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Der VICE Guide zum Demonstrieren

Pfefferspray, Hitlergrüße, Sturmhaube und die Nummer eines Anwalts: Was du brauchst und was du besser lassen solltest.
Hintergrund: Hartenfelser | imago

Hat gerade jemand deinen Lieblings-Kampfhund eingeschläfert? Findest du es scheiße, dass in ostdeutschen Städten Neonazis durch die Straßen rennen? Oder liebst du einfach nur den Geruch von Pfefferspray am Morgen? In jedem Fall weißt du, was zu tun ist: Du musst auf eine Demo!

Die Zeiten, in denen die Deutschen als Demo-faul galten, sind vorbei: Allein in Berlin gibt es mittlerweile 5.000 Demos pro Jahr. Erstmal ist das schön, wenn Menschen sich engagieren – und zwar nicht nur, wenn dabei ein Gratiskonzert von den Toten Hosen und Marteria herausspringt. Allerdings gibt es auch bei Demos ein paar Regeln, die man kennen sollte. Hier haben wir, die alten Demo-Hasen von VICE, sie für dich zusammengetragen:

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Such dir die richtige Demo für dich aus

Egal, was dich gerade bewegt – Widerstand gegen den Kapitalismus oder gegen Eggs Benedict –, es wird eine Demo für dich geben. Um sie zu finden, schaust du am besten in die sozialen Medien, da findest du wirklich alles – auch Demos gegen Facebook werden wahrscheinlich mittlerweile auf Facebook angekündigt.

Und wenn du wirklich niemanden findest, der schon eine Demo zu deinem Anliegen organisiert, dann organisier sie einfach selbst. Und selbst wenn du niemand findest, der mir dir demonstriert: Man kann auch alleine demonstrieren, wie dieser türkische Berliner beweist, der seit zwölf Jahren jeden Tag auf seinem Demo-Fahrrad durch die Stadt fährt und sein Wahlrecht verlangt.

Geh nicht aus Versehen auf die falsche Demo

Klingt bescheuert, passiert aber öfter, als man denkt – also pass auf. Wenn du nämlich mit deinen pinken Haaren und dem "Deutschland verrecke ;-)"-Pappschild plötzlich zwischen lauter muskulösen Glatzen in dunklen Klamotten stehst, kann das schnell sehr unangenehm werden.

Wenn es aber doch passiert und du nicht sofort bemerkt wirst, dann mach das Beste draus – so wie dieser Typ, der eigentlich auf die "AfD Wegbassen"-Demo in Berlin im Mai wollte, sich aber in die AfD-Demo verirrte. Als die Rede von Alexander Gauland anfing, kletterte er kurzerhand auf einen Lautsprechermast und zeigte Gauland den Mittelfinger, was den AfD-Chef so aus dem Konzept brachte, dass er seine Rede unterbrach. Generell gilt aber: Riskier es lieber nicht.

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Bring die richtige Ausrüstung mit

DOs:

  • Medikamente, die du brauchst; Ausweis, Essen und Trinken; sonst nichts, es wird dir Anzeigen einbringen.

DONT's:

  • Messer, Knüppel, Schuss- und Sprengwaffen. Wenn du auf sowas Bock hast, solltest du dich vielleicht sowieso lieber in der Ukraine "engagieren".
  • Alles, was dich gegen Pfefferspray schützen könnte – Schutzbrillen, Gas- und Atemmasken, sogar Plastikfolien – ist leider verboten. Sonnen- und Fensterglasbrillen sind allerdings erlaubt. Wenn dich Pfefferspray in den Augen erwischt, dann hilft ein Mittel namens "oculav NIT". Für andere Hautpartien hilft eine Mischung aus Wasser- und Sodbrennmittel. Wir haben hier sogar mal einen ganzen Guide nur für Pfefferspray geschrieben.
  • Generell alle Arten von "Schutzwaffen": Helme, Schilder, gepolsterte Kleidung, Protektoren und Zahnschutz. Das Verbot gilt übrigens auch für die Demo-Sanitäter – auch die dürfen keine Warnweste tragen.

