“Ist es OK, dass wir hier sitzen?”, fragt mich Ivana Chubbuck, während sie sich in ihrem Sessel zurecht rutscht. Sie hat sich in einer abgelegenen Ecke der Hotel-Lobby niedergelassen. Da, wo es ruhiger ist. Sich intensiv und ungestört unterhalten zu können, ist ihr sehr wichtig. Außerdem möchte sie, dass sich auch ihr Gesprächspartner wohlfühlt. Überraschend ist das nicht: Schließlich ist es Kommunikation am Rand zum Seelenstriptease, der einen Großteil ihrer Arbeit ausmacht.
Chubbuck ist Schauspiel-Coach und gilt gemeinhin als “Star-Flüsterin”. Sie hat Brad Pitt zu dem Schauspieler gemacht, der er heute ist, und Halle Berry auf ihre oscarprämierte Rolle in Monster’s Ball vorbereitet. Glaubt man dem, was Hollywood-Stars über sie sagen, ist die 64-Jährige allem voran eine Art Therapeutin, die zusammen mit ihren Klienten menschliche Abgründe erforscht, um sie in etwas Positives, Produktives zu verwandeln. Dabei schont sie sich selbst nicht: Chubbuck wuchs in missbräuchlichen Verhältnissen auf, ließ eine Drogensucht hinter sich und hat keine Probleme, offen über ihre eigenen Tiefpunkte zu sprechen. Ein Punkt, den auch ihr Buch The Power of the Actor aufgreift, das dieses Jahr erstmalig in Deutschland erscheint.
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Grund genug, sich mit der Amerikanerin zusammenzusetzen – und über destruktive Egos, menschliche Tragödien und die Macht des Zweifelns zu sprechen.
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Broadly: Du bist die erste Person, die ich interviewe, die sich ganz bewusst darauf fokussiert, eine ruhige, entspannte Gesprächsatmosphäre zu haben.
Ivana Chubbuck: Mir ist nichts wichtiger als Kommunikation. Wenn ich mit Regisseuren, Autoren und Schauspielern arbeite, bringen die Schauspieler auch ihre eigenen Geschichten mit. Sie füllen die Story aus und machen sie dadurch zu etwas wahrem, was zwischen echten Menschen passiert. Ich interessiere mich total für die Leben anderer Menschen und wie sie es schaffen, zu überleben. Deswegen ist es für mich auch immer etwas seltsam, mit Journalisten zu sprechen. Ich weiß nichts über sie, sie wissen aber etwas über mich. Du willst meine Geschichte hören, ich interessiere mich aber für deine. Was interessiert Lisa? Bist du verheiratet? Hast du einen Freund?
Hast du dich deswegen dafür entschieden, die Leute lieber zu coachen, als selbst Schauspielerin zu werden?
Es ist so viel befriedigender, jemandem dabei helfen zu können, etwas zu erreichen, als einfach nur von der Industrie glorifiziert zu werden. Ich bin einfach keine Narzisstin. Es würde mich zum Beispiel glücklich machen, wenn du aus diesem Gespräch etwas mitnimmst. Wenn dich irgendetwas, worüber wir hier sprechen, dazu bringt, eine glücklichere Person zu sein – oder besser mit den Dingen umgehen zu können, die dich momentan beschäftigen. Das könnte ich nicht leisten, wenn es nur um mich auf der Leinwand oder der Bühne ginge. Ich möchte irgendwann mal sagen können, dass ich die Leben von Millionen Menschen beeinflusst habe, nicht nur mein eigenes.
Ich glaube, dass Leid viele Formen haben kann.
Gleichzeitig haben ja auch Schauspieler die Möglichkeit, Millionen von Menschen positiv zu beeinflussen. Indem sie beispielsweise Charaktere spielen, die Krisen überstehen und Betroffenen dadurch Mut machen.
