Wir waren beim Popfest und haben DIVES und Aivery die Beichte abgenommen
Alle Fotos: Christopher Glanzl 

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Popfest

Wir waren beim Popfest und haben DIVES und Aivery die Beichte abgenommen

DIVES und Aivery haben uns verraten, welcher Österreicher mal wirklich zur Beichte gehen sollte, wie oft man das Vaterunser beten muss, wenn man DIVES als "Frauenband" bezeichnet und was Toiletten mit alldem zu tun haben.

Die Musikwelt und die Sünde – das ist eine lange Geschichte. Da gibt es den Geiger Paganini und seinen Pakt mit dem Teufel, Madonna und ihre ikonischen Skandale, oder Ozzy Osbourne und das kurze Leben einer Fledermaus – die Liste ist lang. Da am Karlsplatz, wo das Popfest stattfindet, die Karlskirche thront und zumindest ihr Schatten über alles wacht, was dort passiert, haben wir einmal Interviews der anderen Art und Weise geführt: Wir haben DIVES und Aivery zur Beichte gebeten. Natürlich hat diese Beichte nichts mit Gott zu tun (who dat). Wir wollten einfach mal wieder für jemanden da sein, um die metaphorische Joche von den Schultern zu heben. Wer sie noch immer nicht kennt, dem stellen wir unsere mutigen (ganz im Ernst, Kirchen sind doch super creepy) Interviewpartner einmal vor.

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DIVES

Donnerstag Nachmittag treffe ich meine ersten Beicht-Klientinnen Dora De Goederen, Tamara Leichtfried und Viktoria Kirner ganz unaufgeregt unter einem Baum neben der Karlskirche. Im Trio hören die Beichtenden auf den Namen DIVES. Ihre Musik erinnert mich an 2000er-Garage-Punk ohne zu dick aufgetragenen Gitarrensound. Bass und Schlagzeug dominieren auf mehreren Songs ihrer selbstbetitelten EP, kommen aber trotzdem so leicht rüber wie Musik gewordene Strandlektüre. DIVES pfeifen auf übertriebene Soli und zeigen, wie eingängig eine kleine auf Gitarre oder Bass dahergeschrammelte Melodie sein kann. Der Song "Tomorrow" kriecht mit nur zwei sich durchgehend wiederholenden Noten schnell in mein Ohr und geht nicht mehr weg, bis man ihn zwanzig Mal gehört hat. Die Songs der DIVES zeichnen sich meiner Meinung nach dadurch aus, dass sie nicht aufdringlich sind und sich Schlagzeug, Bass und Gitarre wunderbar übereinander-schichten wie Sandeimer beim Sandburgenbauen. Kein Wunder, dass man ihnen so oft das Genre "Surf-Rock" zuschreibt.

DIVES

Trash, Klo und Reue

Für alle, die es mit der Kirche nicht so haben: Die Beichte gliedert sich in "Begrüßung", "Bekenntnis und Genugtuung" und in "Reuegebet und Lossprechung". Zur Begrüßung frage ich, weil ich mir einbilde, dass das so gehört, ob die drei schon einmal bei einer Beichte waren. Dora, selbsterklärt "das einzige Wien-Kind", wurde etwas säkularer erzogen als die anderen und noch nie von ihren vermeintlichen Sünden losgesprochen. Viktoria und Tamara, die aus Nieder- und Oberösterreich stammen, haben bereits Beicht-Erfahrung. Wenn es dann richtig zur Sache – also zu "Bekenntnis und Genugtuung" – kommt, sagt der Priester normalerweise folgenden Satz: "Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und Seiner Barmherzigkeit." Weil ich von wildfremden Menschen nicht erwarten kann, dass sie mir ihr Herz ausschütten würden, versuche ich, Fragen zu stellen, die man ohne zu erröten beantworten kann, wenn man das will.

Bassistin und Sängerin Viktoria Kirner

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Noisey: Welche Dinge sollte man generell eher für sich behalten?
Tamara: Intime Sachen, wie wann man aufs Klo geht und wie oft man aufs Klo geht. Macht man schon manchmal, aber muss man nicht unbedingt.

Bist du schon mal gefragt worden, wie oft du aufs Klo gehst?
Viktoria : Innerhalb unserer Band gibt es ja relativ wenig Tabus.

