FYI.

This story is over 5 years old.

Religion

Wir haben die Vorurteile zum Opferfest einem Realitätscheck unterzogen

Schwänzende Schüler und ausblutende Tiere. Ein Einblick ins höchste Fest der Muslime und dessen Kritik.
Foto: imago | Depo Photos

"Opfere deinen Sohn", forderte Gott laut Überlieferung von Abraham. Im letzten Augenblick stoppte Gott ihn. Er wollte ihn nur testen. Abraham durfte ein Schaf statt seines Sohnes opfern – dank der Barmherzigkeit Gottes. So steht es im Koran und an dieses Ereignis erinnern die Muslime beim Opferfest, dem höchsten Fest im Islam. In diesem Jahr geht es vom 31. August bis zum 4. September.

Aus Tradition schlachten Muslime während der Feier ein Tier. Ziegen, Schafen oder Rindern wird dabei ohne vorherige Betäubung die Kehle durchgeschnitten. Erst wenn das Tier ausgeblutet ist, ist es für Juden und Muslime "sauber" und essbar. In Deutschland ist es eigentlich verboten, Tiere ohne Betäubung zu schlachten. Es gibt aber Ausnahmen für Menschen, denen ihr Glaube das Schächten "zwingend vorschreibt".

Anzeige

Diskussionen ums Schächten gibt es seit Jahrzehnten – und genauso wird das Ritual immer wieder für Propaganda missbraucht. Die Nazis haben das Schächten bereits 1933 verboten, weil damals vor allem Juden schächteten und die Nazis sie damit brandmarken wollten.

Und heute? SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz schrieb bei Twitter an die über vier Millionen Muslime in Deutschland: "Ich wünsche […] segensreiche und friedliche Feiertage im Kreise ihrer Nächsten". Das sorgte für eine Welle der Entrüstung. Unter seinem Tweet und auch an den anderen bekannten Orten des intellektuellen Internet-Diskurses ließen sich wütende Islamkritiker und Tierschützer aus.

Auf unserer unermüdlichen Suche nach der Wahrheit haben wir uns einigen der Tweets angenommen und nach Antworten gesucht.

Kritik Nr. 1: Schüler kommen nicht zur Schule

Aber so "seltsam", wie das einige Bildungskreuzritter finden, ist das gar nicht. Welche Feiertage für eine Beurlaubung anerkannt sind, hängt vom Bundesland ab. Ein Antrag hat aber gute Chancen, denn das Grundgesetz garantiert die Religionsausübungsfreiheit. Dazu gehört auch das Recht zur Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen. In NRW durften am heutigen Freitag die muslimischen Kinder fehlen. Meist muss der Schulleiter die Schüler für religiöse Feiertage beurlauben. Das gilt aber nicht nur für muslimische, sondern auch für jüdische oder orthodoxe Schüler.

Kritik Nr. 2: Schächten ist illegal

In Deutschland steht der Tierschutz im Grundgesetz – genauso wie die Religionsfreiheit. Das macht die Frage nach dem Schächten auch juristisch kompliziert, weil abgewogen werden muss, und genau das hat der Staat auch getan. Schächten ist in Deutschland verboten. Aber es gibt Ausnahmen. Das Schächten mit Kurzzeitbetäubung ist erlaubt, damit hat es die gleiche Qualität wie eine "normale" Schlachtung. Nur wenn die Religion es "zwingend vorschreibt", ist Schächten auch ohne Betäubung möglich. Dafür muss das Veterinäramt eine Ausnahmegenehmigung vergeben, in vereinzelten Fällen haben auch schon deutsche Gerichte eine Schächtung ohne Betäubung gestattet. So entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshofs 2011, dass ein Metzger 100 Schafe hätte schächten dürfen. Laut des Gerichts hätte das Amt ihm die Genehmigung aus religiösen Gründen erteilen müssen.

Anzeige

Kritik Nr. 3: Richtig viele Tiere werden heute geschächtet

So viele Tiere werden in Deutschland gar nicht geschächtet, zumindest ohne Kurzzeitnarkose. Im Jahr 2015 wurde gerade mal zwei Anträge zur Schächtung von 523 Schafen bewilligt, erklärte der Deutsche Tierschutzbund gegenüber VICE. Im letzten Jahr ist die Zahl auf 455 Schafe gesunken. Wer illegal schächtet, muss bis zu 25.000 Euro Strafe zahlen. Das deutsche Verbot wird allerdings häufig umgangen. Denn ein Großteil des Fleisches, das am Opferfest konsumiert wird, wird aus Belgien importiert, wo das Schächten auch ohne Betäubung erlaubt ist. Wie viel importiert wird, ist nicht klar. "Uns liegen keine Zahlen vor", heißt es vom Deutschen Tierschutzbund. "Es gibt für geschächtetes Fleisch auch keine Kennzeichnungspflicht. Das heißt, rein theoretisch kann es sein, dass man in Deutschland nichtwissend Fleisch von geschächteten Tieren kauft."

Kritik Nr. 4: Der Koran ist nicht mit dem Tierschutz vereinbar

Der Koran verbietet es, Fleisch von Tieren zu essen, wenn sie nicht geschächtet wurden. Die entscheidende Frage ist: Ist die Betäubung erlaubt oder nicht? Die Betäubung wird von vielen Muslimen inzwischen als Weiterentwicklung der traditionellen Schlachtvorgaben verstanden. Das soll ihnen ermöglichen, das Gebot der "Milde und Barmherzigkeit gegenüber dem Schlachttier" zu sichern. Genauso wie das Schächten findet aber auch der Tierschutz seinen Platz im Koran: "Das unnötige Schlachten, Töten, Schlagen und grausame Behandeln von Tieren ist eine große Sünde", heißt es dort. Man sollte also genau hinsehen, bevor man sich ein hartes Urteil erlaubt.

Kritik Nr. 5: Die Presse berichtet nicht

Das Opferfest ist immerhin das wichtigste Fest im Islam. Dementsprechend gibt es auch einige Medien, die speziell über dieses Thema berichten. Beispielsweise die Stuttgarter Nachrichten, die Berliner Morgenpost oder der Deutschlandfunk, der sich auch kritisch mit dem Schlachten der Tiere auseinandersetzt. Einige Medien haben keine Artikel über das Opferfest im Speziellen veröffentlicht. Das liegt aber auch daran, dass es sich um ein wiederkehrendes Fest handelt, also keine großen Neuigkeiten bietet. Allerdings gibt es etliche Artikel über die Pilgerreise nach Mekka, bei denen das Opferfest auch erwähnt wird. Diese finden sich zum Beispiel im Focus oder dem Spiegel-Ableger bento, dessen Autor Muslime auf ihrer Pilgerreise begleitete. Von einer fehlenden Berichterstattung über das Opferfest in den deutschen Medien kann also absolut nicht die Rede sein. Das höchste Fest der Muslime spaltet die Menschen. Was klar ist: Bei der komplexen Frage, ob und wie Tiere geschächtet werden dürfen, helfen keine Parolen. Und es wäre schön, wenn die Rechten, die gegen die Schächtung pöbeln, ebenso empört über das Leid in der deutschen Massentierhaltung wären. So glücklich wird das Schwein wohl auch nicht gewesen sein, das mancher Verteidiger des Abendlandes als Schnitzel für 8,88 Euro über den Tresen wandern lässt.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.