Amoklauf

Der Massenmörder von Dayton sang in einer Frauenhass-Band mit Gewalt-Texten

Die Band aus dem sogenannten Porngrind-Genre hatte Alben, die vom Abschlachten und Vergewaltigen von Frauen handeln. Wir haben mit einem ehemaligen Bandkollegen gesprochen.
Niedergelegte Blumen vor der Ned-Peppers-Bar, ​dem Tatort des Amoklaufs von Dayton, Ohio
Niedergelegte Blumen vor der Ned-Peppers-Bar, dem Tatort des Amoklaufs von Dayton, Ohio | Foto: imago images / ZUMA Press

Bevor Connor B. am frühen Sonntagmorgen in Dayton, Ohio, neun Menschen erschoss, war er ein aktives Mitglied der lokalen Porngrind-Szene. Dieses Metal-Subgenre zeichnet sich durch besonders frauenfeindliche und brutale Texte aus. Auf Plattencovern finden sich oft Szenen aus Pornos oder Darstellungen von Gewalt gegen Frauen. Die Szene ist stark von Männern dominiert.

Über das vergangene Jahr hinweg sang der 24-jährige Täter immer wieder bei Auftritten der Band Menstrual Munchies, die Alben mit Titeln wie 6 Ways of Female Butchery oder Preeteen Daughter Pu$$y Slaughter veröffentlicht hat. Die Cover zeigen Vergewaltigungen und Verstümmelungen weiblicher Körper. Mit einer Gruppe namens Putrid Liquid trat B. ebenfalls live auf.

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Einer seiner Bandkollegen, der 25-jährige Jesse Creekbaum, hat jetzt alle Aufnahmen von Menstrual Munchies offline genommen. Er wolle damit verhindern, dass die Musik aus dem Mörder B. eine Art Szenehelden mache, sagt Creekbaum. Er habe wegen seiner Verbindung zum Täter bereits Todesdrohungen erhalten.


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Seit über fünf Jahren hat Creekbaum unter dem Namen Menstrual Munchies Musik geschrieben und aufgenommen. Bis zum Sonntag seien die brutalen und frauenfeindlichen Elemente für ihn vor allem Spaß gewesen. Er finde es abstoßend, dass B. anscheinend alles ernst genommen habe.

"Ich fühle mich beschissen, dass ich ihn in die Band gelassen und diese Texte habe singen lassen", so Creekbaum. "Für mich war das alles ein Witz. So nach dem Motto: 'Lass uns das spielen und ein paar Leute schockieren.' Für ihn war das kein Witz."

"Ich frage mich ernsthaft, wie viel davon für ihn echt war?", sagt Creekbaum.

Creekbaum hat nicht nur die Aufnahmen der Band offline genommen, sondern auch alle kontaktiert, die Songs oder Videos von Menstrual Munchies gehostet haben.

"Ich will damit nicht in Verbindung gebracht werden. Ich will nicht, dass das durch die Decke geht. Ich will nicht, dass er romantisiert wird. Ich will nicht, dass irgendwas davon romantisiert wird. Ich will, dass die Leute ihn aus der Geschichte löschen", sagt Creekbaum.

Die Porngrind-Szene

Die Porngrind-Szene ist ein obskurer Ableger der größeren Grindcore-Szene. Sie besteht im mittleren Westen der USA aus einer Handvoll Bands, die oft füreinander oder vor wenigen Zuschauern spielen. Selbst Genregrößen wie Cock and Ball Torture aus Deutschland haben nur einige tausend Facebook-Fans.

Zach Walton, der früher in Columbia, Missouri, Konzerte für Menstrual Munchies organisiert hat, sagte in einem Telefoninterview, dass die Porngrind-Szene eng miteinander verbunden sei. Er und seine Freunde seien bestürzt gewesen, als sie von B.s Tat erfahren haben. Walton glaubt allerdings nicht, dass die Musik in irgendeiner Weise zu den Morden beigetragen hat.

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"Es ist einfach die Musik, die wir mögen. Es macht Spaß, sie zu spielen. Sie ist energiegeladen und es gibt nichts anderes in der Art", sagte der 29-Jährige. "Und dann kriegen wir Leute wie den, die einfach krank im Kopf sind. Die kommen in unsere Szene, töten neun Menschen und machen uns einen schlechten Ruf. Das ist uns anderen gegenüber einfach nicht fair."

B. selbst hatte weder Material für Menstrual Munchies geschrieben, noch war er an Aufnahmen beteiligt. Er trat allerdings als Sänger mit der Band auf. Creekbaum selbst ist hin und hergerissen: Einerseits vertritt er die Meinung, dass Musik und Kunst Menschen nicht zu Mordtaten verleite, andererseits fühle er sich schuldig, dass jemand aus seinem Umfeld Gewalttaten ausgeführt hat, wie er sie in seinen Songs in ähnlicher Form beschrieben hat.

