Rechtsextremismus

Sächsische Behörden sollen Stadtrat gedrängt haben, sein Gartenvereinsheim an Neonazis zu vermieten

Update – Die Polizei Sachsen hat mittlerweile gegenüber VICE eingeräumt, dass es einen Kontakt zwischen Vereinsvorsitzenden und Staatsschutz gegeben hat.
Gartenzwerg mit Reichsflagge
Fotos: Zwerg: imago | imagebroker || Garten: imago | blickwinkel || Montage: VICE

In Sachsen ist vieles möglich. Hausdurchsuchungen nach Luftballons, ein Polizeipanzer mit Sitzdekor im NS-Design und nun anscheinend auch rechtsextremistische Liederabende und Zeitzeugenvorträge, die nur durch die Bitte von Polizei und Verfassungsschutz stattfinden können. So schildert es jetzt zumindest ein Leipziger CDU-Stadtrat, in dessen Kleingartenvereinsheim die rechten Events ungestört stattfanden.

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Bereits im Sommer 2017 vermietete Falk Dossin, Vorsitzender des Siedlervereins Fortuna Leipzig das Vereinsheim an eine junge Frau. Sie habe den Saal für zwei Termine im Juli und Dezember angefragt, erzählt Dossin, der für die CDU im Leipziger Stadtrat sitzt, gegenüber VICE.

Rückblickend spricht Dossin noch immer von einer "Bilderbuchvermietung". Der Saal wurde nach dem ersten Termin sauber und aufgeräumt hinterlassen, es soll keine Beschwerden von Nachbarn gegeben haben und bezahlt wurde bereits im Voraus. Doch statt einer privaten Geburtstagsfeier fand an dem Abend ein Konzert von Mitgliedern der rechten Hooliganband "Kategorie C" vor etwa 120 Zuschauern statt.

Dass es sich bei den Mietern seines Vereinsheims nicht um eine harmlose Geburtstagsgesellschaft handelte, sondern um organisierte Neonazis, die bei ihrem rechtsextremistischen Liederabend von den sächsischen Sicherheitsbehörden beobachtet wurden, erfuhr Dossin bereits wenige Tage später. So schildert er, dass etwa eine Woche nach der Veranstaltung Polizeibeamte bei ihm vor der Haustür standen und ihn darüber informierten, was sich in seinen Vereinsräumen tatsächlich abgespielt hatte.


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Daraufhin will Falk Dossin gefragt haben, ob er die zweite Buchung im Dezember absagen solle. Die Beamten hätten ihn jedoch gebeten, die Veranstaltung wie geplant stattfinden zu lassen. Man wolle den Abend für Ermittlungstätigkeiten nutzen. So schilderte es Dossin zuletzt auch der Tageszeitung Neues Deutschland, in deren Darstellung der sächsische Verfassungsschutz als wesentlicher Akteur auftritt. Gegenüber VICE erklärt Dossin, er könne nicht mehr genau sagen, ob die Personen, die sich ihm gegenüber als Polizeibeamte ausgewiesen hatten, auch den Verfassungsschutz erwähnten. Diese Trennung sei für ihn allerdings auch unerheblich, zumindest in Sachsen liefen diese Behörden aus Sicht des CDU-Manns "Hand in Hand".

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Der sächsische Verfassungsschutz will dies nicht bestätigen. Er habe zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit Herrn Dossin gehabt. Es habe auch keine Bitte gegeben, eine Veranstaltung von Rechtsextremen stattfinden zu lassen, heißt es auf eine Anfrage von VICE. Die Leipziger Polizei kann auf die Schnelle Dossins Schilderung weder bestätigen noch dementieren. Man werde die notwendigen Angaben zusammensuchen und sich in einigen Tagen melden können, teilt ein Sprecher VICE mit.

Eindeutig lässt sich das Geschehene zumindest vorerst also nicht klären. Letztendlich bleiben drei Möglichkeiten offen:

  • Dossin hat sich die ganze Geschichte ausgedacht

  • Der sächsische Verfassungsschutz sagt die Unwahrheit

  • Neonazis haben sich als Verfassungsschutz bzw. Polizei ausgegeben, um ihre Vermietung nicht zu gefährden

Die letzte Variante scheint angesichts der Schilderung von Dossin mehr als abwegig. Er selbst sagt, er könne sich das nicht vorstellen und betont, er habe ja erst durch die Beamten erfahren, was in dem Saal passiert ist.

