So kannst auch du ganz einfach zum Fluchthelfer werden

Das PENG! Kollektiv ist laut Selbstdarstellung eine Vereinigung von „smarten, durchgedrehten Menschen“, die kreative politische Aktionen aus der Taufe heben, um mit den Mitteln von Subversion, Humor und zivilem Ungehorsam politische Kampagnen anzureichern. Besonders auf den zivilen Ungehorsam haben es die Kollektivisten in ihrer neuesten Kampagne abgesehen, die heute morgen an den Start geht und die ganz normale Durchschnittsbürgerin und den ganz normalen Durchschnittsbürger dazu aufruft, Fluchthelfer zu werden. Die Betonung liegt dabei tatsächlich auf normal und unauffällig, weil sich diese Eigenschaften in Sachen Fluchthilfe ganz gut ausnutzen lassen und ein solider Mittelklassewagen eben weniger auffällt als ein hippiesker Bus, wenn man aus Italien über den Brenner fährt und auf dem Rücksitz ein Flüchtling sitzt. Diese und ähnliche praktische Tricks gibt es auf der Seite www.fluchthelfer.in, die sich an Menschen richtet, die ihre freien Plätze auf der Rückreise aus dem Urlaub nicht ungenutzt lassen wollen.

Neben der zusätzlichen Einrichtung eines Rechtshilfefonds, auf den erwischte Fluchthelfer und Fluchthelferinnen zurückgreifen können, wollen die PENG!-KollektivistInnen allerdings nichts vorschlagen, was sich nicht auch in der Praxis bewährt hat und so entstand die Website unter Mitwirkung zahlreicher Freundinnen und Freunde, die selbst schon aktiv Fluchthilfe geleistet haben. Menschen, die am kommenden Freitag deshalb auch in einem feierlichen Rahmen mit dem „Europäischen Bundesverdienstkreuz” ausgezeichnet werden sollen, um darauf hinzuweisen, dass Fluchthelferinnen und -helfer immer und zu jeder Zeit illegalisiert wurden, um in den meisten Fällen im Nachhinein von der Geschichte wieder frei gesprochen zu werden. So geschehen mit den Aktivistinnen und Aktivisten der Underground Railroad, die befreite Sklaven aus den Südstaaten in den Norden der USA schmuggelten, oder denjenigen, die dafür sorgten, dass Jüdinnen und Juden aus Nazideutschland heimlich ausreisen konnten. Abgesehen davon liegt die Beurteilung, ob es sich um ehrenwerte Fluchthilfe oder miese Schleusertätigkeit handelt, sowieso immer im Auge des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland und wie sie die jeweils anderen Länder einzuschätzen gedenkt. Als Albanien noch kommunistisch war, hätte man nicht genug Leute aus dem Westbalkanland heraus schmuggeln können, heute mag man dessen ausreisewilligen Bewohner nicht mehr ganz so freudig in die Arme schließen.

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Wir sprachen mit Anna Weissenfels von PENG! über Motivation und Hintergründe zur Fluchthilfekampagne und zur Website fluchthelfer.in.

VICE: Warum diese Kampagne?
Anna Weissenfels: Einige aus unserem Team haben selbst Fluchthilfe geleistet. Auch wenn keiner da bisher rechtliche Probleme hatte, ist es immer einfach, wenn man weiß, dass eventuelle Anwaltskosten übernommen werden. Deswegen rufen wir dazu auf, in den Rechtshilfefonds zu spenden.

Wie wird man Fluchthelfer?
Im Prinzip kann heute jeder FluchthelferIn werden, im Vergleich zu Fluchthilfetätigkeiten in der DDR oder während des Nationalsozialismus sind die Risiken für Fluchthilfe-EinsteigerInnen heute sehr gering. Zum Beispiel auf dem Rückweg vom Urlaub. Bildungsreisenden in der Toskana beispielsweise empfehlen wir, mal eine Kirche weniger anzuschauen und dafür ein Lager für Geflüchtete zu besuchen. Wer das ernsthaft tut, wird sich der Notwendigkeit von Fluchthilfe schnell bewusst werden.

Es kann nicht sein, dass die Nationalität entscheidet, wer Bewegungsfreiheit genießt und wer nicht. Es ist nicht lange her, da haben selbst CDU-Ortsverbände Fluchthilfe geleistet, Tunnel gegraben und sich für offene Grenzen eingesetzt. Da wollen wir wieder hin.

Habt ihr mit anderen Verbänden und Initiativen gesprochen, um herauszufinden, ob genau das nötig ist?
Ja, selbstverständlich. Wir haben zunächst einmal mit den Betroffenen der europäischen Abschottungspolitik, den Geflüchteten selbst gesprochen—das ist am wichtigsten—aber auch mit Flüchtlingsräten und spezialisierte AnwältInnen. Wir haben auch mit größeren NGOs und bekannten PolitikerInnen gesprochen, die auf dem Gebiet tätig sind. Das hat uns sehr ermutigt und geholfen.
Die Frage nach dem „genau das” klingt aber auch so, als seien noch andere Sachen nötig und ja: unbedingt! Die aktuellen Veränderungen sind tiefgehend und strukturell. Menschen, die hier ankommen, brauchen Wohnungen, Arbeit und Rechte. Wir werden auch weitere Menschen überhaupt erst nach Europa reinholen müssen. Das sind alles viele kleine Mosaiksteine.

