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10 Fragen

10 Fragen an einen Medizinstudenten, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie respektvoll geht ihr wirklich mit den Übungsleichen um? Klaust du Drogen aus dem Krankenhaus? Wie lernt man, jemandem zu sagen, dass er stirbt?
Foto: Privat

Um das gleich zu Beginn klarzustellen: Nein, nicht alle Medizinstudenten spritzen sich nach dem Saufen Kochsalzlösung gegen den Kater. Harri hat aber durchaus schon darüber nachgedacht: "Das würde auf jeden Fall funktionieren", sagt er. "Aber das Problem ist, dass einer deiner genauso besoffenen Freunde dir einen Zugang legen müsste." Darauf habe er keinen Bock.

Harri ist 27 und studiert im 10. Semester in einer deutschen Großstadt Medizin. In welcher und wie er wirklich heißt, schreiben wir aber nicht. Harri glaubt, dass das, was er uns erzählt, nicht das ist, was ein professioneller Arzt erzählen sollte. Und genau das wird er in zwei Jahren sein und im weißen Kittel in irgendeinem Krankenhaus dafür zuständig sein, dir im Notfall das Leben zu retten.

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Für welches Fachgebiet er sich dann entscheidet, weiß er noch nicht. Was für ein Arzt er auf keinen Fall wird, schon: Proktologe, oder, wie er selber sagt, "Arsch-Arzt". Dabei könnte er in dem Bereich sehr einfach Karriere machen: "Es gibt kaum Konkurrenz, weil niemand das machen will. Aber viele Menschen haben Arschkrankheiten."

Und wir haben Fragen.

VICE: Welche Patienten findest du am ekligsten?
Harri: Die ungewaschenen. Gerade in der Notaufnahme hatte ich fiese Situationen. Häufig sind die, die richtig stinken, psychiatrische Patienten. Die haben seit zwei Monaten nicht geduscht oder sind irgendwo mit ihrer eigenen Scheiße vollgeschmiert nackt durch die Gegend gelaufen. Keine Sau hält das aus, ganz nah an denen dran zu sein. Aber ich versuche natürlich trotzdem, das zu verbergen. Ich kann mich vor Patienten schließlich nicht aufführen oder mir die Nase zuhalten. Aber es gibt Tricks. Einer ist, sich Desinfektionsmittel auf den Mundschutz zu kippen. Das ätzt dir zwar die Schleimhäute an, aber dafür riechst du nur Desi.


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Wie respektvoll geht ihr wirklich mit den Übungsleichen um?
Grundsätzlich schon sehr respektvoll. Wir werden mit den Leichen auch nicht allein gelassen. Nur vor den Prüfungen gibt es offene Termine, bei denen man an Leichen üben kann. Da passen zwei Leute auf einen Raum voller Studenten mit bis zu 50 Leichen auf. Da könnte man theoretisch jede Menge Mist bauen.

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Einmal hatten wir vor einer Prüfung allen Köpfen die Schädeldecke abgenommen, um das Gehirn zu entnehmen. Das wird separat präpariert. Danach haben wir die Köpfe längs in zwei Hälften gesägt, damit man die inneren Leitungsbahnen schön sehen konnte. Vor der Prüfung habe ich mir verschiedene Köpfe zum Üben geholt, weil ich ja auch an verschiedenen Köpfen geprüft werde. Und natürlich habe ich dann zwei nicht zusammenpassende Kopfhälften genommen und die aneinandergesetzt. Wer hätte das nicht gemacht? Sah richtig abgefuckt aus.

Wonach riechen Leichen?
Die sind in Formaldehyd konserviert. Deswegen riechen die vor allem danach. Das Formaldehyd verändert auch die Struktur des Gewebes. Normalerweise ist das Innere eines Menschen ein reines Gematsche. Ist die Leiche konserviert, werden die Organe fest. Dadurch kann man sie leichter voneinander lösen, ohne sie kaputt zu machen. Und die Konservierung stoppt den Verwesungsprozess. Diese Leichen liegen ein ganzes Semester lang in einem Raum, dessen Fenster immer offen sind. Das halten die Leichen problemlos aus. Erst ganz am Semesterende kommt es vor, dass ein paar anfangen, im Bauchraum zu schimmeln.

