Frau hält psychedelischen Papierkreis vor Gesicht
Alle Fotos: Viktoria Grünwald

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Drogen

Kiffen stürzte mich in Panikattacken und eine Psychose

Warum ich trotzdem für eine Legalisierung von Cannabis bin.

Es begann mitten in der Nacht mit Herzrasen, Kurzatmigkeit, Enge in der Brust und gipfelte in einem Gefühl unfassbarer Angst. Ein Gefühl von Angst, das ich bisher noch nicht erlebt hatte. Begleitet von Fragen, auf die es keine Antwort gibt. "Warum bin ich ein Mensch? Wieso denke ich überhaupt?" Ich hatte das Gefühl, verrückt zu werden. Und das alles, während ich total stoned war.

Ich erinnere mich noch genau, wie hellwach ich auf einmal war, obwohl ich vorher fast geschlafen hatte. Mit weit aufgerissenen Augen lag ich im Bett, starrte in die Dunkelheit und hoffte, dass dieses Gefühl endlich verschwinden würde.

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Eine halbe Stunde hat es gedauert, bis ich mich in einem Zustand befand, in dem ich endlich einschlafen konnte. Immer noch verängstigt. Meiner Freundin, mit der ich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub war, erzählte ich am nächsten Morgen nichts davon.

Ich wusste weder, dass ich an diesem Abend eine Panikattacke hatte, noch wollte ich darauf angesprochen werden, dass an meinem Zustand meine tägliche Kifferei Schuld sein könnte. Da hat auf jeden Fall die Sucht gesprochen. Aber auch fehlende Aufklärung.

Acht Panikattacken, eine drogeninduzierte Psychose und einen Klinikaufenthalt später sage ich trotzdem: "Legalize it!". Warum das so ist, möchte ich mit meiner Geschichte erklären.



Seit ich denken kann, wurde in meinem Umfeld gekifft. Das erste Mal habe ich mit 14 zu einem Joint gegriffen. Eigentlich kam ich schon damals nicht mit der Wirkung zurecht. In den folgenden neun Jahren habe ich vielleicht einmal im Jahr gekifft, wenn überhaupt. Bei jedem weiteren Mal kam ich zu dem Ergebnis, dass es einfach nicht "meine Droge" ist. Ich war kein Fan davon, für mindestens vier Stunden keine Kontrolle über meinen Kopf zu haben.

Bis zum letzten Jahr, als genau dieser Zustand für mich die einzige vermeintliche Möglichkeit geworden war, mit meinem Leben zurecht zu kommen. Eine Trennung brachte mich zu exzessivem Alkoholkonsum, der damit endete, dass ich nur knapp einer Vergewaltigung entgangen bin. Mir wurde klar, dass ich etwas ändern musste. Also tauschte ich Alkohol gegen Gras.

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Smart, ich weiß. Der grüne Dunst eröffnete mir eine vollkommen neue Welt. Eine Welt, die ich immer noch ein bisschen vermisse.

Erst waren es nur mal ein, zwei Joints mit Freunden am Wochenende. Drei Monate später kiffte ich täglich. "Zum Entspannen nach dem stressigen Uni-Tag", war meine Begründung. Ich war 22 und hatte keine Lust, mich damit zu beschäftigen, warum ich nicht in der Lage war, allein zurechtzukommen. Und ich wollte mich nicht damit beschäftigen, dass ich meinen Ex-Freund jeden Tag vermisste oder ob mein Studium in Berlin überhaupt sinnvoll ist. Außerdem gab es in meinem Umfeld nicht so viele "Kiffer-Mädels". Es hat sich angefühlt wie mit 14, als ich mit dem Rauchen angefangen habe. Ich habe es gefeiert, "Anerkennung" von meinen Kumpels für meine selbstgebauten Joints zu bekommen.

Grundsätzlich sind das wohl klassische 20-something-Themen. Liebeskummer, Zukunftsängste, Drogenexperimente. Aber das mit dem Kompensieren kann schnell gefährlich werden. Besonders wenn man zum "Team Soft" gehört, wozu ich mich mittlerweile zähle, und ein bisschen mehr auf sein Stresslevel aufpassen muss als manch ein anderer.

