die größte Macht des Bundespräsidenten ist die Entlassung der Regierung und die Ernennung einer neuen. Die hätte dann zwar wahrscheinlich keine Mehrheit im Parlament, könnte aber dem Bundespräsidenten den Vorschlag machen, das Parlament aufzulösen. Die Folge wären Neuwahlen. Ebenfalls möglich ist, dass der Bundespräsident eine Regierung nicht ernennt, die eine Mehrheit im Parlament hat. Das würde auf einen Machtkampf zwischen Parlament und Präsidenten hinauslaufen. So etwas ist von Van der Bellen kaum zu erwarten.
Auch die Debatte um eine mögliche Angelobung von Kanzler Strache ist praktisch wenig relevant. Spielen wir es durch: Die FPÖ hat nach einer Neuwahl gemeinsam mit einer weiteren Partei die Mehrheit im Parlament. Die neue Koalition nominiert Strache als Regierungschef. Van der Bellen lehnt das ab, die FPÖ und die zweite Partei bestehen aber auf der Nominierung. Auch hier ist eher unwahrscheinlich, dass Van der Bellen einen tatsächlichen Machtkampf gegen die Regierung beginnt.
Für die FPÖ ist diese Wahl trotz der Niederlage ein riesiger Erfolg und ein enormer Durchbruch. Wer hätte vor zwei Jahren geglaubt, dass ein Kandidat der FPÖ bei einer bundesweiten Wahl knapp die Hälfte der Stimmen erhalten kann? Weder die FPÖ noch eine ihrer rechtsextremen Schwesterparteien in Westeuropa schafften es bisher bei einer bundesweiten Wahl jemals über 30 % der Stimmen.
Das traditionelle Parteiensystem der Zweiten Republik ist endgültig tot.
Ihr bisher bestes Ergebnis erreichte die FPÖ im Jahr 1996: Unter Jörg Haider kam die Partei bei der damaligen EU-Wahl auf 27,5 %. Gegenüber den letzten bundesweiten Wahlen ist die Steigerung sogar noch deutlicher: Bei der letzten Nationalratswahl im Jahr 2013 erhielt die FPÖ 20,5 %, bei der EU-Wahl im darauffolgenden Jahr waren es 19,7 %. Dieses Ergebnis wird von Norbert Hofer nun mehr als verdoppelt.
Norbert Hofer trat klar als Kandidat der FPÖ auf, während Alexander Van der Bellen Wahlempfehlungen der Parteivorsitzenden von SPÖ, ÖVP, Grünen und Neos sowie von Bundespräsident Fischer und Ex-Kandidatin Irmgard Griss erhielt. Die Erzählung der FPÖ als angeblich einziger Alternative zum Establishment erhält neue Nahrung.
Die Kandidaten von SPÖ und ÖVP haben es nicht einmal in die Stichwahl geschafft, das traditionelle Parteiensystem der Zweiten Republik ist endgültig tot und begraben. Die FPÖ könnte die ÖVP langfristig als stärkste Kraft im rechten Lager ablösen. Auch Neuwahl-Spekulationen für Frühjahr 2017 werden immer lauter. In der ÖVP haben sich führende Kräfte offenbar bereits damit abgefunden, in Zukunft als Juniorpartner der FPÖ zu agieren.
Die Sozialdemokratie bereitet sich ebenfalls auf Neuwahlen vor. Die Auseinandersetzungen in der Wiener SPÖ sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was bundesweit nach einem Erdrutschsieg der FPÖ zu erwarten ist.
Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil gab bereits vor der letzten Stichwahl eine indirekte Wahlempfehlung für Norbert Hofer ab. Im Burgenland, wo auch Doskozil seine politische Heimat hat, bildet die Sozialdemokratie bereits mit der FPÖ eine gemeinsame Regierung. Intern kursierte dort in der SPÖ der Aufruf, “burgenländisch” zu wählen, also das Kreuz beim Pinkafelder Norbert Hofer zu machen.
Für zukünftige Wahlen könnte die Bundespräsidentschaftswahl nun als Eisbrecher fungieren.