Was ist eine musikalische Todsünde?
Viktoria: Das Saxophon. Definitiv. Ich halte es einfach nicht aus. Das Saxophon ist das Instrument des Todes.
Tamara: Ich finde, eine musikalische Todsünde ist es, wenn man seine Gitarre auf der Bühne stimmt, es nicht schafft, sie zu stimmen und dann mit einer verstimmten Gitarre spielt.

John Lennon hat einer Legende nach bewusst seine D-Saite verstimmt, damit man hören konnte, welche seine Gitarre war.
Tamara: Dann ist es ja keine Sünde.
Dora: Für mich sind es Schlagzeuger-Dudes, die sich das T-Shirt ausziehen und dann oben ohne spielen. Also wenn ich so etwas sehe, gehe ich sofort raus und die Band ist für mich gestorben. Für immer.

Schlagzeugerin Dora De Goederen | Foto von Christopher Glanzl

Welchen Fehler, den du begangen hast, bereust du nicht und würdest du noch mal machen?
Dora: Mein erster Kurzhaarschnitt war ein ziemlicher Fehler, weil der selbst geschnitten um drei Uhr in der Früh mit der Küchenschere war. Aber ich bin seither beim Kurzhaarschnitt geblieben. Ich würde es nochmal machen, weil das dann schon cool war, wobei es vielleicht ein bisschen ein Fehler war.

Eine andere Schuldfrage: Welche Musik hört ihr heimlich und nur hinter verschlossenen Türen?
Tamara: Ich habe momentan einen Guilty-Pleasure-Song momentan. Es ist Havana Unana ["Havana" von Camila Cabello, Anm. d. R.].
Viktoria und Dora: Was?
Tamara (singt uns den Song vor): Havana Unana. Half of my heart is in Havana Unana. I can’t go….
Viktoria: Darf ich dein eigentliches Guilty-Pleasure sagen? Tamara zieht momentan ihre Song-Inspiration aus dem Pokemon-Soundtrack. Wir fahren ja mit dem Auto von Doris’ Papa. Ich habe so ein schwarzes Tascherl gefunden mit allen meinen CDs wie ich so zehn, elf Jahre alt war. Wir hören seitdem jede Autofahrt den Taxi Orange-Soundtrack, No Angels, Britney Spears, das zweite Album von den No Angels, usw.

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Passend dazu auf VICE-Video:


Braucht man Trash, um selber gute Sachen zu machen?
Viktoria: Definitiv. Aber das wäre jetzt ein bisschen überheblich zu formulieren.

Wofür schämt ihr euch manchmal?
Viktoria: Ich schäme mich, weil ich noch immer nicht weiß, wie die einzelnen Teile von Doras Schlagzeug heißen. Wir machen manchmal Schlagzeug-Vokabelstunden – Was ist das Tom, was ist die Snare?
Dora: Bei jedem dritten Mal ist es wirklich die Snare.

Jetzt sind wir mittlerweile beim Reuegebet angelangt und bei der Lossprechung. Zur Reue habe ich eine Frage: Was bereut ihr sehr stark in eurem Leben?
Viktoria: Ich bereue, dass ich nicht viel früher angefangen habe, in irgendeiner Form Musik zu machen. Ich habe vor diesen zweieinhalb Jahren, wo wir uns kennengelernt haben, zum ersten Mal ein Instrument in der Hand gehabt. Ich weiß noch, es hat ein Erlebnis gegeben mit 13-14 Jahren. Freunde von mir haben eine Band gehabt und irgendwer hat gesagt: "Du hast ja eh so eine gute Stimme, ich habe dich singen gehört, sing doch ein Lied." Ich habe ein Lied gesungen und sie haben mich ausgelacht. Ich habe mich danach nie mehr getraut, vor jemandem zu singen. Da hat es ein Girl’s Rock Camp gebraucht und gute Freundinnen von mir, die mich gepusht und gesagt haben: "Mach’s doch einfach, du kannst nichts verlieren." Das wünsche ich ganz vielen anderen Leuten, vor allem jungen Mädchen und jungen Frauen – dass sie den Mut finden, das zu machen.

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Gitarristin Tamara Leichtfried | Foto von Christopher Glanzl

Das war jetzt das Ende der Beichte. Jetzt müsste der Priester eine Art Strafe in Form von einem Reuegebet auferlegen, aber nachdem ich kein Priester bin und nichts erteilen darf muss ich euch fragen: Wie viele Vaterunser muss eurer Meinung nach ein Musikjournalist beten, der euch als "Frauenband" bezeichnet?
Dora und Tamara: Unendlich. Der muss ganz viele "Ave Maria" beten. Er muss "Mutter unser" singen.
Viktoria: Er soll einmal ganz tief in sich gehen. Er soll sich mal alleine in einen Beichtstuhl sitzen und für sehr lange Zeit darüber nachdenken, was er gerade gemacht hat. Das ist die angemessene Strafe.
Tamara: Und bestenfalls geht er dann raus und weiß, was er gemacht hat.
Viktoria: Und wenn nicht, soll er sich bei uns melden.