Allein, verängstigt und überzeugt, verrückt zu sein – Der Weg in die Klinik

Zwischen meiner ersten Panikattacke und der Tagesklinik lagen glücklicherweise nur zwei Monate. Wahrscheinlich hätte es sonst schlimmer geendet. Der Entschluss für die Klinik kam durch meine zweite, deutlich heftigere, Panikattacke.

Ich war grade auf dem Weg von einem Arzttermin in ein Einkaufszentrum, um mir neue Kopfhörer zu kaufen. Schon im Auto spürte ich meine Anspannung. Allerdings schob ich es auf den Termin vorher und einen darauffolgenden. Deshalb habe ich meinen körperlichen Symptomen nicht so viel Beachtung geschenkt. Ich parkte mein Auto und ging in die Einkaufspassage.

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Dann knallte es.

Ich hatte einen unfassbar stechenden Schmerz oberhalb meines rechten Auges und auf einmal war alles wie benebelt. Jede Bewegung um mich herum machte mir Angst. Mir wurde übel, ich hatte Atemnot und fühlte Beklemmung. Ich habe nicht verstanden, was plötzlich los war. Ich war weder in der Lage, dem Kassierer des Elektronikmarktes, in die Augen zu sehen, noch sonst einem Menschen. Ich wollte einfach nur schnellstmöglich raus aus dem Einkaufszentrum. Vor allem aber waren auch die Gedanken wieder da, die mir so Angst machten. Ich war komplett überfordert.

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Zurück in meinem Auto entspannte ich etwas. Aber alles war noch immer benebelt. "Du hast bestimmt gestern zu viel geraucht", sagte ich mir, um mich zu beruhigen. An Tagen mit zu viel Gras vor dem Schlafengehen bin ich immer erst gegen Nachmittag richtig wach geworden. "Kifferkater halt. Steiger dich da jetzt mal nicht so rein." Mit diesem Gedanken fuhr ich zu einem zweiten Arzttermin. So richtig gut ging es mir allerdings noch nicht.

Als ich im Sprechzimmer saß, wurde alles noch schlimmer. Ich redete wirr durcheinander, von den "gruseligen Gedanken" und den eigentlichen Gründen, weshalb ich einen Termin bei der Ärztin hatte. Als erneut die Atemnot einsetzte, begann ich zu weinen. Ich erinnere mich noch sehr gut an das quälende Gefühl. Ich wollte so unbedingt aus meinem Kopf raus, der sich anfühlte wie ein Gefängnis. Mein erster Instinkt war, aus dem Fenster zu springen.

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Es war furchtbar.

Ich wollte so unbedingt aus meinem Kopf raus, der sich anfühlte wie ein Gefängnis. Mein erster Instinkt war, aus dem Fenster zu springen.

Die Ärztin, bei der ich war, ist an ein Krankenhaus angebunden. Sie brachte mich sofort in die Notaufnahme. Und da saß ich dann. Allein, verängstigt und überzeugt, verrückt zu sein.

Nach zwei oder drei Stunden wurde ich endlich aufgerufen. Ich hatte mich in der Zwischenzeit etwas beruhigt, war mit meinen Kräften aber vollkommen am Ende. Der behandelnde Psychiater war sehr einfühlsam. Er erklärte mir, dass ich gerade eine starke Panikattacke durchlebt hatte. Sie sind Teil von Angststörungen, an denen 2010 mehr als 60 Millionen Menschen in Europa litten. Der Arzt gab mir zwei Tavor zur Beruhigung und den Flyer der angeschlossenen Tagesklinik, mit der Bitte, mich dort vorzustellen. In der Zwischenzeit kam auch mein Vater, der mich nach Hause brachte.

Am nächsten Tag rief ich in der Klinik an und bekam die Zusage für einen Platz zwei Wochen darauf.

Ich wurde mehr als einmal rückfällig von Gras – trotz Psychose

Nach dieser Panikattacke stand mein Leben erstmal Kopf. Ich litt an einem Zustand, der sich Derealisation nennt. Kurz gesagt, habe ich meine Umwelt wie auf Autopilot wahrgenommen. Ich fühlte mich abgeschottet. Alles war von einer Art Nebel umgeben. Das alles begleitet von psychotischen Gedanken. Geil.

