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Arbeit

Warum Großraumbüros die Hölle sind

Lasst mich einfach in Ruhe arbeiten.
Hannah Ewens
London, GB
Foto: Arcaid Images | Alamy Stock Photo

Ich sitze in einem Großraumbüro. Während ich diese Worte tippe, kann ich hören, wie die ungelenken Finger meines Kollegen auf sein Keyboard eindreschen. Teelöffel klirren in den Tassen. Ergonomische Bürostühle quietschen lauter als Schweine im Schlachthaus. Irgendwo hinter mir niest eine Kollegin so unfassbar laut, dass ich vor Schreck zusammenzucke. Ein Typ in der Ecke summt ununterbrochen vor sich hin, als könne er es kaum erwarten, mit seiner Interpretation von "Mas Que Nada" bei mir einen stressbedingten Herzinfarkt auszulösen.

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Obwohl ich Kopfhörer trage, höre ich alles. Und als ob das noch nicht reicht, werden wir über Lautsprecher mit Musik beschallt – "Fast Car" läuft heute schon zum dritten Mal –, obwohl wir alle Kopfhörer tragen, um dem Lärm zu entfliehen.

Laut einer aktuellen Studie sind in den USA 80 Prozent der Büros Großraumbüros. In Deutschland arbeiteten 2017 zwar nur 15 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit Büroarbeitsplatz in einem Großraumbüro, wie die Jobbörse Indeed bei einer Befragung herausfand. Doch der Trend geht auch bei uns zu offenen Arbeitsflächen, nach dem Vorbild amerikanischer Tech-Konzerne wie Google. Coworking-Spaces wie WeWork setzen auf Großraumbüros und behaupten, diese Orte würden die Produktivität steigern und die Kommunikation fördern.

Stimmt nur leider nicht. Die Arbeit im Großraumbüro fühlt sich eher so an, als ob du gerade deine Lieblingsserie schauen willst, neben dir aber dein Bruder sitzt und sich permanent selbst ins Gesicht schlägt. Du möchtest ihm keine Aufmerksamkeit schenken, aber du kannst gar nicht anders.

Alltag im Großraumbüro.

Alltag im Großraumbüro | Foto: Wikimedia Commons | Lyons Architects | CC BY 3.0

Untersuchungen belegen mittlerweile sogar, dass Großraumbüros Menschen krank machen. Der Grund: Das Arbeitsumfeld lenkt ab und steigert den Stresslevel. Auch Viren verbreiten sich leichter, wenn viele Menschen in einem Raum sitzen.

Dass kranke, gestresste Mitarbeiter nicht unbedingt mehr leisten als entspannte, dürfte niemanden überraschen. Die Harvard Business School belegte das kürzlich mit einer Studie: Großraumbüros, so das Ergebnis, steigern Produktivität nicht, sie bremsen sie. Ich wusste das schon längst. Obwohl ich nicht mal besonders introvertiert bin, reagiere ich im Großraumbüro extrem empfindlich auf all die Reize, die ständig auf mich einströmen: Das permanente Klappern und Gemurmel im Hintergrund, die ständigen Bewegungen um mich herum und die konstant falsche Raumtemperatur lenken mich von der Arbeit ab. Manchmal macht mich das alles sogar richtig fertig.

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Der Arbeitsalltag hat sich für die meisten von uns in den letzten zehn Jahren radikal verändert: Es gibt Laptops, freiberufliche Arbeit, Home Office. Und trotzdem sitzen wir immer noch hier, tippen eng nebeneinander auf unsere Tastaturen ein, als ob wir am Fließband arbeiten.

Die Generation der Babyboomer hat sich das Großraumbüro ausgedacht, vielleicht als Reaktion auf die Cubicles, die es vorher in vielen US-amerikanischen Büros gab. Sie wollten den Horizont der Arbeitnehmer erweitern und die Kommunikation fördern – sie konnten ja auch nicht ahnen, dass bald schon E-Mail, Slack, WhatsApp und unzählige andere Messenger den Job viel besser erledigen würden.

Der Wunsch, mit Großraumbüros die Zusammenarbeit zu fördern, ist ehrenwert und idealistisch. Die Forschenden von Harvard fanden allerdings heraus, dass eine "offene Raumgestaltung bei Menschen die natürliche Reaktion hervorruft, sich von ihren Kollegen zurückzuziehen und lieber über E-Mail oder Chat-Nachrichten zu kommunizieren".

Die Auckland University of Technology wiederum befragte 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und kam zum Ergebnis, dass Menschen in Großraumbüros weniger freundschaftliche Beziehungen zu ihren Kollegen und Kolleginnen aufbauen als Menschen in kleineren Büroräumen. Sie schnitten sogar schlechter ab als Menschen, die von zu Hause aus arbeiten.


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Dieses Ergebnis überrascht mich kein bisschen, schließlich bieten Großraumbüros kaum Raum für Grenzen, Kontrolle und Respekt. Oft sind verschiedene Abteilungen in einem Raum untergebracht, einige von ihnen brauchen Ruhe, um sich zu konzentrieren, andere müssen Kunden am Telefon bezirzen. Das führt dazu, dass du irgendwann nur noch Hass für Martin aus der Sales-Abteilung empfindest, weil er ständig lautstark in deinem Rücken ins Telefon lacht – obwohl er einfach nur seinen Job erledigt.

Auf jeden Fall sind Großraumbüros nicht das, was wir wollen. Eine Studie von Oxford Economics ergab, dass Millennials sich vor allem zwei Dinge wünschen: "weniger Lärm am Arbeitsplatz" und "konzentriert und ohne Unterbrechungen arbeiten zu können".

Was ich damit sagen will: Sperrt mich gerne in eine Kellerzelle ohne Pflanzen und mit weißen Wänden, füttert mich durch eine kleine Luke mit Snacks und Kaffee – und ich werde über mich hinauswachsen. Ich sehne mich nach den Zeiten der Cubicles zurück, nach engen Stellwänden, die ich wenigstens selbst gestalten konnte – bitte pfercht mich ein wie ein Tier im viel zu kleinen Käfig. Oder noch besser: Lasst mich einfach selbst entscheiden, wo ich am besten arbeiten kann und vertraut mir, dass ich meine Arbeit auch von dort gut erledigen werde.

Gerade sitze ich zusammengekauert in einer Ecke, direkt neben dem Notausgang. Das war der einzige ruhige Platz im Büro, den ich finden konnte. Falls dir dieser Text gerade so gar nicht gefallen hat, weil er zusammenhangslos und hektisch wirkt, sei also bitte nicht auf mich böse. Schuld ist die Person, die dieses Büro entworfen hat.

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