Scheiß auf einen Arzt! Ist hier jemand Ameisenumsiedler?

Jemand fasst sich an die Brust, sackt röchelnd zusammen, Chaos bricht aus. Plötzlich hört man aufgeregte Schreie: "Ist hier jemand Arzt? Wir brauchen einen Arzt!" Das passiert gerade so ähnlich auch in Deutschlands Wäldern. Nur dass hier kein Mensch von einem Herzinfarkt bedroht wird, sondern das Ökosystem, und die rettende Hilfe kein Arzt bringen kann, sondern ein Ameisenumsiedler.

Davon gibt es jedoch viel zu wenige, wie das offizielle Hauptstadtportal Berlin.de heute mitteilte. Bundesweit gibt es laut Einschätzung des Bayrischen Landesverbandes der Ameisenschutzwarte gerade mal etwa 300 geschulte Ameisenumsiedler, wovon etwa die Hälfte in Bayern tätig ist. Das hört sich nach sehr wenig an und der Schein trügt nicht: Auch nach mehrmaligem Nachfragen sowohl in unserem Freundeskreis als auch bei unseren Facebook-Freunden bestätigte sich der Verdacht: Niemand kennt einen Ameisenumsiedler, geschweige denn ist selber einer.

Dabei ist das bestimmt ein toller Beruf! Und ein recht mystischer noch dazu. Nur wenig Details dringen über die Tätigkeit an die Öffentlichkeit, die zum Beispiel immer dann gefragt ist, wenn ein Ameisenvolk einer Baustelle weichen muss. In einem Artikel der Sächsischen Zeitung beschreibt der Autor die Arbeit so: "Mit Gummistiefeln und Handschuhen versuchen sie sich so gut es geht, vor den Krabbeltieren zu schützen. Die Insekten werden dann samt ihrer Behausung innerhalb weniger Minuten in Tonnen oder Säcke gepackt und an einen Ort gebracht, wo sie niemanden stören."

Das hört sich jetzt leichter gesagt als getan an, denn nur 50 bis 60 Prozent der Umsiedlungen verlaufen erfolgreich. Dabei ist eine erfolgreiche Umsiedelung – ergo auch fachkundige Umsiedler – extrem wichtig. Waldameisen sind ein entscheidender Faktor für ein ausbalanciertes Ökosystem. Sie bilden eine Nahrungsgrundlage für viele Tierarten und vertilgen ihrerseits andere Schadinsekten des Waldes. Außerdem verbreiten sie Samen, fördern so die Pflanzenvielfalt und sind wichtige Bodenbildner. Wie der Deutsche Ameisenschutzwarte e. V. auf seiner Webseite jedoch erklärt, gingen die Waldameisenbestände in Deutschland in den letzten Jahrzehnten immer mehr zurück, obwohl die fleißigen Insekten seit über 200 Jahren unter Naturschutz stehen.

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Schuld daran seien neben Baumaßnahmen (besonders im Straßenbau) der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder unachtsamer Holzeinschlag. Auch in Berlin gibt es wegen großer Straßenbauvorhaben und der Erweiterung des Siedlungsraums extremen Bedarf an Profis, die wissen, wie man einen korrekten Ameisen-Umzug vollzieht. Und jeder weiß, wie schwierig es schon für Menschen ist, gutes Umzugspersonal zu finden. Jetzt stellt euch mal vor, ihr seid eine Ameise mit Millionen von Mitbewohnern und einem Haufen aus winzigstem Gehölz und Erde als Haushalt!

Wie wird man also Ameisenumsiedler? Wie Berlin.de berichtet, bilden die jeweiligen Ameisenschutzwart-Landesverbände in Schulungen Ameisenumsiedler aus. Aber hier kommt der Haken und vermutlich auch ein Hauptgrund, warum in diesem Bereich ein Fachkräftemangel besteht: "Zum Teil machen diese danach ihre Arbeit ehrenamtlich".

Ein Vorschlag also von uns: Bezahlt doch mal eure Pfleger, Kindergärtner und Ameisenumsiedler anständig, dann haben vielleicht auch mehr Leute Lust, diese wichtigen und ehrenhaften Berufe auszuüben. So wird der scheinbar unwichtige Ameisenumsiedler – und schließlich nicht zuletzt die kleine Arbeiterameise, die sich für die fette, faule Königin krumm schuftet und dann auch noch aus ihrer Wohnung gekickt wird, weil da eine Shopping Mall hinkommt – zum Symbol für etwas ganz Großes: die Ungerechtigkeit der modernen Arbeits- und Immobilienwelt.

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