Übst du an deinen Kommilitonen, Blut abzunehmen?
Na klar. Am Anfang des Studiums gab es einen Kurs, in dem wir uns gegenseitig Blut abgenommen haben. Dabei habe ich direkt einem Freund eine Vene kaputt gemacht. Manchmal sind die zu dünnwandig und platzen. Manchmal sticht man auch komplett durch. Am nächsten Tag ist dann alles blau und tut weh, aber schlimmer wird es auch nicht.

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Wir mussten noch andere Sachen aneinander lernen: zum Beispiel Ohrenuntersuchungen und Nasenspiegeln. Dafür benutzt man eine kleine Zange als Spreizer, steckt sie jemanden in die Nase und spreizt die so auf, dass man schön in die Nasengänge reinschauen kann. Das ist voll ekelhaft. Mein Übungspartner war ein verheirateter, gläubiger Moslem, ein wirklich ordentlicher Typ. Und ich hatte die ganze Zeit Panik, dass mir vom Feiern noch irgendwelche Speedreste in der Nase kleben. Falls das so war, hat er es aber für sich behalten.

Nehmen Medizinstudenten überdurchschnittlich häufig Drogen?
Eigentlich sind die eher überdurchschnittlich spießig. Ich vermute, im Vergleich zu Geisteswissenschaftlern ballern sie weniger. Aber es gibt unter uns eine kleine Drogenfraktion und die meint es dafür richtig ernst. Die haben weniger Hemmungen, sich zuzudröhnen, weil sie wissen, wie die Stoffe wirken. Das ist wahrscheinlich trotzdem genauso bescheuert wie bei allen anderen, aber wir bilden uns ein, das besser im Griff zu haben. Vielleicht auch, weil wir immer irgendwelche Mediziner um uns herum haben, die sich sicher richtig gut um einen kümmern können, falls doch mal etwas passiert.

Klaust du Drogen aus dem Krankenhaus?
Ich habe auf der Intensivstation einmal eine Flasche Ketamin geklaut. Ketamin fällt nicht unters Betäubungsmittelgesetz, deswegen wird es auch nicht im Sicherheitsschrank aufbewahrt. Sobald ich meinen Arztausweis habe, könnte ich mir in der Apotheke ganz einfach zehn Fläschchen Ketamin-inresa shoppen. Dann muss man es in der Pfanne nur noch heiß machen, bis es kristallisiert und fertig ist der Spaß. Ich bin aber der einzige meiner Freunde, der mal eine Flasche von dem Zeug hat mitgehen lassen. Und das mache ich auch nicht noch einmal. Ich hatte zwischendurch ordentlich Schiss. Hätte man mich erwischt, wäre das Studium gelaufen gewesen.

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Was war die härteste Station, auf der du jemals arbeiten musstest?
Auf der Intensivstation stirbt fast täglich jemand. Und auf der, auf der ich gearbeitet habe, hatte es sich auch eingebürgert, dass aus dem ganzen Krankenhaus Patienten zum Sterben dorthin abgeschoben wurden. An meinem ersten Tag habe ich gehört, wie ein Stationsarzt ins Telefon geschnauzt hat: "Ja, OK, dann schickt den halt auch noch hierher. Aber ihr sagt dem, was Sache ist. Ich führe keine End-of-Life-Gespräche mehr."

Natürlich stehen Intensivpatienten permanent auf der Kippe. Aber sie sind betäubt und hängen an den Maschinen. Sie laufen nicht herum und erzählen dir, wie dreckig es ihnen geht. Deswegen fühlt sich ihr Leiden für mich viel abstrakter an als auf anderen Stationen. Ich fand die Onkologie am schlimmsten. Vor allem, die Menschen, die stationär Chemotherapie bekommen, bei denen es echt zu Ende geht. Das meiste kann man inzwischen ambulant machen. Wenn jemand die Chemo im Krankenhaus bekommt, dann, weil sie so hart ist, dass er allein an den Medikamenten sterben könnte.