Dass meine Kifferei, die Panikattacke und die Angst vor meinen Gedanken zusammenhingen, war mir bewusst. Dass dieser Zusammenhang aber untrennbar ist, nicht. Das wollte das kleine Suchtmännchen in meinem Kopf nicht wahrhaben.

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Ich hörte auf, täglich zu kiffen. "Zu besonderen Anlässen wird das aber noch drin sein", dachte ich. Deshalb griff ich nach meinem Aufenthalt in der Notaufnahme und kurz vor Beginn der Tagesklinik das erste Mal wieder zum Joint.

An diesem Tag besuchte ich eine Freundin in Hamburg. Ursprünglich wollte ich weiter die Finger vom Gras lassen. Wer aber schon mal von etwas abhängig war, weiß, wie schwer das ist. Ich war zu diesem Zeitpunkt seit eineinhalb Jahren täglichen Konsum gewöhnt und dachte, ich hätte nach zwei Wochen Pause die Kontrolle zurückgewonnen. Das Abklingen meiner Derealisation und der Psychose bestärkten mich zusätzlich.

Falsch gedacht.

Ich hatte erneut eine Panikattacke. Dieses Mal in einem Supermarkt und am nächsten Morgen war meine Derealisation wieder voll da. Großartig. Meiner Familie und Freunden in Berlin erzählte erstmal nichts ich davon. Ich war einfach nur froh, als ich in der darauffolgenden Woche endlich mit der Therapie starten konnte.

Durch diese Unterstützung und die tägliche Konfrontation mit meinen Problemen schaffte ich einen Monat ohne Kiffen. Panikattacken blieben aus und meine Derealisation verschwand komplett. Die psychotischen Gedanken wurden von Tag zu Tag weniger. Den direkten Zusammenhang wollte ich weiter nicht sehen. Ich hatte viel aufgearbeitet und fühlte mich stärker.

Kurz vor Ende meiner Klinikzeit fand das Lollapalooza-Festival statt. Gute Laune, Musik, Sonne, Alkohol und Übermut sorgten für einen erneuten Rückfall. Während The Weekend (mein Hero aus Kifferzeiten) auf der Bühne stand, bekam ich mitten in der Masse wieder eine Panikattacke. Auch alle anderen Symptome kamen wieder. Ich fühlte mich auf Null zurückgesetzt und hatte Angst, nie wieder gesund werden zu können.

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In der Klinik lag der Schwerpunkt auf der Behandlung von Depression, Angst- und Panikstörungen. Meine Sucht wurde deshalb nicht primär, sondern als Begleiterkrankung mitbehandelt. Dadurch wurde mir der Zusammenhang von Drogen und Panikstörungen nicht ausreichend vermittelt. Das sehe ich im Nachhinein als Kritikpunkt des Therapieprogramms. Nur durch Zufall hat mir eine Mitpatientin ein Buch in die Hand gedrückt, das mir endlich eine Erklärung lieferte.

Wenn man innerhalb von 48 Stunden nach Drogenkonsum eine Panikattacke bekommt, entsteht im Gehirn eine Verknüpfung. Konsumiert man wieder, ist die Reaktion darauf: eine Panikattacke.

Diese eine Erkenntnis hat mich seitdem davon abgehalten, nochmal zu kiffen. Ich habe angefangen mich mit den Langzeitfolgen von Graskonsum zu beschäftigen und beschlossen, auf Russisch Roulette mit meiner geistigen Gesundheit zu verzichten. Das mit dem Kiffen kann einfach nicht jeder.

Legalisiert Cannabis, damit es weniger Menschen so geht wie mir

Aber wieso sage ich, nach allem was mir durch das kiffen passiert ist, trotzdem: "Legalize it!"?

Der Grund ist einfach: gutes Gras und Aufklärung.

