Gesundheit

Warum wir nicht mehr als 8 Stunden pro Woche(!) arbeiten sollten

Roboter nehmen uns wahrscheinlich bald die Arbeit weg, aber einer Studie zufolge sollten wir ohnehin alle viel mehr chillen.
Ein Mann sitzt am Schreibtisch voll mit Klebezetteln
Foto: Paul Harizan / Getty

1928 sagte der britische Ökonom John Maynard Keynes voraus, dass kommende Generationen dank des technischen Fortschritts nur noch 15 Stunden in der Woche arbeiten müssten. 71 Jahre später, die 40-Stunden-Woche war immer noch die Norm, unterbot Erik Rauch, ein theoretischer Ökologe und Biophysiker vom MIT, diese Zahl noch einmal: 2000 schrieb er, dass der durchschnittliche Angestellte nur elf Stunden pro Woche arbeiten müsse, um so viel Arbeit zu erledigen, wie ein Mensch im Jahr 1950 in 40 Stunden geschafft hat.

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Natürlich ist eine Elf-Stunden-Woche in unserem aktuellen System nicht möglich. Nur die Allerwenigsten bekommen einen Stundenlohn, mit dem man sich so viel Freizeit leisten könnte. Aber auch unsere Identität, unser Status und unser körperliches und geistiges Wohlbefinden sind eng an das Berufsleben gebunden. Wenn du arbeitest, interagierst du mit Menschen, lernst neue Leute kennen. Du hast das Gefühl, zur Gesellschaft beizutragen. Bist du hingegen arbeitslos, fühlst du dich schnell ausgeschlossen. Das kann sich negativ auf deine geistige und körperliche Gesundheit auswirken.


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Wie viel müssen wir also mindestens arbeiten, um die Vorteile des Arbeitens mitzunehmen? Die Antwort darauf hat eine Studie gefunden, die jetzt in der Fachzeitschrift Social Science & Medicine veröffentlicht wurde: acht Stunden. Das ist ein (1!) Arbeitstag verteilt auf eine ganze Woche. So viel reiche aus, um alle Vorzüge des Arbeitslebens zu genießen, schreiben die Forschenden. Danach stagnieren die positiven Effekte laut Studie nur noch.

"Es ist wie mit Vitamin C: Wir alle brauchen eine gewisse Menge, aber mehr bringt uns keine Vorteile. Und zu viel kann sogar schädlich sein", sagt die Soziologin Daiga Kamerade von der britischen University of Salford, Hauptautorin der Studie. Ab einem gewissen Punkt führt Überarbeitung zu Burnout und einer schlechten psychischen Gesundheit.

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Für ihre Untersuchung schauten sich die Forschenden Ergebnisse einer großen britischen Studie an, zu der jedes Jahr die gleichen Personen befragt werden, insgesamt über 80.000 Menschen. Sie untersuchten, wie Arbeit die geistige Verfassung einer Person beeinflusst. Vor allem fragten sie, ab wann sich das Wohlbefinden einer Person durch Arbeit verbessert. In den allermeisten Fällen brauchte es dafür lediglich eine bis acht Stunden Arbeit pro Woche. Eigentlich hätten sie mit zwei bis drei Tagen gerechnet, sagt Kamerade.

Da wir uns ohnehin damit auseinandersetzen müssen, dass Maschinen früher oder später einen Großteil unserer Jobs übernehmen werden, empfehlen die Autorinnen der Studie einige Methoden, um die Arbeit der Zukunft neu zu denken: Arbeitsstunden ließen sich anders aufteilen, heißt es in dem Artikel. Auf diese Weise hätten Menschen weiterhin einen Job, die Arbeitswoche wäre aber um ein Vielfaches kürzer. Der Vorschlag unterbietet bei Weitem die aktuellen Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche.

Einen Haken hat das Ergebnis der Studie allerdings. Acht Stunden Arbeit pro Woche wirken sich nur dann positiv auf das Wohlbefinden aus, wenn man deswegen nicht weniger verdient als jemand, der mehr arbeitet.

Wenn wir wirklich nur acht Stunden pro Woche arbeiten wollen, bräuchte es Gesetzesänderungen, ein Grundeinkommen oder eine Umverteilung des Wohlstands. Nur so ließe sich verhindern, dass sich "die materiellen Nöte derer vergrößern, die sich im Arbeitsmarkt ganz unten befinden", sagt Soziologe Alex Wood von der Oxford University. Er forscht zum Einfluss von Technologie auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse.

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Weniger Arbeit müsste also auch wirklich weniger Arbeit bedeuten – nicht gleich viel in weniger Zeit

Für ihn erscheint die Studie zum richtigen Zeitpunkt. Denn aktuell wird auch in der Politik über das Wechselspiel zwischen Arbeit, Automatisierung und die Auswirkungen auf unsere Gesundheit und den Planeten diskutiert. In Schweden probierten in den vergangenen Jahren mehrere Arbeitgeber den Sechs-Stunden-Tag aus. Die BBC berichtete, dass Krankenpflegerinnen, die an dem Versuch teilgenommen hatten, in den ersten 18 Monaten weniger Krankmeldungen hatten, sich insgesamt besser fühlten und produktiver waren.

Weniger Arbeit müsste also auch wirklich weniger Arbeit heißen und nicht etwa, dass wir eine ganze Arbeitswoche in acht Stunden quetschen. Letztendlich würde das auch unsere Vorstellungen von Konsum verändern. Der Fokus würde stattdessen auf mehr Freizeit fallen. Wenn wir es schaffen, uns auf die gewonnene Freizeit zu freuen, anstatt die zunehmende Automatisierung zu fürchten, könnten wir unsere aktuelle Fixierung auf Arbeit überwinden.

"Menschen sind nicht dazu gemacht, sich anderen für Arbeit unterzuordnen", sagt Ewan McGaughey, ein Experte für Wirtschaftsrecht am King's College in London und Mitarbeiter am Centre for Business Research der Cambridge University. "Wir Menschen sind soziale Tiere, die etwas zur Gesellschaft beitragen wollen. Freizeit, Familie und Gemeinschaft sind uns aber auch wichtig. Um diese Dinge wirklich genießen zu können, müssten wir weniger arbeiten."

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McGaughey ist davon überzeugt, dass sich Technologie nur dann negativ auf unsere Beziehung zur Arbeit auswirkt, wenn wir das zulassen. Mit der richtigen Sozialpolitik und entsprechenden Gesetzen gebe es weiterhin genug Arbeit – und Anstellungsverhältnisse mit fairen Gehältern und weniger Arbeitsstunden.

In der Schule müssten wir dann nicht nur lernen, wie man ein guter Angestellter wird, sondern auch wie man seine Freizeit gut nutzt

Weniger Arbeit dürfte uns erlauben, unsere Freizeit besser auszunutzen, sagt Brendan Burchell, Soziologe an der University of Cambridge und Co-Autor der Studie. Momentan verbringen die Menschen ihre Freizeit vor allem damit, sich auf den nächsten Arbeitstag vorzubereiten. Wir waschen unsere Klamotten, kaufen Lebensmittel ein und räumen die Wohnung auf.

"Wenn wir uns dem Punkt nähern, dass Roboter und intelligente Maschinen mehr Arbeit übernehmen und wir entsprechend mehr Freizeit haben", sagt Burchell, "müssen wir das ernst nehmen." In der Schule müsste dann nicht nur beigebracht werden, wie man ein guter Angestellter wird, sondern auch wie man seine Freizeit gut nutzt.

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