Genau das wünsche ich mir auch von Schauspielern. Ich will nicht, dass es ihnen nur darum geht, für ihre Rolle gelobt zu werden oder einen Oscar zu bekommen. Es ist viel wichtiger, die grundlegende Realität von jemandem zu nehmen, der den Tiefpunkt erreicht hat, und das in einen Charakter zu packen. Damit man dem Publikum dann zeigen kann: Ich habe dieselben Unsicherheiten, dieselben Ängste, dieselben Probleme in meiner Beziehung oder mit meinen Eltern, dieselben Missbrauchserfahrungen. Nimm deine Traumata, deine Unsicherheiten und deine Ängste und versuche, sie zu Instrumenten zu machen, die dir dabei helfen, deine Ziele zu erreichen. Ich erreiche das, was ich erreichen will, nicht trotz meiner Probleme, sondern wegen ihnen. Ich glaube, das ist eine gute Lebenseinstellung.
Egal wie alt du bist, wie du aussiehst, aus welcher schwierigen Situation du kommst: Jeder hat die Möglichkeit, erfolgreich zu sein, wenn er hart arbeitet, Risiken eingeht und sich nicht von irgendwelchen festgesteckten Grenzen zurückhalten lässt. Mal außerhalb der Linien. Lass dir davon nicht vorschreiben, was du tust.
Uns wurde im Kindergarten immer gesagt, dass wir Dinge “ganzheitlich” malen sollen. Nicht erst eine “Pelle”, die man dann ausfüllt.
Ich habe das Gefühl, dass einem als Kind oft diese ganzen Freiheiten gegeben werden. Wenn du dann aber älter wirst, nehmen sie dir die wieder weg. Deswegen sage ich immer: In der Kunst kann 2 + 2 “orange” ergeben, auch wenn die Lösung in der Realität immer “4” ist. Freiheit hat so viel mit Wissenschaft zu tun. Es gibt in der Geschichte so viele Beispiele, bei der Wissenschaftler Dinge erfunden haben, obwohl sie eigentlich etwas anderes schaffen wollten. Das gilt natürlich auch für Beziehungen.
Menschen, in die du dich Hals über Kopf verliebst, entsprechen nur selten irgendwelchen ganz konkreten Vorstellungen, die du vorher irgendwo mal festgehalten hast. Freiheit ist für mich ein wichtiges Ermächtigungswerkzeug. Die Gewissheit, dass es in Ordnung ist, sich auszuprobieren.
Es ist einfach aufzugeben und sehr schwer, es nicht zu tun.
Eines meiner Lieblingsbücher basiert auf der These, dass große Kunst nur durch Scheitern, durch Schmerz entstehen kann. Es ist ein dystopischer Roman, wenn man sich unsere Kulturgeschichte anguckt, hatte aber beinahe jeder große Künstler irgendeine Art von tragischer Lebensgeschichte.
Ich werde von allen möglichen Leuten, egal wo auf der Welt, immer wieder gefragt, ob es als Künstler wichtig ist, traumatische Erfahrungen zu machen. Ich glaube aber, dass Leid viele Formen haben kann. Stell dir vor, du hast wundervolle Eltern. Ihr gehört der Mittelklasse an, Geld war nie ein Problem. Und trotzdem geht es dir nicht gut, weil du vielleicht einfach nicht das Gefühl hast, in diese Welt zu passen. Dein Leid zeigt sich dem tiefgreifenden Gefühl, nicht dazuzugehören.
Meine Mutter war mir gegenüber gewalttätig. Sie hat zwanghaft gelogen und war ein Messie. Ich bin inmitten von Müll aufgewachsen, überall waren Kakerlaken und anderes Ungeziefer. Sie hat niemals irgendeine Diagnose bekommen, aber glaub mir, sie war psychisch krank. Mein Vater war ein fantastischer Mann, ein Anwalt, aber er war einfach zu schwach, um sich damit auseinanderzusetzen. Ein klassischer Hintergrund für das Bild des “gepeinigten Künstlers” also. Trotzdem habe ich in all den Jahren so viele Menschen getroffen, deren persönliche Tragödien nicht einmal im Ansatz an meine herangereicht haben, und die trotzdem fantastische Künstler waren.
