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Ein Rumäne hat Deutschland dazu gebracht, allen EU-Einwanderern nach sechs Monaten Sozialhilfe zu zahlen

Wir haben uns mit Menschen in Bukarest darüber unterhalten.

Foto: Francisco Antunes | Flickr | CC BY 2.0

Anfang des Monats hat das Bundessozialgericht in Kassel entschieden, dass jeder EU-Bürger und jede EU-Bürgerin, der oder die sich seit mindestens sechs Monaten in Deutschland aufhält, ein Anrecht auf Sozialhilfe hat. Dazu ist es gekommen, weil ein rumänischer Einwanderer nicht in das Arbeitslosengeld-System passte und deswegen vor Gericht zog. Das Urteil hat einige Kritiker auf den Plan gerufen, darunter Jan Fleischhauer vom Spiegel. Deswegen haben wir unsere Kollegen von VICE Rumänien gebeten, uns zu erklären, was sie davon halten.

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In seiner Kolumne stellt Fleischhauer den fraglichen Rumänen als einen leichtsinnigen Mann dar, der sich vorher keine Gedanken darüber gemacht hat, wie er seine vierköpfige Familie nur mit dem Verkauf einer Straßenzeitung ernähren soll, und der deswegen also den deutschen Staat um Sozialhilfe angehauen hat. Von diesem Punkt aus geht es dann weiter zu der Sorge, dass alle Rumänen nach Deutschland kommen können, um dort als Sozialschmarotzer mehr staatliche Unterstützung abzugreifen, als sie mit ehrlicher Arbeit in Rumänien verdienen könnten. Weiterhin erklärt der Autor, es sei nicht gerecht, wenn arme Rumäninnen und Rumänen genauso viel Sozialhilfe erhalten würden, wie syrische Flüchtlinge, die nicht einmal mehr eine Heimat haben, in die sie zurückkehren könnten. Er sagt, solche Urteile würden die rechtsextremen nationalistischen Bewegungen in Westeuropa nur noch weiter anfachen. Ich weiß nicht, wie die Deutschen mit all diesen „Bedrohungen" umgehen werden oder ob die Entscheidung tatsächlich ihrer Wirtschaft schaden wird, aber ich habe die Debatte mit auf die Straßen von Bukarest genommen, um zu sehen, wie die Rumäninnen und Rumänen auf diese Nachricht reagieren.

VICE: Deutschland ist jetzt gastfreundlicher zu EU-Bürgern und gewährt ihnen nach sechs Monaten Aufenthalt Zugang zu Sozialhilfe. Wie findest du das?
Bulgarischer Tourist: Ich verstehe nicht, warum mich das interessieren sollte. Ich bin hier, um mir Bukarest anzusehen, und nicht Deutschland.

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Ja, du bist aus Bulgarien, aber Deutsche haben jetzt Angst, dass Rumänen und Bulgaren nur des Geldes wegen nach Deutschland gehen werden.
Die können ruhig Angst haben, dass wir kommen, das ist mir egal. Die Sache ist, dass sie kein Geld kriegen sollten, ohne zuerst dafür zu arbeiten. Aber im Grunde ist es eine gute Entscheidungen, denn Menschen brauchen Hilfe, vor allem, wenn sie keine Arbeit haben.

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Aber was, wenn man die Kontrolle über eine solche Entscheidung verliert und immer mehr Leute in ein Land einwandern, um einfach so an Geld zu kommen?
Ich weiß es einfach nicht. Das ist deren Angelegenheit.

Gibt es so etwas bei euch in Bulgarien?
Ganz und gar nicht. Wir haben einige kostenlose Ausbildungen, du kannst Fremdsprachen oder Ingenieurswesen oder Programmieren lernen, aber bevor du das machen darfst, musst du beweisen, dass du irgendwo gearbeitet hast. Im Grunde handelt es sich dabei um Bonusprogramme für Angestellte.