In nächster Zeit wird es allerlei Erklärungsversuche für die annähernd 50 % für Norbert Hofer geben. Viele davon werden sich darum drehen, die Motive zu relativieren. Wir werden lesen, dass es sich nicht um Stimmen für die FPÖ als Partei gehandelt hätte, dass diese Wahl besondere Umstände gehabt hätte und dass es sich um eine Protestwahl gehandelt hätte.
All das enthält einen Funken Wahrheit, all das ist aber gleichzeitig eine Beleidigung der Intelligenz der WählerInnen der FPÖ (die einem schon manchmal in den Sinn kommen kann). Egal ob uns das gefällt oder nicht, die Menschen, die Norbert Hofer gewählt haben, haben sich das genauso überlegt wie die, die Alexander Van der Bellen gewählt haben.
Seit der Machtübernahme durch Jörg Haider im Jahr 1986 hat die FPÖ ein Thema, das alles andere überlagert: Rassismus. Jeder Wahlkampf wird hauptsächlich damit bestritten. Wer die FPÖ wählt, weiß, dass diese Partei bis ins Mark rassistisch ist. Die FPÖ wird wegen ihres Rassismus gewählt oder dieser wird zumindest billigend in Kauf genommen. Auch Umfragen nach vergangenen Wahlen zeigen immer wieder, dass für WählerInnen der FPÖ das Thema Migration meist wahlentscheidend ist.
Für zukünftige Wahlen könnte die Bundespräsidentschaftswahl nun als Eisbrecher fungieren. Wer jetzt erstmals FPÖ gewählt hat, könnte auf den Geschmack gekommen sein. Bei den nächsten Wahlen ist ein Ergebnis für die FPÖ um die 40 % keineswegs auszuschließen.
Der Erfolg der FPÖ basiert auf Rassismus und auf Unzufriedenheit. Der Rassismus wird von den Regierungsparteien seit vielen Jahren ebenfalls vertreten, das spielt der FPÖ zusätzlich in die Hände. Sie hat in dieser Frage schlicht die Themenführerschaft, diesmal wählten die Menschen eben dann tatsächlich auch den Schmied und nicht den Schmiedl.
Der gebetsmühlenartig wiederholte Hinweis auf den Rassismus und Deutschnationalismus der Partei wird als Antwort ebenso wenig helfen wie das Bekenntnis zur Europäischen Union, die von breiten Teilen der Bevölkerung als Vollstreckerin der Interessen der Großkonzerne wahrgenommen wird. Auch das Aufdecken des täglichen Einzelfalls in der FPÖ ist zwar notwendig– aber glaubt irgendjemand ernsthaft, dass sich FPÖ-WählerInnen danach scharenweise voller Entsetzen abwenden? (Und falls ja, warum ist es dann bisher nie passiert?)
Ein exemplarisches Beispiel dafür ist die Nationalratswahl im September 2008. Wenige Tage vor der Wahl hatte die Zeitschrift News Bilder von FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache auf einem Wehrsportlager veröffentlicht. Das schadete der Partei allerdings keineswegs: bei den folgenden Wahlen legte sie um 6,5 % auf 17,5 % der Stimmen zu.
Eine erfolgversprechende Auseinandersetzung mit der FPÖ wäre vor allem über die soziale Frage möglich. Denn in diesem Bereich vertritt die Partei im Gegensatz zum Rassismus tatsächlich etwas völlig anderes, als viele ihrer WählerInnen glauben.
Die FPÖ positioniert sich regelmäßig gegen Vermögenssteuern, will den Sozialstaat schwächen und die Mindestsicherung als letztes Netz vor der völligen sozialen Verelendung kürzen – Themen, wo viele ihrer WählerInnen anders denken und auch unmittelbar negativ von den Auswirkungen einer FPÖ-Regierung betroffen wären. Eine Diskussion um diese Themen bedeutet nicht, dass damit die rassistischen Überzeugungen vieler FPÖ-WählerInnen überwunden wären. Doch es wäre zumindest eine Möglichkeit, in eine erfolgversprechende Auseinandersetzung einzusteigen.
Heute werden viele einmal durchatmen. Doch Atemkontrolle allein wird nichts verändern. Diese Wahl hat gezeigt, dass fast die Hälfte der wahlwilligen Bevölkerung dazu bereit ist, einen Rechtsextremen zu wählen. Und damit werden wir uns auseinandersetzen müssen.