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Um auf den ursprünglichen Punkt zurückzukommen: Ich glaube nicht, dass man großes Leid erfahren haben muss, um große Kunst zu schaffen. Aber wenn es einem widerfahren ist, kann man es eben auch nicht rückgängig machen. Deswegen: Nimm dein Leid und tu etwas Konstruktives damit. Niemand hat ein perfektes Leben und jeder musste schon irgendetwas durchmachen. Was du daraus machst, macht den Unterschied zwischen einer dynamischen Person, einem Macher, oder jemandem, der sich besiegen lässt, einem Opfer. Ich bringe den Leuten bei, keine Opfer zu sein. Es ist einfach aufzugeben und sehr schwer, es nicht zu tun. Aber es ist nichtsdestotrotz eine Wahl, die du triffst.
Du hast mit Schauspielern und Regisseuren, aber auch mit Late-Night-Hosts wie Jon Stewart gearbeitet. Gibt es ein Problem, das all diese verschiedenen Menschen eint? Irgendetwas, an dem alle arbeiten wollen?
Ich glaube, die größte, universale Angst ist das Zweifeln. Mache ich das Richtige? Sollte ich das wirklich weitermachen? Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Zweifel können dich richtig fertig machen, weil sie irgendwann zu Angst werden. Andererseits bringen sie dich vielleicht dazu, dich selbst zu hinterfragen und offen für Feedback von außen zu sein.
Ich glaube, dass man alles, wofür man sich schämt, wie eine Medaille tragen sollte.
Auf deiner Website sagst du, dass das, was Wachstum und Vorankommen am meisten im Weg steht, das Ego ist. Das wiederum widerspricht wahrscheinlich so ein bisschen der Vorstellung, die man als Außenstehender von Hollywood und Schauspielern hat.
Ego zerstört alles. Steht das nicht auch in der Bibel? Ach, bestimmt! [lacht] Das Ego hält dich davon ab, aufgeschlossen zu sein. Du kannst nichts mehr lernen, weil du zu beschäftigt damit bist, immer Recht zu haben. Wenn du die Schönste, Beste und Klügste bist, gibt es keinen Raum mehr, für neue Information. Stell es dir vor wie einen Schwamm: Wenn ein Schwamm schon vollgesogen ist mit Wasser, kann er ja auch nichts mehr aufnehmen.
Ein zu großes Ego kann etwas abstoßendes haben, gerade in Beziehungen. Wenn du so ein Ego hast, wirst du auch immer unglücklich sein, weil die Leute dich nie als die Person sehen werden, von der du glaubst, dass du sie bist. Du rennst deiner eigenen Vorstellung von dir selbst immer hinterher. Das sieht man zum Beispiel bei Leuten, die sich unters Messer legen. Eine Operation reicht nicht, also kommt dann die nächste und das wird irgendwann richtig schlimm. Wenn du Schönheitschirurgin werden möchtest, geh nach Hollywood! Es ist total verrückt, wie da manche Gesichter aussehen. Das sind dann noch nicht mal die Schauspieler, sondern die ganz normalen Leute. Die echten Stars brauchen das nicht. Ich habe übrigens auch herausgefunden, dass die Leute netter werden, je bekannter sie sind.
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Es klingt so ein bisschen, als hätte dein Schauspiel-Programm auch eine psychologische, therapeutische Komponente.
Das ist Teil davon, für uns alle. Ich habe auch selbst immer wieder Offenbarungen. Wenn ich jemand anderem helfe, hilft es auch mir. Oft denke ich mir plötzlich: “Ach, deswegen hat mein Vater das damals zu mir gesagt! Deswegen habe ich so da drauf reagiert!” Ich glaube, Leute öffnen sich mir gegenüber auch so schnell, weil ich selbst sehr offen bin. Ich rede auch über die Dinge, die mich beschäftigen – um daraus etwas zu lernen und nicht einfach nur, weil ich mich gerne beschwere. Wenn ich wirklich etwas an meinem Verhalten und an der Art und Weise, wie ich denke, verändern möchte, muss ich mir zuerst angucken, wofür ich mich schäme und offen damit umgehen.
Ich glaube, dass man alles, wofür man sich schämt, wie eine Medaille tragen sollte. Du hast etwas überlebt. Und bist dadurch vielleicht zu einem besseren Menschen geworden.