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Musik

Die Lil-Peep-Doku zeigt, wie die Musikindustrie junge Künstler zerstören kann

'Everybody's Everything' zollt nicht nur dem Emo-Rapper Tribut, sondern auch der Generation SoundCloud-Rap.
Lil Peep
Lil Peep im Backstage des Day N Night Music Festivals in Los Angeles, 2017 | Foto: Justin Staple

Als der Emo-Rapper und Sänger Lil Peep Ende 2017 eine tödliche Dosis Xanax mit Fentanyl nahm, war er erst 21 Jahre alt. Seine Karriere dauerte nur wenige Jahre, doch Lil Peep war einer der wichtigsten Künstler der neuen Rap-Generation, die sich auf SoundCloud bildete. Wie es dem jung verstorbenen Genre-Schöpfer gebührt, gibt es nun eine Doku über Peep.

Am 10. März hatte der Film Everybody's Everything seine Weltpremiere auf dem Kulturfestival South by Southwest im texanischen Austin. Regie geführt haben Sebastian Jones und Ramez Silyan, produziert wurde der Film von dem Oscar-gekrönten Regisseur Terrence Malick und Lil Peeps Mutter, Liza Womack. Auch andere Angehörige von Peep waren bei der Premiere und verfolgten zwei Stunden lang die schöne und traurige Geschichte des Rappers auf der Leinwand.

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Gustav Elijah Åhr, wie Lil Peep eigentlich hieß, fiel 2015 erstmals mit seinem innovativen Sound auf. Er fusionierte 2000er-Emo und Pop-Punk mit Underground-HipHop im Memphis-Stil und erschuf damit seine persönliche Marke: ein Vorstadt-Rockstar, der keine Fucks gibt.

Er lächelte, wenn Fans ihm jede seiner Zeilen entgegenschrien. Dass er ein besonderer Künstler war, lag auf der Hand: Im Gegensatz zu vielen anderen nahm er sich die Zeit, jede Frage zu beantworten und jeden Wunsch zu erfüllen, ob von Fans, Journalistinnen oder anderen Künstlern. Ich durfte Lil Peep kennenlernen und von 2016 bis 2017 bei mehreren Festivals und Partys in Los Angeles filmen. Ein paar meiner Aufnahmen von Peep sind auch in Everybody's Everything zu sehen. Der Titel der Doku spielt auf seinen letzten Instagram-Post an, in dem er erklärte, er versuche "alles für alle" zu sein.

Peeps Großvater, ein renommierter Lateinamerika-Historiker namens John Womack, gab ihm schon früh soziale und revolutionäre Werte mit. Lil Peep verarbeitete diese Lektionen auf seine eigene Art: Er ließ sich den Schriftzug "Cry Baby" groß ins Gesicht tätowieren. Wie Freunde und Angehörige des Musikers im Film erklären, wollte er sich damit täglich daran erinnern, dass es auf der Welt viel ernstere Probleme gebe als die eines amerikanischen Mittelschicht-Teenagers.

Seine Eltern trennten sich früh, eine väterliches Vorbild hatte Peep als Teenager nicht, und so verließ er sich auf seinen intellektuellen, liebevollen Großvater, der nie über seinen Enkel urteilte. Stattdessen gab er ihm immer wieder seine Ratschläge fürs Leben mit, persönlich oder in Form von handgeschriebenen Briefen. Auf Produzent Malicks Vorschlag hin wurde John Womack in Everybody's Everything zu einer Art Off-Erzähler: Die Regisseure zeichneten auf, wie er mit weise klingender Stimme viele seiner Briefe vorliest, und kombinierten seine Worte mit rührenden Archivaufnahmen von Peep. Die audiovisuelle Poesie, die dabei herauskommt, erinnert an die gefeierten Filme von Malick.

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the poster for Everybody's Everything, showing Lil Peep's face on a pink background

Co-Regisseur Ramez Silyan nahm schon zu Lebzeiten Anteil an Lil Peeps Karriere. 2016 führte er Regie bei dem Video zu "Girls", außerdem begleitete er Peep mit seiner Videokamera auf Tour. Durch diese persönliche Bekanntschaft fühlt es sich historisch und ethisch richtig an, wie die Doku mit den Underground-Jahren des Rappers umgeht. Everybody's Everything ist damit womöglich auch der erste Film, der eingehend und nuanciert nachzeichnet, wie psychisch aufgewühlte, mittellose junge Männer ein neues, emotionales Rap-Genre hervorgebracht haben.

Peeps Appeal entwickelte sich völlig organisch aus dem Emo-Trap-Sound, den er miterschuf und kultivierte. Im Film sprechen unter anderem bekannte Produzenten wie Rob Cavallo und Juicy J über die Bedeutung von Lil Peeps künstlerischem Erbe. Cavallo vergleicht seine Techniken mit Legenden wie Prince und Parliament-Funkadelic.

Im Laufe des Films sehen wir, wie Peeps Stern immer heller strahlt – und er sich gleichzeitig mit Drogen zudröhnt, um seine Nerven zu beruhigen und weiter die Rolle zu spielen, die Fans und Auftritte ihm abverlangen. Auf Anraten seines Managements, aber zum Bedauern seiner Freunde und seines Rap-Kollektivs Gothboiclique, zog er 2017 von Los Angeles nach London. Dort absolvierte er professionelle Studio-Sessions, bei der Paris Fashion Week hatte er sein Laufsteg-Debüt für Balmain. Den Höhepunkt seiner Karriere zeigt die Doku mit wunderschönen Montagen aus nie zuvor gesehenen Aufnahmen, natürlich unterlegt mit Peeps eigener Musik. Er wirkt glücklich, lebt seine wildesten Träume von einem Dasein als Pop-Ikone.

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Der Großvater liest weiter seine Briefe an Gustav Elijah vor, der Ton wird immer dringlicher. Auch Peeps Kollegen und Freunden macht sein Rockstar-Lifestyle voller Partys und Drogen zunehmend Sorgen.

Die Party nimmt ein jähes Ende, die Leinwand wird schwarz. Aus dem Off ertönt ein zuvor nicht veröffentlichter Notruf, ein Tourmanager ruft panisch: "Wir brauchen einen Krankenwagen! Wir arbeiten mit einem Künstler, und er liegt hinten im Tourbus und wacht nicht auf."

Während der Frage-Antwort-Runde nach der Premiere schluchzen Menschen im Publikum. Die Erinnerungen an einen Freund und Künstler, der zu früh von uns ging, hängt greifbar im Saal. Dass ein Filmemacher von Terrence Malicks Kaliber dieser Doku seinen Touch verliehen hat, macht sie zu mehr als nur einem Tribut an Lil Peep: Dieser Film zeigt, was es bedeutet, ein rasant aufsteigender Popstar in einer hyperkapitalistischen Branche zu sein, und welchen bleibenden Einfluss ein Künstler auch nach seinem Tod haben kann.

Noch ist nicht bekannt, wann und wo Everybody's Everything in Deutschland erscheint. Wir halten euch auf dem Laufenden.

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