Wer war die erste Person, die du im Krankenhaus hast sterben sehen?
Das war bis heute der schrecklichste Fall, bei dem ich dabei war. Ich war 19 oder 20 und gerade in meinem ersten Pflegepraktikum. Wir hatten eine Patientin, eine Frau Ende 40, die ursprünglich Eierstockkrebs hatte. Da sieht die Prognose grundsätzlich unglaublich scheiße aus. Die Patientin war schon lange krank, mehrfach operiert und wusste, dass sie sterben würde. Ihr war eine Sonde gelegt worden, mit der man durch einen Bauchschnitt Nährlösung direkt in den Darm spritzt. Und dieser Zugang ist nicht zugewachsen, weil die Bauchwunde nicht mehr heilte. Ich bin in ihr Zimmer gekommen und habe gleich gesehen, dass etwas nicht stimmte. Etwas hatte sich gelöst, der Darm war nicht mehr intakt. Ich konnte da richtig reinsehen und erkennen, dass Darminhalt in den Bauchraum und in die Wunde lief.

Sobald der Chirurg da war, um sich das anzusehen, hat er ihren Mann dazugeholt. Und zu dritt haben sie in 20 Minuten beschlossen, dass sie so schnell wie möglich operiert werden sollte. Alle drei wussten, dass sie die OP nicht überleben würde. Sie war zu runtergerockt von der Krankheit und der Chemo, wog vielleicht noch 35 Kilo. Aber zumindest würde sie so nicht so lange leiden müssen. Direkt nach dem Gespräch habe ich sie auf ihrem Bett dann in den OP geschoben. Ihr Mann lief neben uns her. Die beiden haben sich unterhalten und sich Küsschen gegeben. An der Tür zum Operationssaal hat er sich dann von ihr verabschiedet. "Tschüs, Schatzi", hat sie zu ihm gesagt. Das war es dann.

Wie lernt man, jemandem zu sagen, dass er sterben wird?
Dafür gibt es Kurse. Die heißen "Überbringen schlechter Nachrichten 1" und "Überbringen schlechter Nachrichten 2". In diesen Kursen müssen wir vorgegebene Situationen durchspielen. Patient A hat keine Chance mehr und du musst ihm erklären, was los ist. Dabei arbeiten wir mit Schauspielpatienten zusammen, irgendwelchen armen Säuen, die für Mindestlohn den Todkranken mimen. Vorher bekommen wir ein paar Floskeln beigebracht und lernen drei Gesprächstechniken: Verbalisieren, Paraphrasieren und aktives Zuhören. Jeder mit gesundem Menschenverstand und einem intakten Empathieempfinden braucht das nicht. Aber unter Medizinstudenten gibt es genug komische 1,0-Abi-Sozialtrottel, bei denen ich heilfroh bin, dass denen zumindest ein paar Floskeln beigebracht werden, bevor man sie auf Patienten loslässt.

Sind nur Menschen mit einem 1,0-Abi gute Mediziner?
Also ich habe ein 1,8-Abi. Und ich bin ein großartiger Mediziner. Ist ja klar. Also nee, auf keinen Fall. Eine gewisse intellektuelle Kapazität ist schon Voraussetzung, aber Empathie ist genauso wichtig und nicht im Abischnitt repräsentiert. Deswegen gibt es auch eine Menge übler Typen im Medizinstudium. Männer und Frauen, die zwar ein super Abi haben, aber mit Menschen überhaupt nicht umgehen können. Die landen in der Medizin, weil sie sich von dem Job Prestige versprechen. Oder weil ihr Papa es auch macht. Bei denen kann ich nur hoffen, dass die in die Forschung gehen, oder in die Pathologie, oder auf Nimmerwiedersehen in einem Labor verschwinden.

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