Politik

Eine hohe Polizeipräsenz schützt nicht vor Covid-19

Nationalismus wird das Virus nicht bekämpfen – und Heimatlieder schon gar nicht.
Ein Polizeiauto fährt eine leere Straße entlang
Linkes Foto: imago images / Christian Spicker | rechtes Foto: imago images / Alex Halada


Es ist Sonntag 18 Uhr und im Norden von Wien wird eine Straße blau erleuchtet. Fünf Polizeimotorräder fahren in Dreiecksformation, dahinter reihen sich neun Polizeiautos, ein weiteres sperrt eine Seitenstraße ab. Aus den Lautsprechern dieser Fahrzeuge und aus vielen weiteren Streifenwagen in der ganzen Stadt tönt der Song "I am from Austria" des Sängers Rainhard Fendrich. Was wirkt wie eine Mischung aus Großeinsatz, missglückter Schlagerparty und Polizeieskorte, ist in Wirklichkeit eine Imageaktion der Wiener Polizei. So bezeichnet die Behörde es selbst.

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Die Aktion soll ein Dank an die Bevölkerung sein für ihre Selbsteinschränkung im Kampf gegen Covid-19. Ursprünglich hatte der öffentlich-rechtliche Radiosender Radio Wien damit begonnen, den Song jeden Abend abzuspielen. Die Polizei hatte das übernommen. Laut einem Sprecher der Wiener Polizei stehe der Song für Zusammenhalt. Das kann man so sehen. Aber das ist naiv. Die Aktion ist ein falsches Signal zur falschen Zeit. Denn während die Aktion und das Lied einen Teil der Österreicherinnen zusammenschweißt, schließt er andere aus. Nicht umsonst ist "I am from Austria" ein Song, der auch von Heinz-Christian Strache und seiner rechten Partei FPÖ seit Jahren abgefeiert und bei deren Veranstaltungen gespielt wird.

I kenn' die Leut’
I kenn' die Ratten
Die Dummheit, die zum Himmel schreit
I steh' zu dir bei Licht und Schatten
Jederzeit

Klingt das nach Zusammenhalt? Nein. Diese Zeilen klingen nach einer subtilen Drohung gegenüber all jenen, die die Ausgangsbeschränkungen besonders treffen: Obdachlose, suchtkranke Personen, Menschen, die gemeinsam kleine Wohnungen und Zimmer bewohnen und es nicht den ganzen Tag drinnen aushalten.


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In Österreich gibt es seit etwa einer Woche ähnlich wie in Deutschland Ausgangsbeschränkungen. Ein öffentliches Leben ist fast nicht mehr möglich. Restaurants und Bars sind geschlossen, nur die wichtigsten Geschäfte, wie Supermärkte und Apotheken, sind noch geöffnet. Die meisten Menschen bleiben zu Hause. Die Straßen sind leer, die öffentlichen Verkehrsmittel ungenutzt. Und all jene, die noch immer nach draußen gehen, haben immer öfter Kontakt mit der Polizei.

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200 Polizistinnen und Polizisten mehr als normalerweise sind momentan täglich in Wien im Einsatz. Das fällt auf. Sie dominieren das Stadtbild. Vor allem dann, wenn Streifenwagen in Parks und auf Plätzen vorfahren und die Menschen via Lautsprecherdurchsage dazu auffordern, sich an die Beschränkungen zu halten. Auch dann, wenn im Park nur Zweiergruppen mit Abstand zueinander, Menschen beim Joggen und Fahrradfahrer anwesend sind. Alle springen dann hektisch auf, Stress liegt in der Luft, auch wenn eigentlich niemand gegen die Auflagen verstoßen hat. Die Message ist klar: Bleibt zu Hause. Wir sehen und kontrollieren euch. Bis zum 22.03. wurden in Wien laut des Pressesprechers 1.325 Anzeigen wegen Verstößen gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz erteilt.

Dass Social Distancing und Ausgangsbeschränkungen eine wirksame Maßnahme zur Eindämmung der Ausbreitung von Covid-19 sind, ist klar. Aber eine enorme Polizeipräsenz dämmt kein Virus ein. Im Gegenteil: Sie schüchtert Menschen zusätzlich ein, die immer wieder Opfer von Racial Profiling und Polizeiwillkür werden oder sich aufgrund ihrer Lebensumstände nicht an die Ausgangsbeschränkungen halten können. Für Geflüchtete und migrantische Personen steht ein Heimatsong, den sich Rechte angeeignet haben, in Kombination mit einem großen Polizeiaufgebot nicht für Zusammenhalt. Obdachlose können nicht einfach in ihren Wohnungen mit ihren Freundinnen Skype-Partys feiern, sondern sind auf ihre Kontakte draußen angewiesen. Sie sind den Maßnahmen und einem falschen Verständnis von Gemeinschaftsgefühl ausgeliefert, auch wenn es von Seiten der Polizei heißt, dass gegenüber Obdachlosen, die die Beschränkungen nicht einhalten können, mit Fingerspitzengefühl reagiert werden würde.

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Die Wiener Polizei beschwört einen Zusammenhalt für nur eine Gruppe hervor: Weiße, vornehmlich gut situierte Österreicher und Österreicherinnen, die von den Balkonen ihrer Altbauwohnungen aus ihren vermeintlichen Beschützern zuwinken können. Für sie bedeutet die Krise: Wir stehen zusammen. Was für ein Nationalgefühl! Für viele andere bedeutet dieser Zustand Repression.

Nationalismus bekämpft kein Virus. Es ist das falsche Mittel in einer Zeit, in der als berechtigte Maßnahmen gegen Covid-19 Grenzen geschlossen werden und die Freiheit aller eingeschränkt wird. Die erhöhte Polizeipräsenz zeugt auch von einem Misstrauen gegenüber der Bevölkerung. Ihr wird durch die Repression indirekt abgesprochen, sich von sich aus solidarisch zu verhalten. Die erhöhte Polizeipräsenz ist ein innenpolitischer Reflex, der selten funktioniert. Wann immer es eine Krise gibt, scheint die Lösung zu sein: mehr Polizei. Das ist falsch. Wenn durch leer gefegte Städte unzählige Streifenwagen fahren und auch noch Hymnen auf das eigene Land abspielen, dann erinnert das an ein Klischeebild aus autoritären Staaten, aber nicht an Zusammenhalt. Das Coronavirus und seine Folgen sind Einschüchterung genug. Die Polizei sollte das Stresslevel für Teile der Bevölkerung nicht noch zusätzlich erhöhen.

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