Dass Dossin mit einer abenteuerlichen Geschichte versucht, eine Ausrede dafür zu finden, das Vereinsheim gleich zweimal an Rechtsextremisten vermietet zu haben, scheint grundsätzlich möglich. Zugleich hätte er auch einfach sagen können, dass er offensichtlich reingelegt wurde und nicht wusste, an wen er vermietet hatte – so wie er es ja auch aktuell darstellt. In Sachsen nutzen Neonazis seit geraumer Zeit verstärkt Kleingartenanlagen für rechte Veranstaltungen, öffentliche Aufmerksamkeit erhielten die Veranstaltungen in Leipzig erst durch Dossins Ausführungen.

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Der Verfassungsschutz weiß offensichtlich mehr, als er öffentlich zugibt

Somit bleibt die Frage, wie glaubwürdig die Aussage des Verfassungsschutzes ist. Es ist keineswegs das erste Mal, dass sich der sächsische Verfassungsschutz und seine mutmaßlichen Gesprächspartner unterschiedliche Angaben über mögliche Gespräche machen. Erst kürzlich gaben der Verfassungsschutz und das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst unterschiedliche Gründe und Inhalte für ein Treffen des sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten mit der Rektorin der Leipziger Universität und dem damaligen Leipziger Polizeipräsidenten an.

Dass der Verfassungsschutz über die beiden rechten Veranstaltungen im Leipziger Kleingartenverein im Bilde ist, steht eindeutig fest. Darauf weist auch Falk Dossin hin: "Die Behörden waren vor Ort, das hat man uns telefonisch zugesichert und das geht aus den Landtagsanfragen doch eindeutig hervor", erklärt er gegenüber VICE. Tatsächlich finden sich Informationen über die beiden Veranstaltungen in den Antworten auf mehrere Landtagsanfragen, die sich mit rechtsextremen Aktivitäten in Sachsen befassen.

Aus den Dokumenten geht auch hervor, dass sich der Verfassungsschutz beim Thema Neonazis in Kleingärten nicht besonders auskunftsfreudig zeigt: "Der Staatsregierung liegen zu der Kleinen Anfrage auch Erkenntnisse vor, deren Mitteilung überwiegende Belange des Geheimschutzes entgegenstehen", heißt es in allen entsprechenden Antworten – auch auf eine Anfrage, die sich ausschließlich mit einer der Veranstaltungen in dem Leipziger Gartenheim beschäftigt.

Im konkreten Fall weiß der Verfassungsschutz also offensichtlich mehr, als er öffentlich zugibt, weil er andernfalls seine Quellen gefährden würde. Ob zum Quellenschutz auch gehört, dafür zu sorgen, dass Neonazis ungestört bei Liedern wie "Antifa Halts Maul" mitgröhlen oder Zeitzeugen bei aktivem Geschichtsrevisionismus lauschen können, bleibt fraglich.

Für Falk Dossin vom Siedlerverein Fortuna steht allerdings fest, dass er nicht erneut an Neonazis vermieten wird. Auch wenn Sie den Raum am Ende besenrein hinterlassen.

Update – 16. Mai 2019, 12:18 Uhr: Ein Sprecher der Polizei Sachsen bestätigt gegenüber VICE, dass "durch Beamte des polizeilichen Staatsschutzes ein Gespräch mit dem Objektverantwortlichen geführt" wurde. Darin habe man klären wollen, ob in dem Gartenvereinsheim eine Veranstaltung stattfinden soll. Ob in dem Gespräch geäußert wurde, dass man die rechte Veranstaltung für Ermittlungstätigkeiten nutzen will, "kann weder anhand der vorliegenden Aktenlage noch aufgrund einer Wissensabfrage bei seinerzeit involvierten Beamten bestätigt werden", schreibt der Sprecher. Inwiefern andere Beamte Falk Dossin angesprochen haben, lies der Sprecher offen: "Über Art und Umfang des Tätigwerdens weiterer Dienststellen können von hiesiger Seite keine Angaben gemacht werden."

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