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Japanisches Hentai stirbt aus

Hentai-Zeitschriften. Foto: MIKI Yoshihito | Flickr | CC BY 2.0

„Die Menschen haben häufig einen falschen Eindruck von Japan. Das ist ein konservatives Land”, sagt Peter Payne, den ich über Skype in der Präfektur Gunma knapp 100 Kilometer nördlich von Tokio erreiche.

Die Hentai-Pornos, die ich mir angesehen habe, scheinen dieser Aussage zu widersprechen: Da war ein nacktes Mädchen, über dem vier Jungs standen, ein Junge, der am Frühstückstisch die überdimensionalen Brüste seiner Stiefmutter begrapschte, und ein als Mädchen verkleideter Junge, dessen riesige Erektion seine Hose ausbeulte.

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Wirkt ziemlich liberal auf mich… und außerdem ziemlich bizarr. Ähnlich absurd wie das Styling japanischer Haustiere, die kulinarische Vorliebe für bedrohte Meeresbewohner oder J-Pop. Doch ich war bereit, Payne aufs Wort zu glauben, schließlich gehört ihm der Onlineshop J-List, über den er Hentai-DVDs und Mangas sowie zahlreiche andere, jugendfreie Anime-Produkte verkauft. Payne ist Amerikaner und lebt seit 23 Jahren in Japan. Ursprünglich war er für ein Jahr hergekommen, um zu unterrichten. Das klappte aber nicht so recht und schließlich blieb er einfach da.

Als der Internet-Boom in den späten 90ern begann, sagte er seiner Frau, er würde einen internationalen Versandhandel für Fans von Scifi und Anime aufbauen. Von da an wuchs das Unternehmen.

Regale voller Hentai. Foto: Ignis | WikiCommons | CC BY-SA 3.0

In einer Vitrine hinter ihm kann ich einen Haufen Star Wars-Figuren sehen. Er ist so aufgeregt wegen der in Kürze erscheinenden Filme, wie nur ein echter Science-Fiction-Fan es sein könnte. Doch Hentai (japanisch für „pervers” oder „bizarr”) ist kein gewöhnlicher Teil der Scifi- oder Zeichentrick-Popkultur. Dem Anime- und Manga-Genre wird vorgeworfen, die Sexualisierung von Kindern zu befördern und aggressiv frauenfeindlich zu sein.

Das liegt daran, dass in Hentai häufig übertrieben niedliche Schulmädchen (die so gezeichnet werden, dass sie eher europäisch aussehen) mit unrealistisch großen Brüsten und großen Rehaugen dargestellt werden, die zwangsläufig von bösen Jungs mit Aggressionsbewältigungsstörungen und tief verwurzelten psychosexuellen Problemen misshandelt werden—oder auch von Dämonen oder Monstern von anderen Planeten, die phallische Tentakel benutzen, um die diversen Körperöffnungen der Mädchen zu penetrieren, während diese quieken und darum betteln, nicht von den Tentakeln penetriert zu werden.

Japan, was soll das eigentlich mit diesen ganzen Tentakeln?

„Es werden deshalb Tentakel dargestellt, weil du keinen Penis zeichnen kannst, ohne dass der zensiert wird”, erklärte mir Payne und zitierte das Zensurgesetz von 1907, das immer noch gilt. „Dasselbe gilt für Bukkake. Du kannst es für Kunst oder für krank halten, aber hier ist es irgendwie out.”

Der Traum der Fischersfrau von Hokusai

Dass es in Japan schon ein alter Hut ist, wenn mehrere Männer auf das Gesicht einer Frau ejakulieren, ist nicht besonders überraschend, wenn man bedenkt, dass Tentakelsex schon seit über 200 Jahren in der japanischen Kunst dargestellt wird. In der letztjährigen Shunga-Ausstellung im British Museum gab es z.B. einen Druck aus dem Jahr 1814 mit dem Titel Der Traum der Fischersfrau, der zwei Tintenfische zeigt, die sich mit einer Frau paaren.