Aivery

Die zweite offizielle Pop-Beichte der Saison bringt weniger die persönlichen Abgründe einer Band als die der österreichischen Musikszene ans Licht. Der Sound von Aivery steht für rauen Gitarrenrock ohne sofort ersichtliche Pose. Jasmin Rilkes Gitarrenriffs legen sich wie dunkle Gewitterwolken über die Songs und klingen mal nach hartem Grunge, mal nach gezupften Spielereien bei voll aufgedrehtem Verstärker. Die Vocals von Franziska Schwarz stecken irgendwo zwischen lässigem Singsang und Shoegaze. Doris Zimmermanns Schlagzeugspiel ist simpel und brutal und nagelt Gitarren und Vocals fest auf den 4/4-Takt. Im Gesamtpaket klingen Aivery brachial und nehmen den auditiven Raum ein, den die Band in manchen Genres von Männern okkupiert sieht.

Die Band Aivery | Foto von Christopher Glanzl

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Auch bei den Musikerinnen von Aivery liegt die letzte Beichte schon einige Zeit zurück. Nach einem Auffrischungskurs im Herz-Ausschütten kommen wir jedoch mehr über die sexistischen Sünden einiger österreichischer Bands zu sprechen. Aussagen über diese Bands wurden auf ausdrücklichen Wunsch der Band im Nachhinein jedoch zensiert.

Ihr klingt im Vergleich mit anderer populärer zeitgenössischer österreichischer Musik rau, wild, dreckig und laut und das ohne Ironie oder Pose. Glaubt ihr, man wird euch das in der österreichischen Musiklandschaft verzeihen?
Doris: Ich glaube nicht, dass es uns verziehen wird. Man sieht jetzt schon, dass wir immer in eine Extraschublade reingepackt werden, immer als "anders" und "lauter" definiert werden. Wir machen halt dieses klassische männerdominierte Genre, da denke ich mir schon oft, dass uns das nicht verziehen wird.

Warum, glaubt ihr, ist eure Musikrichtung immer noch ziemlich männerdominiert?
Franziska: Ich glaube, das hat schon etwas damit zu tun, wie Leute sich Situationen vorstellen. Bei der Musik, die wir machen, ist es so, dass es dir komisch vorkommt, weil du noch nie Frauen so eine Musik machen gesehen hast. Ich vermute, dass das die Leute innerlich vor den Kopf stößt.

Glaubst du, das ist nur in Österreich so? Was ist mit Bands wie Wolf Alice?
Franziska: Wolf Alice ist eine Band, in der Männer die Instrumente spielen und eine Frau singt und das ist dann ein Konzept, das etablierter ist.
Doris: Dass Frauen sich nicht so sehr an laute Instrumente rantrauen, oder laut spielen, oder auditiv Raum einnehmen, hat einfach mit der Erziehung von Mädchen zu tun. Das läuft einfach noch nicht gleich ab, oder zumindest nicht so wie bei kleinen Burschen. Als Mädchen wirst du einfach nicht dazu ermutigt, so etwas zu machen.

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Welche Dinge tun dir leid?
Jasmin: Vielleicht hab ich mal "Du Oasch" gesagt zu irgendwem. Ganz ehrlich, mir tut eigentlich nichts leid.

Welche Musik ist in euren Augen eine Sünde sie anzuhören?
Doris: Diese Männerrockbands, die ihre Männlichkeit für Erfolg einsetzen – das finde ich furchtbar und nicht unterstützenswert. Generell zu versuchen, aus dem Geschlecht Profit zu ziehen, ist ein Blödsinn.

