James Jean ist der König der Illustration

Wenn ich gern wie irgendjemand zeichnen können würde, dann ist das James Jean. Ich übe viel und gelegentlich meine ich, ein paar leichte Anmutungen seiner zarten Formen und Linien in meiner Arbeit wiederzuentdecken, aber dann lösen sie sich immer schnell wieder auf. Wie viele Künstler habe ich versucht, Skizzenbücher derselben Marke, wie Jean sie verwendet (und die schon als die „James-Jean-Skizzenbücher” bekannt sind), oder seine bevorzugten Bleistifte (die „James-Jean-Stifte”) zu kaufen. Zugang zu diesen heiligen Stücken zu bekommen hat mir in der Tat ein wenig geholfen. Aber während ich noch seine früheren Arbeiten studiere und zu verstehen versuche, wie er die tollen Zeichnungen aus den Skizzenbüchern seiner Zeit an der Kunsthochschule hinbekommen hat, produziert er die ganze Zeit neue Arbeiten, die immer noch komplexer und vielschichtiger zu werden scheinen. Es gibt eine ganze Generation von Künstlern, die alles dafür geben würde, zu imitieren oder wenigstens zu verstehen, wie sein sechsfach mit dem Eisner-Award ausgezeichnetes Hirn seine Hand dazu anleitet, das zu tun, was sie tut.

Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, Jean ein paar Fragen zu stellen, aber ich weiß nicht, ob mir das wirklich geholfen hat, endlich so zu werden wie er. Ich habe aber ein paar Einblicke gewinnen können, wie seine persönlichen Ökonomien die Art beeinflusst haben, wie er freie Kunst und kommerzielles Arbeiten in Einklang bringt. Außerdem sprachen wir über seine Helden und darüber, wie das Internet die traditionellen Hierarchien in der Präsentation von Bildern aufhebt. Und dann hat er mir noch mit einer Ohrfeige gedroht.

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VICE: Sind deine Eltern Künstler?
James Jean:
Nein, sind sie nicht. Ich bin nicht in einem künstlerischen Umfeld aufgewachsen. Aber ein Freund gab mir, als ich 13 war, ein Wolverine-Comic und damit war ich angefixt.

Weißt du noch, welche Ausgabe es war?
Wolverine 37, von Marc Silvestri gezeichnet.

Welche Comiczeichner haben dich als Teenager am meisten interessiert?
Als Teenager sah ich mir Sachen von Jim Lee, Todd McFarlane, Geof Darrow, Frank Miller an. Ich war von deren unanständigen Anatomien begeistert und davon, wie es ihnen gelang, mit minimalen Unterschieden in der Strichstärke unterschiedliche Texturen und Oberflächen zu beschreiben.

Nervt es dich manchmal, wenn Leute deinen Stil nachahmen?
Nein, ich habe auch viele große Künstler nachgeahmt, allerdings sind die meisten von ihnen tot.

Was rätst du Leuten, die lernen wollen so zu zeichnen wie du?
Zeichne ständig, aber vermeide billige Manierismen.

Ist deine Arbeit von der Geschichte der asiatischen Kunst beeinflusst?
Ich bin mit drei Jahren in die USA übergesiedelt. In meinen frühen 20ern war ich von der Arbeit von Giuseppe Castiglione fasziniert. Er war ein italienischer Missionar, der in China während der Qing-Dynastie ein Hofmaler wurde. Die Arbeiten verbinden östliche und westliche Einflüssen auf wunderschöne Weise. Ich war auch schon früh von [Katsushika] Hokusai, [Tsukioka] Yoshitoshi und Mangakünstlern wie Maruo Suehiro be­eindruckt. Ich glaube aber nicht, dass mein Faible etwas mit meiner genetischen Abstammung zu tun hat.

