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Ehe für alle

Dieser Mann hat die Ehe für alle (mit) möglich gemacht

Seit 32 Jahren kämpft der Anwalt Helmut Graupner vor Gericht und in der Öffentlichkeit gegen Diskriminierung. Wir haben ihn besucht.
Alle Fotos: Christopher Glanzl

Als am 4. Dezember diesen Jahres ein Freudenschrei durch die sozialen Netzwerke geht, bleibt Helmut Graupner gelassen. Der Anwalt weiß zu dem Zeitpunkt schon seit knapp zwei Stunden, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Ehe für homosexuelle Paare geöffnet hat. Durch einen einfachen Blick aus Handy. "Negative Entscheidungen bekommet man per Post zugestellt, positive per Mail", sagt Graupner. "Wenn man also morgens ein Mail vom VfGH mit PDF-Anhang im Postfach hat, weiß man schon, dass das gute Nachrichten sind."

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Und gute Nachrichten waren das nicht nur für Graupner und seine Mandanten. Sondern auch für viele homosexuelle Paare in Österreich – und auch Heterosexuelle, die lieber eine eingetragene Partnerschaft hätten. Die fünf Paare, deren Fälle jetzt anhängig waren, dürfen damit schon 2018 heiraten, alle anderen ab dem 1. Jänner 2019. Und der Mann, der da in seinem Drehsessel in Hietzing sitzt, hat daran seinen Anteil. Graupner hat als Anwalt nicht nur diese Entscheidung vorangetrieben, sondern zuvor schon zahlreiche andere Diskriminierungen vor Gericht zu Fall gebracht.

Es ist Donnerstagnachmittag, und Helmut Graupner ist im Vorweihnachtsstress. Der freundliche Mann mit der Neigung zu asiatisch geschnittenen Anzügen sitzt in seiner engen Kanzlei in Schönbrunn-Nähe, die bis unter die Decke mit Gesetzesbüchern, Biographien von Reagan bis Zita und buddhistischem Schnickschnack vollgestopft ist. Und erzählt, wie es zu der Entscheidung des VfGH kam.

Gesetzesbücher, Biographien von Reagan bis Zita und buddhistischer Schnickschnack.

"Wir hatten in den Jahren zuvor einige Erfolge erzielt", sagt Graupner. "Als der Verfassungsgerichthof 2015 die gemeinsame Adoption für gleichgeschlechtliche Paare öffnete, hab ich sofort gesagt: Jetzt gehen wir auf die Ehe." Das war nicht ohne Risiko: Das Höchstgericht hatte zuletzt 2012 entschieden, dass es zulässig sei, die Ehe heterosexuellen Paaren vorzubehalten. "Wir hatten aber neue Argumente: die völlige Gleichstellung bei der Familiengründung, inklusive Dingen wie der Vater-/ Mutterschaftsvermutung. Bei der letzten Entscheidung 2012 gab es noch gar kein Familiengründungsrecht." Das seien völlig neue Voraussetzungen gewesen, und so habe man es probiert.

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Graupner erzählt von einem Urteil gegen die Republik Irland aus den 80er-Jahren, das letztlich die juristische Blaupause für den Sieg vor dem VfGH war. Grob gesagt könnte man es so zusammenfassen: Wenn ein Kind unehelich bleiben muss, weil die rechtlichen Eltern keine Möglichkeit zur Hochzeit haben, beschneide das die Rechte des Kindes, nicht unbedingt die der Eltern. "Genau auf dieser Linie haben wir argumentiert, und waren damit erfolgreich", sagt Graupner.

War das sein größter Erfolg? Graupner zögert. Das sei immer die Frage, wie man Erfolg definiere. "Mit unserem Sieg gegen den Paragraphen 209 Anfang der Nullerjahre haben wir schwule Männer buchstäblich aus dem Gefängnis geholt." Für die persönlichen Schicksale sei das wahrscheinlich bedeutender gewesen. "Aber gesamtgesellschaftlich ist die Ehe für Alle natürlich ein Meilenstein."