Klassische japanische Kunst ist das eine. Sie wird von Frauen und Männern geschätzt, die personalisierte Wachssiegel und importierte antike Katanas besitzen. Comics sind doch aber für Kinder, oder?

Erzähl das mal Toshio Maeda.

1986 führte Maeda Tentakelporno in den japanischen Anime ein, in dem es schon immer erregende Szenen unter der Dusche gab, aber nichts unverhohlen Unanständiges. Mit seinem Werk Urotsukidōji hat er das Hentai-Genre erfunden.

Toshio Maeda. Foto: Yves Tennevin | WikiCommons | CC BY-SA 3.0

Ich habe versucht, mit Maeda Kontakt aufzunehmen, während ich für diesen Artikel recherchierte. Genau genommen habe ich mehrere japanische Hentai-Zeichner angeschrieben, aber keine Antwort bekommen. Payne erklärte mir warum.

„Erstens: Wenn du versuchst, einen Japaner zu kontaktieren—und ich tue das ja beruflich—, wird sich fast jeder Japaner sagen: ‚Eine E-Mail von einem Ausländer… Darauf kann ich nicht antworten.’ Sie haben zwar sechs bis zehn Jahre lang Englisch gelernt, aber es wäre ihnen einfach zu peinlich, einen Fehler zu machen. Außerhalb von Conventions ist es sehr schwierig, mit ihnen zu sprechen. Das ist ein großes Hindernis.

Zweitens sterben Hentai und Anime als Branche in Japan aus. Die Zeichner verdienen so wenig (um die 7500 Euro pro Jahr), dass niemand das mehr beruflich macht. Die Illustration und Produktion werden nach Korea, China und auf die Philippinen ausgelagert.”

Payne zeigte mir eine Statistik zum Verdienst in diesem Bereich. Die Trickfilmzeichner stehen am unteren Ende der Leiter, obwohl ihr Beruf Handfertigkeit und eine Menge Arbeit erfordert. Am anderen Ende der Leiter stehen die Hentai-Synchronsprecher (häufig Stars aus der Filmindustrie), die einen sechsstelligen Verdienst erzielen.

Ich zog aus, um einen japanischen Hentai-Zeichner zu finden, den ich fragen konnte, ob er sich während des Studiums seine Karriere so vorgestellt hat und ob er moralische Bedenken bezüglich seiner Arbeit hat. Doch im Laufe meiner Recherchen wurde mir klar, dass ich in Korea nach den Antworten suchen musste. Schließlich fand ich einen Animator, der für ein kleines Grafik-Unternehmen in der Nähe von Seoul arbeitet. Er hat unter der Voraussetzung, dass er anonym bleiben würde, zugestimmt, mit mir zu sprechen.

„Meine Eltern wissen nicht, was ich mache”, erzählte er mir in gebrochenem Englisch übers Telefon. „Sie glauben, dass ich Plakate entwerfen würde. Das tue ich auch, aber ich zeichne eben auch gern Hentai. Das ist so eine Obsession von mir.”

Das klang, als ob es für diesen jungen Mann gleichzeitig Hobby und Broterwerb wäre.

„Das ist besser als echter Porno”, sagte er. „Manchmal sind die Dinge, die ich zeichne, wirklich schön und sexy. Manchmal sind sie … bedenklich, wenn du verstehst, was ich meine.”

Foto: Dave Fayram | WikiCommons | CC BY 2.0

Ich fragte ihn, ob es nicht langweilig sei, stundenlang monoton zu produzieren, Einzelbilder zu zeichnen und sie nach Japan zu schicken, damit sie dort zusammengestellt werden können. Er gab zu, dass die Arbeit monoton war, aber fügte hinzu: „Die Skripte und Trends sind so merkwürdig, dass du dich eigentlich gar nicht langweilen kannst. Die Japaner sind schon irgendwie verrückt.”

