Politik

Die Aktion des Zentrums für politische Schönheit zeigt, wie falsch deutsche Erinnerungskultur ist

Lieber tote Juden instrumentalisieren, als mit uns lebenden Juden zu sprechen.
Die Widerstandssäule des ZPS
Foto: Bernardo Martins

Die neue Installation des Kunstkollektivs Zentrum für politische Schönheit hielt ich zuerst für einen schlechten Scherz. Vor dem Bundestag hat das ZPS eine sogenannte "Widerstandssäule" ausgestellt und behauptet, in ihr seien Überreste von Opfern des Nationalsozialismus eingeschlossen. Die Asche von ermordeten Jüdinnen und Juden und Sinti und Roma, öffentlich ausgestellt, mitten in Berlin. Auch wenn das Zentrum inzwischen zurückrudert und relativiert: Die Aktion gewinnt dadurch nicht an Geschmack.

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Es gibt nicht nur eine jüdische Meinung oder eine einzige jüdische Perspektive. Niemand kann für alle Jüdinnen und Juden in Deutschland sprechen. Doch wie die meisten jüdischen Menschen in Deutschland halte ich recht wenig davon, wenn die Asche unseren ermordeten Angehörigen instrumentalisiert wird. Ganz egal, welchem Zweck so eine Aktion dient.

Das Zentrum für politische Schönheit hat scheinbar nicht bedacht, was wir davon halten, die Betroffenen, wenn die Überreste unserer ermordeten Vorfahren öffentlich ausgestellt werden. Sie hätten uns fragen können, haben sie nicht. Ich finde es makaber, dass unsere ermordeten Vorfahren nun als Lehrbeispiel herhalten müssten.

Das Zentrum tut ganz so, als ob wir Jüdinnen und Juden gar nicht mehr in Deutschland leben würden. Sie eignen sich als (deutsche) Künstler tote Körper an, von im industriellen Massenmord vernichteten Menschen. Das finde nicht nur ich unglaublich ekelhaft, die Installation des Zentrums für politische Schönheit geht dabei auch gegen sämtliche jüdische Bräuche. Sie widerspricht unserer eigenen Erinnerungskultur, die eine absolute Totenruhe vorschreibt.

Statt sich mit lebenden jüdischen Menschen zu befassen, gibt das Zentrum für politische Schönheit lieber vor, sich für das Schicksal der Toten zu interessieren. Gedenken ist wichtig, aber die aktuellen Ängste und Probleme von in Deutschland lebenden Juden werden viel zu oft ignoriert und kleingeredet. Wer fragt, wie wir Jüdinnen und Juden das Ganze wahrnehmen? Jüdische Menschen werden nicht gehört, weil sie nicht in das Bild eines Landes passen, das seine Vergangenheit vorbildlich aufgearbeitet hat. Sie sind nur da, um als politisches Werkzeug zu dienen. Das ist die Asche unserer Vorfahren wohl nützlicher als kritische Stimmen von Überlebenden und ihren Nachfahren.

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Mittlerweile ist das Zentrum für politische Schönheit, wie gesagt, etwas zurückgerudert. Sie geben an, statt Asche "nur" Bodenproben aus der Nähe von Auschwitz entnommen zu haben. Doch das macht keinen Unterschied. Der Effekt ist derselbe: Grenzüberschreitung, Aufregung, Schock. Auf Twitter verbreitet das Zentrum Unterstützer-Tweets. Da heißt es dann: "Die gesamte jüdische Gemeinde kann man mit Erinnerungsaktionen erst mal sowieso nicht zufriedenstellen, denn in deren Sicht geht es um ihre emotionalen Bedürfnisse.”

Für mich fühlt sich die Form der Erinnerung falsch und absolut unehrlich an, denn sie stilisiert die Künstler zu Helden, aber lässt die Geschichten der Ermordeten außen vor. Nicht-Betroffene danken der Künstlerinnengruppe für ihren unermüdlichen Einsatz beim Gedenken an die Opfer der Shoah. Dieser Einsatz sieht ungefähr so aus: auf der Seite des Zentrums für politische Schönheit sind die entnommenen Bodenproben als sogenannte "Schwurwürfel" für 75 Euro käuflich zu erwerben, ein ideales Weihnachtsgeschenk. Das Geld fließt in die Kunstaktionen des Kollektivs – und nicht etwa an jüdische Organisationen oder Gruppen, deren politische Arbeit gegen Rechts mehr ist als leere Symbolik.

Fast schlimmer als die Aktion selbst ist jedoch die Überheblichkeit, mit der das Zentrum für politische Schönheit und seine Fans in sozialen Medien auf Kritik reagieren.

Sie erheben die Stimme über uns. Sie maßen sich an, die Opfer des Nationalsozialismus aus der Vergessenheit geholt zu haben. Wir als jüdische Community, so divers und vielschichtig diese auch sein mag, haben sie jedoch niemals vergessen. Mein Wissen über die Shoah habe ich über den jüdischen Religionsunterricht, über Recherche in Archiven, über den Austausch mit Überlebenden, über einen persönlichen Bezug. Ich brauche dafür kein Zentrum für politische Schönheit, das sich im großen Stil als deutscher Erinnerungsweltmeister inszeniert.

Die Aktion des Zentrums für politische Schönheit zeigt, wie anmaßend die Erinnerungskultur in Deutschland ist. In ihr dürfen wir Jüdinnen und Juden höchstens als Lehrobjekte für das deutsche Volk herhalten, als Objekte geschmackloser Aktionen. Jegliche Kritik von jüdischer Seite ist unerwünscht und wird kleingeredet. Doch es tut weh, wenn die eigene Stimme nicht gehört wird. Ganz egal, was sich das Zentrum für politische Schönheit bei ihrer Aktion ursprünglich gedacht hat: Wir in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden, und auch die im Porajmos ermordeten Sinti und Roma, wurden dabei nicht gefragt.

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