Graupner wurde 1965 in Tullnerfeld vor der Toren Wiens geboren, ging in der Bundeshauptstadt in die Schule. Die Eltern waren Angestellte, der Sohn entschied sich für das Jus-Studium. "Ich hab als Jugendlicher schon Anwälte im Fernsehen gesehen. Deren Kampf um Gerechtigkeit hat mich vielleicht ein wenig beeindruckt."

Als Graupner 1985 begann, sich in der Schwulen- und Lesbenbewegung und der Homosexuelleninitiative (HOSI) zu engagieren, war das noch eine andere Zeit. Es gab vier Sonderstrafgesetze, unter anderem den berüchtigten Paragraphen 209 (der homosexuellen Sex mit Minderjährigen unter Strafe stellte, auch wenn diese zum Beispiel bereits 17 Jahre alt waren) und ein Vereinsverbot. "Wir befanden uns mit unseren Initiativen immer mit einem Fuß im Gefängnis."

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Im Jahr 1991 verließ Graupner HOSI und gründete das Rechtskommitee Lamda. Dem voraus gingen Auseinandersetzungen mit seinen Mitstreitern. Inhaltlich sei man sich zwar weitgehend einig gewesen, aber nicht über die Vorgehensweise. "Im HOSI war man – auch aus finanziellen Gründen – weitgehend der Meinung, dass man nicht mehr alles aktiv vor Gericht bekämpfen müsse, weil die Paragraphen jetzt ohnehin nacheinander fallen würden", sagt Graupner. Er selbst sei mehr für die Offensive gewesen. "Ich habe immer gedacht: 'Gar nicht schießen ist auch daneben'." Er habe immer alles gewollt, nichts unversucht lassen wollen. Damals habe sich auch seine Herangehensweise geschärft: Hart in der (rechtlichen) Sache, verbindlich im Ton, mit allen reden. "Ich hab damals auch intern einiges an Kritik einstecken müssen, weil wir auch mit der FPÖ in Gesprächen waren. Die FPÖ war – zumindest unter Haider – bei dem Thema damals sehr viel offener als die ÖVP, und das hat den Druck auf die Volkspartei erhöht", sagt Graupner.

Auch heute noch redet Graupner mit allen. "Parteien sind ja keine monolithischen Blöcke." Auch in den Parteien, die programmatisch klar zu den Gegnern gehören, gebe es Unterstützer und andere, die froh seien, wenn ihnen die Gerichte die Entscheidung abnehmen. "Es hat auch nie eine Regierung versucht, das Rad rechtlich zurückzudrehen", sagt Graupner. Wenn sie etwas erreicht hätten, hätten es immer zwei Tage böse Presseaussendungen gegeben. "Aber letztlich haben sich immer alle Gegner damit abgefunden."

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"Letztlich haben sich immer alle Gegner damit abgefunden."

1999 machte Graupner seine Anwaltsprüfung, gründete eine Kanzlei und konnte auch selbst Fälle übernehmen. Dabei setzte er auch früh auf die Kraft der Öffentlichkeit. "Die Medien waren uns sehr gewogen, auch weil wir im Fall des Paragraphen 209 nicht nur abstrakte Ungerechtigkeiten hatten, Sondern ganz konkrete Fälle von Menschen, die im Gefängnis oder in einer Anstalt für abnormale Rechtsbrecher saßen." Da seien zum Glück fast alle Medien der Meinung gewesen, dass das eine "Schweinerei" sei. „Wenn ich auf einer halben Seite in der Krone von einem Fall erzählen konnte, wusste ich immer: Das Gesetz fällt früher oder später."

In der Folge sah Graupner viele Hürden fallen, mit oder ohne eigenes Zutun. Er sorgte dafür, dass der Paragraph 209 abgeschafft wurde und zumindest die Strafen aus dem Strafregister gelöscht wurden ("Sie sind aber bis heute nicht aufgehoben, es gab auch keine Entschädigung, nicht mal eine symbolische."). Graupner gewann vor dem EU-Gerichtshof Fälle aus Deutschland mit europäischer Bedeutung. Der Diskriminierungsschutz kam durch eine EU-Richtlinie, die eingetragene Partnerschaft durch den Gesetzgeber vor dem Hintergrund eines laufenden europäischen Verfahrens.