Als ich Payne damit konfrontierte, dass sogar die Nachbarn Japans glauben, dass die japanische Popkultur irgendwie seltsam sei, entgegnete er: „Das ist das Problem damit, wenn du nur wenig über etwas weißt. Das ist wie mit den Niederlanden: Man kennt die Cafés, das Gras, die Rotlichtviertel und die Tulpen. Aber es wäre falsch anzunehmen, dass es überall in den Niederlanden Tulpen gibt. Mit Hentai ist es das Gleiche. Dir sind die Tentakelpornos aufgefallen, aber meiner Meinung nach ist das eine Wahrnehmung, die durch das Objektiv des Internets verzerrt wurde. Die wirklich seltsamen Dinge in Japan sollen uns bewusst provozieren.”

Aber weshalb sehen die Figuren dann so jung aus? 2011 wurde Simon Lundström, der beruflich Hentai übersetzte, in Schweden in 39 Fällen des Besitzes von Kinderpornografie für schuldig befunden. Obwohl es sich bei den Darstellungen um fiktive Zeichentrickfiguren handelte, hat der Oberste Gerichtshof Schwedens 2012 Lundströms Berufung abgewiesen und die Verurteilung bestätigt. Das Gericht entschied, dass auf den Bildern Minderjährige bei sexuellen Handlungen zu sehen sind.

Payne hatte keine Erklärung dafür. „Hentai wird hier in einem anderen Licht gesehen. Alle sagen, dass die Figuren volljährig sind. Das ist künstlerische Freiheit. Es gibt gewisse Standards in der Branche und auch eine Gruppe, die moralische Standard vertritt und solche Dinge wie Inzest verbietet. Es ist aber nun mal aus irgendeinem Grund so, dass viele der Geschichten in der High School spielen.”

Er war sehr darauf bedacht zu betonen, dass Hentai sehr vielfältig ist und dass es mehr gibt als das, was wir auf Pornoseiten zu sehen bekommen.

„Es gibt Hentai, die du wahrscheinlich noch nicht gesehen hast”, erzählte er mir. Es gibt Yuri (zu deutsch „Mädchenliebe”). Das sind Geschichten über Mädchen, die sich ineinander verlieben. Sie sind noch nicht einmal besonders sexgeladen. Es gibt eine Fülle von Yaoi (zu deutsch„Jungenliebe”), Schwulen-Pornos, die gar nicht für schwule Männer bestimmt sind. Sie werden fast ausschließlich von heterosexuellen Mädchen geguckt, die einfach das Drama lieben. Dann gibt es noch Bara (zu deutsch „Rose”), Schwulen-Pornos, in denen große, muskulöse Männer dargestellt werden und die sich Frauen und Männer anschauen.”

Foto: Sam Clements

Auf letzteres bin ich auf der Internetseite des Künstlers Gengoroh Tagame gestoßen: große, schwule Männer mit gestählten Muskeln und aderigen Penissen, die sich gegenseitig würgen oder fesseln.

Ich habe Tagame eine E-Mail geschrieben, aber darauf natürlich keine Antwort erhalten.

Wird männliche Homosexualität in Japan akzeptiert?

„In den Städten gibt es sie”, sagte mir Payne und erzählte mir von einem weiteren Hentai-Stil, Otonoko (zu deutsch „Falle”). Es handelt sich dabei um so eine Art Transvestitenporno, in dem Jungen so gezeichnet werden, dass sie wie Mädchen aussehen. Doch wenn ihre Röcke heruntergerissen werden, kommen ihre riesigen Penisse zum Vorschein.

Und was ist mit den Vergewaltigungen in Hentai?

„Sie übertreiben es damit stärker als in anderen Genres, aber es ist nicht wirklich typisch für Hentai. Dafür gibt es Fetisch-Shops”, sagt Payne. „Normalerweise werden im Porno hübsche Mädchen dargestellt, die vergöttert werden oder mit denen so seltsame Sachen gemacht werden, wie sie in ein Bräunungsstudio zu stecken.”

Wie reagiert die konservative japanische Gesellschaft?

„Es gibt hier eine Redewendung: Shikata ga nai (zu deutsch: „Da kann man nichts machen”). Die Zahl der Leute, die etwas gegen eine Szene mit nackten Brüsten in einem Anime einzuwenden hätte, wäre gleich null. Sie sagen sich: Selbstverständlich stehen Männer auf Brüste und Höschen.”