Gab es jemals einen Moment, wo du begonnen hast, wirklich zu verstehen, was es heißt zu zeichnen?
Nach meinem ersten Jahr an der Kunsthochschule gab es einen Schlüssel­moment, als ich begonnen hatte, obsessiv an meinen Skizzenheften zu arbeiten. Ich verweigerte mich den akademischen oder experimentellen Aufgabenstellungen, nach denen wir zeichnen sollten, und kehrte zu dem fantasievollen Gekritzel meiner Kindheit zurück.

Unter welchen äußeren Bedingungen hat sich deine Arbeit dann fortentwickelt?
Auf jeden Fall hat es meine Arbeit beeinflusst, dass ich zwischen 2001 und 2008 so viele kommerzielle Sachen gemacht habe. Meine erste Einzelausstellung 2009, Kindling, reflektierte diese verfeinerte Art von Energie. Aber wenig später fing ich an, Arbeiten zu machen, die mehr in Richtung Malerei gingen, expressionistisch und experimentell waren. Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer gleichzeitig um mehrere verschiedene Herangehensweisen herum bewege. Vielleicht wird es sich erst in der Draufsicht auf mein gesamtes Schaffen erschließen—ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass es im Moment etwas schizophren wirkt.

Eine der Sachen, die ich an dir bewundere, ist dass du Low-Art wie Comic-Cover und dann High-Art, wie deine Gemälde machen kannst und dich nicht auf das eine oder andere festlegen lässt. Hast du dabei einen bestimmten Karriereplan im Hinterkopf oder nimmst du es einfach, wie es kommt?
Als ich Anfang 20 war, war ich finanziell für eine andere Person verantwortlich, also fühlte ich mich verpflichtet, so viel Arbeit wie irgend möglich anzunehmen. Aber immerhin kann ich mir die Sachen inzwischen ein bisschen mehr aussuchen.

Für welche Künstler hast du dich in letzter Zeit interessiert?
Es gibt so viele Sachen da draußen. Ich bin nicht sehr gut darin, zu filtern. In meinen 20ern habe ich die Arbeiten einer ganzen Reihe von Künstlern mitverfolgt, aber viele von ihnen produzieren inzwischen nicht mehr so viel. Was mich in der Anfangszeit beeinflusst hat, waren die Radierungen von Dürer, Werbeplakate aus Schanghai und anatomische Mezzotintos. Comiczeichner wie Carlos Nine und Chris Ware. Maler wie Neo Rauch und Michaël Borremans.

Aber jetzt gibt es so viele Sachen da draußen, dass es schwer ist, von irgendetwas berührt zu sein und viele Dinge sehen sehr ähnlich aus oder nachgemacht.

Warum?
Ich denke, dass das Internet mehr Leute ermutigt, visuelle Künstler zu werden. Aber ich habe den Eindruck, dass die Fortentwicklung der Stile und Herangehensweisen vorher linearer verlief. Jetzt gibt es keine Hierarchien mehr in der Zugänglichkeit von Bildern oder ihrer Präsentation. Es ist alles ein bunter Strom visuellen Durchfalls.

Erzähl mir etwas von dem Buch, das du demnächst herausbringst.
Es hat den Titel Xenograph und wird alle meine neuen Arbeiten beinhalten.

Was sind ein paar kreative Sachen, die du noch nicht gemacht hast, aber gern tun würdest?
Ich würde gern mit Keramik arbeiten. Und mehr Musik machen. Aber Bilder zu schaffen ist immer noch das Wichtigste.

Was für Musik möchtest du machen?
David Choe hat mich gerade eingeladen in seiner Band Mangchi mitzuspielen.

Hörst du gern Musik bei der Arbeit? Malst du jemals im Rhythmus der Musik?
Im Rhythmus der Musik malen? Ich hau dir gleich eine rein.

Oh Mann, ich wette, die Ohrfeige könnte ich für ‘nen Haufen Geld verticken.
Meine Liebkosungen sind grundsätzlich unbezahlbar.