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Ordnung, Hitze und Getöse bei der Anti-Überwachungsdemo

Das Wetter in Berlin ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass es an diesem Samstag erst einmal relativ wenig Demonstrierende zur #StopWatchingUs-Demo geschafft haben, obwohl die Kacke am Dampfen ist.

„Bitte auf die andere Straßenseite! Alle Teilnehmer auf die andere Straßenseite!“, schallt die Stimme des Polizisten über den Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg. Der Typ links von mir grinst. „So ist das in Deutschland, da muss auch auf den Demos alles mit rechten Dingen zugehen.“ Mit Anti-Überwachungsstaat-Schildern und Edward-Snowden-Masken in den Händen macht sich die Menge langsam auf den Weg über die Kreuzung. Bei 33 Grad macht man nichts schnell. Das Wetter ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass es an diesem Samstag erst einmal relativ wenig Demonstrierende zur #StopWatchingUs-Demo geschafft haben. In anderen Städten, heißt es zwischendurch, seien aber wohl mehr als erwartet gekommen. Schließlich ist heute das deutsche Städte-ABC von Aachen bis Würzburg dabei.

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Wie sich herausstellt, heißt der Typ, der gerade noch die Polizeidurchsagen kommentiert hat, Max und ist in seinem Leben abseits von Anti-PRISM-Demos Programmierer. „Was uns immer so schön als ,Metadaten' verkauft wird, bedeutet einfach, dass jederzeit herausgefunden werden kann, wo sich jemand aufgehalten hat, mit wem er gesprochen hat, wie lange er seine Mutter nicht mehr angerufen hat“, erklärt er mir. Dann schiebt er in fast schon resigniertem Tonfall hinterher: „Das ist einfach nur zum Kotzen.“ Aber eigentlich, denke ich, müsste es doch für Max als IT-Nerd gar kein Problem sein, seine Daten zu verschlüsseln. Schließlich sollen wir das doch laut unserem Innenminister ab jetzt selbst in die Hand nehmen. „Bei dieser Überwachung geht es ja viel weniger um die Inhalte als um Metadaten, die Netzwerke von Menschen offenlegen. Und das kann ganz leicht missbraucht werden, egal wie verschlüsselt die E-Mail ist.“

Als der Zug sich langsam in Bewegung gen Brandenburger Tor setzt, laufen Viviana, Elisabetta und Steffen an mir vorbei. Ich bin ein bisschen neidisch auf ihren Freiheitsrettungsschirm, zugegeben vor allem wegen des Sonnenschutzes, den er verspricht. Viviana und Elisabetta haben im Gegensatz zu Max nichts mit der IT-Branche zu tun, sie sind Dozentinnen. Sie sind vor allem hier, weil sie keinen Bock auf eine Überwachungsgesellschaft haben. „Das ist einfach eine komplette Demokratieaushöhlung“, fügt Steffen, im echten Leben Grafiker, hinzu.

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Generell sind Protestschirmkreationen heute ziemlich groß. Christiane präsentiert mir eine der wahrscheinlich aufwendigsten: Vorn eine Danksagung an die Whistleblower Edward Snowden und Bradley Manning, hinten ein verbaler ausgestreckter Mittelfinger an Innenminister Hans-Peter Friedrich mit dem Satz „Ich will nichts verschlüsseln müssen!“. Als ich sie frage, warum sie heute gekommen ist, verweist sie erst einmal auf ihre Selbstbeschreibung bei Twitter: „Älteres Modell, kämpft für die nächsten Generationen, Mitglied der Piratenpartei.“ Während mir Christianes Begleiterin M&Ms in die Hand schüttet, lässt mich die Piratin an ihrer Wut über den aktuellen Zustand (Ich glaube, sie meint generell) teilhaben. „Die Kacke ist doch nur noch am Dampfen! Nimm das jetzt nicht persönlich, aber wenn ich heute eine 25-Jährige wäre, würde ich einfach verzweifeln.“

Mein kurzes Gespräch mit Christiane ist definitiv das netteste des Tages. Nicht nur, weil ihre Begleiterin mich mit immer mehr M&Ms versorgen will, sondern auch, weil sie so offen und bereitwillig mit mir redet. Ich bekomme einige böse Blicke ab, als ich die anderen Demonstrierenden nach ihren Meinungen zum Abhörskandal frage. Viele möchten nicht mit Namen und Fotos in der Presse landen. In gewisser Weise auch konsequent, wenn man sich gerade für mehr Privatsphäre einsetzt.

Einer der Teilnehmenden möchte genau deshalb anonym bleiben. Zwischen den vielen Schildern, die sich an die USA richten, weist er auf die Verantwortung Deutschlands hin: „Mich regt auf, dass die deutsche Regierung nichts gegen die Überwachungsprogramme macht und sich nicht einmal klar positioniert.“ Deshalb müssen die Leute auf die Straße gehen, aber leider seien ja heute nicht so viele da.

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In den rund zwei Stunden, in denen wir zum Brandenburger Tor ziehen, vergrößert sich die Protestmenge allerdings um einiges. Die Zahlenangaben rangieren irgendwo zwischen 600 und 3000 Teilnehmenden in Berlin, bundesweit sollen es 10.000 sein. Auf jeden Fall wird der Platz hinterm Brandenburger Tor proppenvoll, als der Demonstrationszug aufläuft. Mit ihm fährt auch der „Friedensbündnis Berlin“-Wagen ein, der dank kontinuierlicher House-Beschallung und Wasserpistolen schon während der Demo so eine gewisse Rave-Atmosphäre verbreitet hat. Ach ja. Immer dieses Getöse.

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