Creekbaum sagt, er habe die Polizei von Dayton sofort kontaktiert, nachdem er von der Tat erfahren hat. Die Beamten hätten sich nicht zurückgemeldet, dafür habe ihn das FBI am Montag besucht, um mit ihm zu sprechen.

B.s bizarres Verhalten

Rückblickend gab es einige Anzeichen dafür, dass mit B. etwas nicht stimmte. Er war ein Einzelgänger und emotional in sich gekehrt, wie Creekbaum und andere aus der Szene VICE mitteilen.

Laut Creekbaum nahm B. einmal eine Handfeuerwaffe mit auf eine Tour durch den Bundesstaat Iowa. Er habe vorgeschlagen, damit einige Tankstellen zu überfallen. Zwar habe er B. dafür eine Standpauke gehalten, sagt Creekbaum, gleichzeitig habe er B.s Vorschlag auch nicht wirklich ernst genommen.

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Die anderen hätten sich in letzter Zeit aufgrund seines bizarren Verhaltens von B. distanziert, so Creekbraum weiter. Unter anderem habe er in einem realistischen Rahmen von der Gewalt gesprochen, die in der Musik der Szene vorkommt. Außerdem habe er Geschichten über seinen Methamphetamin-Konsum erzählt und vorgegeben, vorbestraft zu sein.

Auch habe B. erzählt, er sei von seiner Highschool suspendiert worden, weil er eine "Todesliste" und eine "Vergewaltigungsliste" über Mitschüler und Mitschülerinnen führte, denen er mutmaßlich Gewalt antun wollte. B. habe Creekbaum gegenüber erwähnt, dass er depressiv sei. Einen Massenmord hatte Creekbaum B. trotz allem nicht zugetraut.

Die Band sei nicht mehr aktiv gewesen, seit Creekbaum im Juli herausgefunden haben will, dass B. nach einem Auftritt Konzertbesucher kontaktiert und um PayPal-Überweisungen gebeten habe. Dieses Verhalten fand Creekbaum anstößig.

Laut Creekbaum war es immer das erklärte Ziel der Band, kontroverse Musik zu spielen, inspiriert von Schock-Rockern wie Mentors oder GG Allin. Creekbaum war auf der Bühne häufig splitternackt, mit nur einer Henkerskapuze auf dem Kopf. In einem Video tragen die Bandmitglieder lediglich Weihnachtsmannbärte und -mützen.

Man kann sagen, dass die Band das Ziel, kontrovers zu sein, erreichte: Selbst einige seiner guten Freunde hätten die frauenfeindlichen, brutalen Texte zu extrem gefunden, so Creekbaum. Nun wird diese Art der Musik in den USA wohl genauer beleuchtet, denn Taten wie B.s führen inzwischen regelmäßig zu Debatten über das toxische Bild der Maskulinität, die viele als einen maßgeblichen Faktor für Massenmorde und Amokläufe sehen.

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B.s politische Überzeugungen werden ebenfalls diskutiert. Er bezeichnete sich selbst als Antifaschisten, schimpfte in den sozialen Medien über Neonazis sowie Waffengewalt (diese Posts auf Twitter und Facebook wurden inzwischen gelöscht). Manche rechte Beobachter behaupten nun, B.s Ideologie habe zu seinen Motiven gehört.

Ryan Ward von der Band Cunt Torch aus Ohio, die regelmäßig Auftritte mit Menstrual Munchies spielte, zieht einen Vergleich damit, wie Medien Marilyn Manson und South Park die Schuld an dem Schulmassaker von Columbine gaben. Doch Ward gesteht ein, dass es da einen großen Unterschied gibt: B. war Mitglied einer Band und eben nicht nur Fan.

Dennoch bezweifelt Ward, dass die Entmenschlichung, die solche Bands in der Musik darstellen, zu einem Umfeld beigetragen hat, in dem B. so sehr abstumpfte, dass er selbst blutige Gewalttaten beging. Zwei von B.s Opfern waren seine eigene Schwester und ihr Freund.

"Zu dieser Musik gehört es, dass man sich Wege ausdenkt, wie man Menschen so entmenschlicht oder erniedrigt wie möglich darstellen kann", sagt Ward. "Sexuelle Entmenschlichung und Objektifizierung machen einen großen Teil davon aus." Wenn die Musik B. in irgendeiner Weise beeinflusst haben sollte, dann halte er das für eine Ausnahme, so Ward.

"Ich sehe es als unsere Verantwortung, die Menschen wissen zu lassen, dass das nicht das ist, wofür wir stehen", fügt er hinzu. "Unsere Songs sind keine Vorhersagen oder bedrohliche Botschaften, die sich bewahrheiten sollen. Sie sind einfach nur Songs." Auf dem Instagram-Account seiner Ein-Mann-Band ist Ward auf einem Foto zu sehen, auf dem er eine vor ihm kniende Frau an den Haaren packt und ihr ein großes Messer an die Kehle hält. Unter anderem steht bei dem Post der Hashtag "#KillEveryone".

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