Mach keine Hitlergrüße

Bis vor sehr Kurzem hätten wir nicht gedacht, dass wir das schreiben müssen. Deshalb nochmal ganz langsam: Hitlergrüße sind verboten. Sie sind außerdem der schnellste Weg, der ganzen Welt zu signalisieren, dass du Massenmord cool findest. Wenn du auf einer Demo stehst und plötzlich Lust verspürst, deinen rechten Arm hochzureißen, dann geh sofort nach Hause, lösch deinen Facebook-Account, hör mit dem Trinken auf und denke mindestens ein Jahr lang intensiv über dein Leben nach.


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Auch bei VICE: Chaos in Chemnitz


Wenn die Leute neben dir Hitlergrüße machen, geh weg

Warum auch immer du gerade auf der Straße bist – sei es, weil ein Freund von dir erstochen wurde, du die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scheiße findest oder weil der Thorsten gesagt hat, dass es danach Freibier gibt –, sobald Leute um dich rum anfangen, Hitlergrüße zu machen oder "Ausländer raus!" rufen und nicht sofort von den anderen weggejagt werden, dann bist du auf einer Neonazi-Demo. Sobald du daneben stehst und nichts unternimmst, gehörst du dazu. Wenn du Angst hast, dich mit den Leuten anzulegen, dann geh einfach so schnell wie möglich weg – und lösch am besten gleich die WhatsApp-Gruppen, in denen du von der Demo gehört hast.

Lass die Balaklava zuhause

Seit dem Vermummungsverbot von 1985 ist es in Deutschland verboten, während Demonstrationen das Gesicht zu verdecken. Der Grund dafür: Falls jemand eine Straftat begeht, will die Polizei die Person identifizieren können. Wenn sie das nicht kann, dann gibt es Festnahmen – oder die Demonstration wird aufgelöst.

Obendrein läufst du mit einer Sturmhaube Gefahr, mit einer verdeckten Ermittlerin verwechselt zu werden: Die vermummen sich nämlich auch ganz gerne mal. Zum Beispiel bei der "Welcome to Hell"-Demo am Vorabend des G20-Gipfels. Da haben sich laut Zeugen Zivilbeamte, mit schwarzen Tüchern vermummt, unter die Menge gemischt – und kurz darauf hat die Polizei die Demonstration gewaltsam aufgelöst. Mit der Begründung: Es seien vermummte Demonstranten anwesend.

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Schreib dir die EA-Nummer auf

Auf jeder größeren linken Demonstration gibt es einen "Ermittlungsausschuss": Leute, die in einem Kabuff sitzen und darauf warten, dass jemand anruft und einen Anwalt oder eine Anwältin braucht. Am Anfang der Demonstration wird die Nummer des "EAs" durchgesagt: Schreib sie dir auf den Arm.

Wenn du festgenommen wirst, ruf deinen Namen: Dann kann eine Person, die sich die Nummer auf den Arm geschrieben hat, für dich den oder die EA anrufen. Wenn die Polizei dich nach fünf Minuten Kontrolle deiner Springerstiefel wieder gehen lässt: Ruf nochmal an. Die ehrenamtlichen Anwaltsvermittler und -vermittlerinnen gehen nämlich nicht nach Hause, bis sie nicht von jedem und jeder einzelnen Festgenommenen wissen, wie es ihm oder ihr geht.

Du kannst schon Selfies machen – aber nur vor Mülltonnen, die du selber angezündet hast

OK, wir wollen nicht, dass du irgendwelche Mülltonnen anzündest. Es stinkt wahnsinnig, ist schlecht für die Umwelt und nützt meistens nur den Leuten, die dich und deine Mit-Demonstrierenden als Randalierer darstellen wollen. Aber weißt du, was wirklich noch viel dümmer ist, als eine Mülltonne anzuzünden? Sich vor eine brennende Mülltonne stellen und dann ein Selfie zu machen – so wie der berüchtigte "Riot Hipster" von den G20-Protesten in Hamburg.

Sagen wir es so: Eine brennende Mülltonne signalisiert, dass da Leute unterwegs sind, die ihre Ideen notfalls auch mit Krawall verbreiten wollen. Ein Selfie vor einer brennenden Mülltonne erweckt den Eindruck, dass hier ein Haufen narzisstischer Kinder herumhüpft, denen völlig egal ist, dass die Welt brennt, solange ihr Insta-Feed die richtige Farbmischung hat.

