Bild von Courtney Nicholas
Bei seiner Verfilmung von Der große Gatsby stand Baz Luhrmann vor einer ähnlichen Herausforderung wie Walter Salles bei On the Road: Wie bleibst du der dargestellten Ära treu, während du die Authentizität des Originaltextes beibehältst? Salles hat es perfekt geschafft, die Atmosphäre des Amerikas der 50er festzuhalten. Doch man könnte auch argumentieren, dass Dean und Sal, seine beiden Hauptfiguren, zu wenig Drang besitzen—zu wenig Leidenschaft in ihrem Hunger nach Leben, Leben, Leben.
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Eine alte Weisheit besagt, dass ein gutes Buch automatisch einen schlechten Film nach sich zieht, während aus einem Potboiler wie Der Pate ein großartiger Film wird. Hinter dieser Daumenregel steht jedoch die Idee, dass ein gutes Buch vom Schreibstil abhängt und bei seiner Adaption, egal ob filmisch oder sonst wie, immer die Magie verloren geht. So gut wie alle (Film-)Kritiker haben bereits bemerkt—und sie haben recht, auch wenn sie sich wiederholen—, dass Fitzgeralds Prosa den Großen Gatsby groß macht. Wir drücken bei Klassikern das ein oder andere Auge zu, weil wir die Charaktere lieben. Aber wenn ältere Geschichten auf Film wiederbelebt werden, muss das Verhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart berichtigt werden. Wenn so etwas fehlt, dann liegt das oft nicht an den Schauspielern oder der Regie, sondern am Status des Buches als „Klassiker“.
Als er Gatsby verfilmte, plagten Baz Luhrmann wahrscheinlich vor allem folgende Fragen: Was wird funktionieren? Und, wie vorher bei Romeo und Julia, wie schaffe ich es, dieses alte Material in einem neuen Medium für ein modernes Publikum zum Leben zu erwecken? Irgendwie hat es Luhrmann geschafft, dem Originaltext und seinem zeitgenössischen Publikum treu zu bleiben. Die Jazzmusik der 1920er war rau und gefährlich, aber wenn Luhrmann heute diese Musik benutzt hätte, wäre der Film zu einem Museumsstück geworden—irrelevant für den Mainstream sowie die Hochkultur, denn wir alle hätten gewusst, was auf uns zukommt. Es gab Einwände gegen die 3D-Technik, die bei dem Film verwendet wird, aber ganz ehrlich, das ist nicht das Problem. Das 3D funktioniert, und es lenkt weder ab, noch ist es ein Game Changer. Du schaust es dir einfach an, weil es Spaß macht.
Diejenigen Kritiker, die den Film zerrissen haben, weil er zu sehr vom Buch abweicht, sind Heuchler. Diese Leute verdienen ihr Geld damit, Texte zu interpretieren und zu kritisieren, um eine Vielzahl von Theorien zu erstellen, die unterschiedlich sinnvoll sind—oder um Geld zu verdienen. Luhrmanns Film ist eben seine Interpretation des Gatsby—seine Kritik, wenn man so will. Würde sich irgendjemand über eine Adaption des Hamlet im Weltraum beschweren? Bestimmt nicht so sehr, wie die Kritiker die aktuelle Gatsby-Verfilmung verachten. Vielleicht ist das so, weil Gatsby wirklich ein Stück über eine bestimmte Zeit ist, während Shakespeares Stücke, zumindest nach meinem Verständnis, eher von universell gültigen Ideen, Idealen und Gefühlen handeln. Luhrmann musste Leben in die Ephemera und Aura der 1920er hauchen und das hat er auch geschafft.
Der Aufbau einer unmittelbaren Spannung innerhalb eines Films ist natürlich gänzlich anders als in einem Buch. Außer im Falle eines bereits sehr filmischen Textes müssen Filme, die aus literarischen Quellen entwickelt werden, an einem strengen Faden entlang erzählt werden. Sobald Gatsby es geschafft hat, Daisy zurückgewinnen, wird der Story der Schwung genommen. Ihre Beziehung ist uns relativ egal, verglichen mit den übertriebenen Mühen, die Gatsby auf sich nimmt, um den sozialen und wirtschaftlichen Status zu erreichen, den er benötigt, um sie wiederzubekommen. Und das ist auch heute noch ein universelles und sehr selten erreichtes Ziel von höchster Relevanz—verstärkt sogar noch durch die moderne Schönfärberei des Regisseurs. Gatsbys Verlangen entpuppt sich als das eines 16-Jährigen: Er will nicht nur Daisy für sich gewinnen. Er will ihre Gefühle kontrollieren. Das erinnert mich an Beziehungen aus meiner Schulzeit, als ich meine Freundinnen dafür folterte, dass sie sich früher von anderen Jungs hatten fingern lassen. Das Problem ist, dass wir besessen sind von Gatsbys Obsession, Daisy zurückbekommen, aber es bewegt uns nicht wirklich, wenn er sein Ziel erreicht. Interessiert also niemanden.
Außerdem ist es eine wichtige Kehrseite von Nicks übertriebener Begeisterung für Gatsby, dass sie ihn dazu treibt, therapeutisch über ihre Freundschaft zu schreiben. Dies jedoch ist es erst, was ihre Freundschaft essentiell so groß macht. Wie lange kannten sie sich eigentlich? Sie waren sich nicht so nahe, oder? Und was macht Gatsbys Art für Nick überhaupt erst so ansprechend? Dass er eine Menge zwielichtiger Geschäfte abgeschlossen und viel Geld damit verdient hat? Dass er in eine Frau verliebt war? Dass er generell sehr charmant war? War Nick in Gatsby verliebt? Fitzgerald hatte viele Gründe, in seinem Privatleben überbegeistert von gatsbyähnlichen Charakteren zu sein (Monroe Stahr, Hauptfigur in Der letzte Taikun, verschmilzt romantische und geschäftliche Obsession), vor allem weil Fitzgerald Zelda solange nicht heiraten konnte, wie er noch kein erfolgreicher Schriftsteller war. Aber Nick, der außerhalb der Handlung steht, hat kein persönliches Interesse an der Geschichte. Dadurch, dass das Gewicht seiner Rolle verstärkt wird, steigt sein Interesse jedoch an und macht seine Obsession für Gatsby noch komplizierter. Vielleicht ist aber genau das Luhrmanns Gedanke gewesen, nämlich, dass genau diese Art der Verwirrung interessant ist, und wer könnte ihm deswegen einen Vorwurf machen? Oder vielleicht liebte Nick Gatsby einfach und wenn sie zusammen hätten leben können, wie Toby und Leo im echten Leben, wäre alles in Ordnung gewesen. Das klingt irgendwie auch nach einem Film. Aber ich schätze, das wurde schon gemacht—in einer Serie namens Entourage.
Schlussendlich hat es Luhrmann geschafft. Und das ist alles, was zählt. Der Film funktioniert. Wir haben uns die Story angeschaut, etwas gefühlt, wir wurden mitgerissen und waren begeistert.