Welche Bands machen das zum Beispiel?
Doris: Das ist schwierig, weil meine Lieblingsband sind die Arctic Monkeys und das ist die Dude-Band. Ich hasse Nickelbackartiges, dieses überschwängliche männlich sein und harten Rock machen. Was man einfach nicht hören darf, ist Schlager oder Mist, bei dem man assoziiert, dass das gespielt wird und sie spielen aber gar nichts und sie singen dann die heile Welt vor.
Jasmin: Die Schlager-Welt an sich ist schon sehr interessant eigentlich. Es gibt in jedem Genre gute und schlechte Sachen. Ich persönlich mag Dancehall und Reggae nicht.
Doris: Ich mag das auch nicht, aber vor allem Reggae ist auch politisch und politische Musik ist sehr wichtig. Genau das Gegenteil davon, also super unpolitische Musik, die nur zum seichten Entertainment dienst und die vor allem textlich banal ist und falsche Dinge vermittelt, finde ich einfach blödsinnig und sollte man auch nicht hören.

Ist es nicht zynisch, Menschen den Schlager wegzunehmen? Darf man sich das anmaßen?
Franziska: Die bessere Herangehensweise wäre zu versuchen, darüber ins Gespräch zu kommen und zu kommunizieren, damit die Leute Schlager auch blöd finden. Langfristig ist das wahrscheinlich die effektivere Lösung.
Doris: Weniger zynisch, aber mehr erzieherisch vielleicht.

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Bassistin und Sängerin Franziska Schwarz

Wer hätte in Österreich längst schon einmal eine Beichte nötig?
Doris: Karl-Heinz Grasser. Es gibt auch in Österreich Bands mit großteils Männern, die echt sexistische Texte haben.

Zum Beispiel?
Doris: Wir haben einmal mit einer gewissen Band gespielt und dann auch darüber gesprochen. Die stehen da auch dazu, so wie das geklungen hat. Das ist sehr problematisch.
Franziska: Das will ja auch keiner. Das findet keiner cool. Man kann ja auch etwas halbwegs unproblematisches in einem Lied verpacken. Es ist nicht so, als ob die breite Masse danach schreit, dass sie sich so was reinzieht, weil es respektlos gegenüber der Welt ist, die sich das anhören muss.

Hat die österreichische Musikszene ein Sexismusproblem?
Doris: "Sexismusproblem" hätte ich es jetzt nicht genannt, aber es ist trotzdem ganz offensichtlich, dass es viel mehr Männerbands gibt und Frauen oder Frauen in Bands oder Musikerinnen einfach nicht adäquat supported werden. Auch nicht von männlichen Musikern. Insofern läuft da schon viel Sexismus ab. Es gibt natürlich sehr viele Musiker, die sehr supportive sind und wir sind auch mit vielen befreundet. Ich hätte die Musikszene nicht per se sexistisch genannt, aber wie in jedem Bereich des Lebens sind auch da viele Probleme.
Franziska: Oft sagen Veranstalter zum Beispiel: Ja, wir hätten gerne Frauen gebucht, aber wir haben es nicht geschafft. Das ist einfach nicht so. Wenn man sich bemüht, kriegt man das zusammen. Es gibt sehr viele Musikerinnen.

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Schlagzeugerin Doris Zimmermann | Foto von Christopher Glanzl

Ist es gut für eine Veranstaltung, wenn man das LineUp geschlechtlich ausgleicht?
Franziska: Es sollte einfach selbstverständlich sein. Man muss seine eigene Wahrnehmung ein bisschen hinterfragen. Es ist natürlich bequem, wenn man die fünf Leute fragt, die auf jedem Festival spielen. Aber das soll nicht so sein, das ist halt eine Challenge.
Doris: Ich finde es problematisch, das überhaupt zu hinterfragen, ob das nicht gut sein könnte, wenn ein LineUp dahingehend ein bisschen genauer ausgesucht wird. Natürlich ist das gut. Es gibt sehr viele Musikerinnen und es geht nicht nur darum, dass sie supported werden. Auch die ZuhörerInnen haben mehr davon, wenn da auch Frauen repräsentiert werden. Die müssen vielleicht auch technisch nicht unbedingt sehr gut sein. Wenn es ein paar Frauen im Publikum ein gutes Gefühl gibt, dass sie da einfach Leute sehen, mit denen sie sich identifizieren können, dann spricht das sehr dafür, dass mehr Frauen für Festivals gebucht werden. Das ist keine Qualitätsfrage, sondern da geht es generell darum, was es der Gemeinschaft bringt.

Am Ende gibt es noch eine Frage über die Reue. Was müssen Menschen tun, damit ihr ihnen verzeiht?
Jasmin: Sie sollen halt sagen: "Hey, sorry, ich mach’s nicht mehr", und es dann auch wirklich nicht mehr machen. Das reicht schon.

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