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Entscheidet selbst, was schlimmer ist.

Sogar Sitzblockaden können dich in die Bredouille bringen

Auch wenn du dich eben nur mal ausruhen möchtest – und zweihundert andere es dir aus Versehen gleichtun. Nein, im Ernst: Sitzblockaden sind eigentlich eine friedliche und oft auch effektive Methode, um irgendetwas – Neonazis, Baumrode-Maschinen, deinen Vermieter – aufzuhalten. Trotzdem fallen sie unter zivilen Ungehorsam, können durch die Polizei aufgelöst werden und dir im schlimmsten Fall eine Anzeige einbringen. Ist also deine Entscheidung.

Zünde nicht einfach IRGENDWELCHE Autos an

OK, auch das ist ein Scherz. Zünde gar keine Autos an.

Überprüfe die Länge deiner Fahnenstange

Wenn du demonstrierst, darfst du eine Fahne mit dabei haben. Deine Fahnenstange darf kurz sein und deine Fahnenstange darf dick sein. Sie darf aber nicht beides sein. Also kurz und dick. Sonst wird sie unter Umständen als "Knüppelfahne" gewertet und für das Tragen einer solchen haben schon Leute monatelang in Untersuchungshaft gesessen. Was ist nun zu kurz und was ist zu dick? Das ist nirgendwo festgeschrieben. Der Ausweg: 2-Meter-Fahnenstangen. Die sind auf jeden Fall nicht zu kurz und besser sehen kann man sie auch.

Lauf nicht durch anderer Menschen Reihen

Organisierte Gruppen laufen in Reihen, immer sieben, acht oder neun Leute nebeneinander. Du erkennst organisierte Reihen an der ungewöhnlichen Ordnung, in der sie stehen: Quetsch dich nicht dazwischen, die Leute mögen das nicht.

Elektrolyte, Elektrolyte, Elektrolyte

Auch wenn die Demonstrationen in Deutschland normalerweise nur ein paar Stunden dauern, musst du unbedingt auf deine Gesundheit achten. Wie eigentlich immer im Leben gilt: viel Wasser trinken. Aber nur aus Plastikflaschen – schade für die Umwelt, aber Glasflaschen werden als strafbare Waffe gewertet. Und auch Essen nicht vergessen, denn du weißt ja: ohne Mampf kein Kampf! Unter Umständen wirst du nämlich mehrere Stunden von der Polizei eingekesselt oder, im schlimmsten Fall, verhaftet.

Alles, was du über Bezugsgruppen wissen musst

"Banane!", "Thälmann!", "Rollmops!" – lass dich von diesen Rufen nicht irritieren. Auf vielen Demonstrationen bilden Aktivisten und Aktivistinnen "Bezugsgruppen": Gruppen, die gemeinsam auf die Demonstration gehen und aufeinander aufpassen. Um nicht jedes Mal, wenn sie sehen wollen, wo die anderen sind, "Lieselotte! Katharina! Mustafa! Daniel! Babette-Viktoria!" rufen zu müssen, geben die Bezugsgruppen sich einen Namen, mit dem ein Mitglied alle anderen rufen kann.

Du kannst dir mit deinen Freundinnen auch selbst ein Bezugsgruppenwort geben. "Banane" ist gut (viele A's, die man gut hören kann), "Uniformfetisch" oder "Handgranate" eher ungeeignet.

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Pass auf dich auf

Steine, Neonazi-Fäuste, Polizeiknüppel, Bento-Journalisten – auf Demos fliegt so einiges herum. Also: Achte auf deine Umgebung und halt dich an die Menschen, die du kennst.

Und wenn du trotzdem festgenommen wirst: Schick uns eine Nachricht. Wenn es eine glorreiche Festnahme war, machen wir dich damit berühmt.

Tja, was noch? Wie hat der Handballtrainer immer gesagt: Vergesst nicht, Spaß zu haben! Und jetzt geht raus da, ihr Rudi Dutschkes und Emma Gonzales, und verändert die Welt!

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