"Nur in einem Teil waren wir vor Gericht letztlich nicht erfolgreich: dem Diskriminierungsschutz", sagt Graupner. Der gelte durch eine EU-Richtlinie im Arbeitsrecht und in den Ländern auch außerhalb, aber bei Bundessachen wie dem Gewerberecht nicht. "Das führt zu der absurden Situation, dass ein Wirt keinen Kellner aufgrund seiner Homosexualität ablehnen, aber jedes homosexuelle Pärchen aus seinem Lokal schmeißen darf. Und Letzteres passiert. Homosexuelle Paare bekommen bestimmte Wohnungen nicht, fliegen aus Taxis. Das sind keine akademischen Fälle." Da habe man gekämpft, sich aber letztlich geschlagen geben müssen. "Das muss politisch entschieden werden. Und so wie es ausschaut, dauert das noch eine Weile."

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Graupner erzählt vom Kampf um Paragraphen und Köpfe, bei dem letztlich das Wort "Ehe" die größte Hürde gewesen sei. Da sei es um den Namen, die Symbolik gegangen. "Österreich hat interessanterweise den zweiten, dritten bis fünften Schritt vor dem ersten gemacht", sagt Graupner. "In anderen Ländern ist erst die Ehe gekommen, erst danach ging es um Dinge wie Adoption." In Österreich sei Letzteres weniger problematisch gewesen als das Wort "Ehe". Daran habe man trotz weitgehender Gleichstellung festgehalten. "Man wollte einfach weiterhin, dass es eine Partnerschaft zweiter Klasse ist."

Nach der Entscheidung des VfGH war durchaus Enttäuschung zu hören, dass diese Entscheidung juristisch, nicht politisch gefallen ist. Graupner teilt diese Einschätzung nicht. "Der VfGH ist das älteste Verfassungsgericht der Welt, wir haben das quasi erfunden. Und jetzt trifft der so eine Entscheidung. Das ist doch schön." Und er sieht noch viele andere positive Aspekte an dem Erkenntnis: Bei der Abschaffung der Sonderstrafgesetzgebung sei Österreich Schlusspunkt in Europa gewesen, mit den letzten Entscheidungen hab man sich an die Spitze kapituliert. Österreich sei eines von nur vier Ländern der Welt, das die Ehegleichheit verfassungsrechtlich abgesichert habe – neben Österreich nur noch in Kolumbien, Südafrika und den USA. "2002 waren wir noch unter den Ländern, die Homosexuelle ins Gefängnis gesteckt haben. Da sieht man den gewaltigen Sprung, den wir gemacht haben."

"2002 waren wir noch unter den Ländern, die Homosexuelle ins Gefängnis gesteckt haben. Da sieht man den gewaltigen Sprung, den wir gemacht haben."

"Die Schwulen- und Lesbenbewegung ist heute ungefähr da, wo die Frauenbewegung in den 70er-Jahren war", sagt Graupner. "Also bei fast völliger rechtlicher Gleichstellung und fortlaufender gesellschaftlicher Diskriminierung." Es sei auch heute nicht egal, ob jemand schwul oder lesbisch ist. Aber das ändere sich zum Glück immer mehr: "An den Umfragen sieht man ja auch, dass auch die FPÖ- und ÖVP-Wähler da viel weiter sind als ihre Parteien. Die Österreicher gehören global gesehen zu den offensten und tolerantesten Menschen", sagt Graupner. Die Hoffnung sei da, dass es ihn und die Schwulen- und Lesbenbewegung irgendwann nicht mehr brauche, sagt Graupner. Aber das dauere noch. "Die Frauenbewegung braucht es ja heute auch noch."

Und so macht Graupner weiter. Gerade läuft vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Verfahren mit einem Polizisten, der in den 70ern nach einer Verteilung nach Paragraph 209 aus dem Dienst entlassen wurde. ("Da geht es um Pensionen und entgangene Dienstjahre, hochspannend mit weitreichender Bedeutung"). Er kämpft für die Aufhebung der Urteile nach Paragraph 209 und die Möglichkeit, ein drittes Geschlecht im Pass einzutragen. So lange, bis er wieder mal morgens ein Mail vom VfGH bekommt.

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