Ich werde es zwar nicht mehr herausfinden, aber ich glaube, dass ein Teil meiner Störungen durch schlechtes Gras verursacht wurde. Ich bin natürlich immer "zum Dealer meines Vertrauens" gegangen, aber auch der konnte mir nicht beantworten, woher sein Shit ursprünglich kam. Wenn man keine Freunde hat, die gutes Home-Grow verticken, ist es wie mit Bertie Botts Bohnen. Du weißt nicht ob du Himbeer-Sahne oder Kotze aus der Packung ziehst.

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Legalisierung bedeutet Kontrolle und Sicherheit. Man hat die Möglichkeit sich beraten zu lassen. Gras zu kaufen, "das zu einem passt". So wie in Amsterdam. Dort bin ich in den Coffeeshop gesteppt, habe dem Verkäufer gesagt, wieviel ich durchschnittlich kiffe und dass ich gerne etwas hätte, was mir gute Laune macht, aber nicht zu krass scheppert. Genau das habe ich auch bekommen.

Gras kann definitiv eine Einstiegsdroge sein. Ich bin aber der Meinung, dass Menschen von einer Droge abhängig werden, unabhängig davon, ob sie legal oder illegal ist. Wenn man einen Hang zur Sucht hat, dann ist der da. Ich spreche aus Erfahrung.

Deshalb muss es selbstverständlich Auflagen und Gesetze geben. Nicht jeder Späti sollte neben Lieblingsbier, Chips & Co auch Ott verkaufen können.

Die Zahl der Verkaufsstellen könnte man zum Beispiel an die Bevölkerungsdichte anpassen. Dementsprechend gibt es in einem 1.000-Seelen-Dorf dann nichts zu holen, in einer Großstadt wie Berlin dann aber 150 Anlaufstellen.

Das sind jetzt vage Ideen und Überlegungen, der Punkt ist aber: Sobald etwas legal ist, wird darüber lauter gesprochen. Ich behaupte, dass man dann deutlich effektiver darüber aufklären kann. Viele Menschen haben noch immer Berührungsängste mit diesem Thema. Nur durch meine Recherche habe ich erfahren, dass das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, durch den Konsum von Cannabis um 37 Prozent steigt. Das sollte nicht der Fall sein.

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Kritikerinnen und Kritiker behaupten, dass eine Legalisierung nicht funktionieren würde, da das kontrollierte Gras durch Steuern "zu teuer" wäre und die Menschen weiterhin auf den Schwarzmarkt zurückgreifen würden. Ich wäre absolut bereit dazu gewesen, mehr Geld zu zahlen, wenn ich gewusst hätte, dass die Qualität stimmt. Wie bei allen anderen Dingen auch, die ich mir kaufe. (Elektronik, Essen oder Kleidung … wer jetzt an andere Drogen gedacht hat, den muss ich enttäuschen.) So hätte ich wenigstens die Sicherheit gehabt, keinen gestreckten Scheiß zu rauchen.

An Alkohol sterben jährlich rund 74.000 Menschen in Deutschland. Durch Cannabis-Konsum ist bis heute noch niemand ums Leben gekommen. Studien aus den USA zeigen, dass die Zahl der Konsumierenden nach der Legalisierung vor allem bei jungen Menschen sinkt, statt zu steigen.

Das soll Drogenkonsum nicht verherrlichen. Es sind einfach Fakten, die man nicht wegreden kann.

Ich habe das Gefühl, dass es nur noch nicht legal ist, weil es noch zu viele Politikerinnen und Politiker gibt, die selbst nie gekifft haben oder nach einmaligen Konsum denken, sie könnten mitreden. Wieso entscheidet man also über ein Thema, von dem man keine Ahnung hat? Oder aber sie haben noch nicht den besten Weg gefunden, wie sie am meisten Kohle mit der Legalisierung machen können.

Was auch immer es ist – bitte zieht euch endlich den Stock aus dem Arsch und sorgt dafür, dass wir auch in Deutschland die Möglichkeit haben, ungestrecktes Cannabis zu rauchen. Legal.

Wenn du ähnliche Erfahrungen gemacht hast – auch mit gestrecktem Cannabis – und du mit VICE darüber sprechen möchtest, erreichst du unseren Redakteur Tim Geyer per E-Mail oder Twitter-DM.

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