Hinter dieser Art, sich hochglanzmäßig öffentlich zu präsentieren und vor allem auch politisch zu intervenieren, steckt ja ein gewisses Konzept. Welches?
Ich sehe das nicht als gesonderte Intervention. Das ist ein Stück Gesellschaftspolitik, die sich anderen Politikformen gegenüberstellt: Seien es die terroristischen Anschläge der Neonazis und der „besorgten Bürger”, seien es Angriffe wie die Verschärfungen der Asylgesetze in Deutschland oder der erbitterte Versuch von Politikern wie Federica Mogherini oder Frank-Walter Steinmeier, Schlepperboote zerstören zu dürfen. Wir wählen eben nicht die Unterdrückung oder Waffengewalt, sondern die Unterstützung durch absolut gewaltfreie Methoden.

Was du „hochglanz” nennst, bedeutet eigentlich nur, dass man ein paar Stunden länger dran sitzt und sich Mühe gibt, dass es visuell möglichst viele Menschen anspricht. Das Thema ist uns eben wichtig. Dabei geht es uns darum, ganz konkret EuropäerInnen dazu zu bewegen, Fluchthilfe zu leisten, und so Bewegungsfreiheit für alle möglich zu machen. Denn mit etwas Vorbereitung kann im Prinzip jeder FluchthelferIn werden, das ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Das müssen die Leute aber erst mal für sich herausfinden. Und wenn dafür ein schick gedrehtes Video nötig ist, dann machen wir das, damit haben wir kein Problem.

Ist das auch eine Abkehr vom üblichen „Refugees Welcome”-Aktivismus?
Wir kehren uns von niemandem ab, außer von der europäischen Abschottungspolitik! Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Aktionsformen, die nötig sind, um die unmenschliche Migrationspolitik der EU zu überwinden. Wir finden es dabei allerdings sehr wichtig, auch praktisch zu handeln, zum Beispiel in Form von Fluchthilfetätigkeiten. Unsere Zielgruppe sind dabei aber vor allem die Leute mit den Familienwagen, denn die sind für Fluchthilfe besonders gut geeignet. Auch die Generation unserer Eltern wird sich fragen müssen, wie die Geschichtsbücher darüber urteilen werden, dass sich unsere Gesellschaft vor den Leidtragenden unserer Ausbeutungspolitik mit allen Mitteln abschottet—und ob sie auf dem Rückweg aus dem Urlaub nicht noch einen Platz im Auto frei gehabt hätten. Oder zumindest den Rechtshilfefond hätten unterstützen können.

Das Thema Flüchtlinge ist ja in aller Munde, allerdings sind neue und revolutionäre Ansätze rar. Auf der einen Seite gibt es eine große Betroffenheit, auf der anderen Seite gibt es aber auch die Haltung: Was soll man anderes machen? Wir können ja nicht alle rein lassen? Hättet ihr in dieser Beziehung einen anderen Vorschlag anzubieten?
Ja: Grenzen auf und alle rein lassen. Uns lassen doch auch alle in ihre Länder rein—und das nur, weil wir zufällig hier und nicht in Nigeria geboren sind. Eine Ausgrenzungspolitik hat sowieso keine Aussichten. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Migrationsbewegungen—und für die aktuelle ist der Westen mit seiner kolonialen und postkolonialen Politik sogar in großen Teilen selbst verantwortlich. Abschottung und Konfrontation wurde schon oft versucht—etwa im Römischen Reich. Das hat, wie wir heute wissen, nur kurzfristig geklappt und hat immense Kosten verursacht. Jetzt ist es an uns, neue Wege zu gehen, Menschen willkommen zu heißen und die großartigen Chancen zu nutzen, die uns diese Öffnung unserer Gesellschaft bietet.

Fluchthilfe und was dann? Auf eurer Website kommt dieser Paragraph etwas kurz. Könnt ihr noch einen konkreteren Tipp geben, an wen man sich wenden kann, wenn man eine geflüchtete Person,erfolgreich über die Grenze gebracht hat?
Im Prinzip können sich FluchthelferInnen an alle AnwältInnen für Aufenthaltsrecht wenden, beispielsweise die Flüchtlingsräte in den verschiedenen Bundesländern geben da gute Auskunft. Aber was du da ansprichst, stimmt: man kann jemanden ja nicht einfach am Alexanderplatz absetzen und einen schönen Tag wünschen. Es ist für eine einzelne Person nicht einfach, mit einer solchen Situation umzugehen. Daher sollte man auch unbedingt mit der reisenden Person Vertrauen aufbauen, gemeinsam die Optionen besprechen und mit unterstützenden Netzwerken zusammenarbeiten—Flüchtlingsräte oder gute Freunde.

Wenn es geht, würde ich empfehlen, zunächst eine Übergangsunterkunft zu finden, die nicht mit staatlichen Stellen kooperiert, bis man die rechtliche Situation individuell geklärt hat. Eine Einschätzung der Lage und eine realistische Strategie gibt jedem Menschen eine ungeheure Kraft. Natürlich kann man sich auch auf eine einfache Überfahrt einigen. Das Mindeste sollte aber in jedem Fall sein, sicher zu stellen, dass die Person Kontakte zu unterstützenden Personen im Lande aufbauen kann.