VICE: Du bist noch Studentin. Würdest du nach Deutschland gehen, um dort sechs Monate zu leben und dann das Recht auf Sozialhilfe zu haben?
Journalistik-Studierende: Nun, ich studiere Journalismus. Ich könnte versuchen, einen Job zu finden. Ich könnte sechs Monate lang als Praktikantin irgendwo arbeiten und dann die Regierung bitten, eine Arbeit für mich zu finden oder mir Geld zu geben. Allerdings spreche ich die Sprache nicht, das wäre also ein riesiges Problem.

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Was hat das mit Arbeit zu tun? Kannst du nicht arbeiten, ohne die Sprache zu sprechen?
Man braucht vermutlich gewisse Dokumente, um zu beweisen, dass man seit sechs Monaten da ist, dass man etwas mit dem Land zu tun hat. Allerdings wäre es wohl leichter, direkt hier in Rumänien an Sozialhilfe zu kommen, denn hier kennst du bereits den korrupten Bürgermeister oder Minister, der dir dabei helfen kann.

Du willst also kein Geld umsonst oder fast umsonst?
Natürlich hätte ich das gern, wer denn nicht? Aber als ich mich um ein Stipendium beworben habe, musste ich trotzdem viel dafür lernen. In einem solchen Fall ist das Geld nicht wirklich umsonst, sondern eine Art Bonus.

VICE: Deutschland wird zu einem attraktiveren Land für ärmere EU-Bürgerinnen und –Bürger. Ist das eine gute Sache?
Journalistin: Deutschland spielt nur mit der „Politik der offenen Tür", und dieses neue Gesetz ist riskant. Doch wenigstens geht es hier nicht um die irakischen oder syrischen Flüchtlinge, oder wie auch immer sie sich nennen. Wenigstens in der Hinsicht ist es OK.

Riskiert Deutschland nicht, anstelle der Flüchtlinge sehr viele Einwanderer aus der EU zu kriegen?
Das Land braucht Arbeitskräfte, und so bekommt es wenigstens europäische. Selbst wenn wir Osteuropäer sind, wir können uns immer noch leichter an die westliche Kultur anpassen. Wir sind vielleicht unzivilisiert, aber wenigstens kommen wir nicht mit Bomben und AK-47. Wir haben den Punkt erreicht, an dem Deutschland schon innereuropäische Immigranten vermisst, selbst wenn sie nur da sind, um zu stehlen.

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Würdest du nach Deutschland gehen?
Natürlich. Es ist großartig, sechs Monate zu arbeiten und dann mit staatlichem Geld zu relaxen. Und wenn du deinen steuerzahlenden deutschen Nachbarn hasst, dann kannst du es ihm jetzt heimzahlen, indem du ein Sozialschmarotzer bist, der sein Geld indirekt verschlingt.

Denkst du, Deutschland wird noch zu einem totalen Wohlfahrtsstaat?
Deutschland ist bereits wie viele westliche Länder, die Sozialhilfe, kostenlose medizinische Versorgung und Zugang zu höherer Bildung bieten. Allerdings sind Deutsche Workaholics und es würden niemals so viele von ihnen von Sozialhilfe leben wie in Großbritannien.

VICE: Das neue Gesetz in Deutschland erlaubt es Leuten, nach sechs Monaten Aufenthalt Geld zu beziehen. Findest du das in Ordnung?
Ehemalige Krankenschwester: Ich würde sagen, das ist schlichtweg falsch. Sie sollten mindestens fünf bis zehn Jahre Arbeitserfahrungen verlangen. Sechs Monate ist einfach ein zu kurzer Zeitraum.

Welche Regeln würdest du einführen, wenn du die deutsche Regierung wärst?
Ich würde sagen, nach fünf, zehn Jahren Arbeit sollte man Geld bekommen, bis man eine neue Arbeit findet. Ich komme aus Arad, ich habe 37 Jahre lang gearbeitet und jetzt habe ich eine sehr kleine Rente, obwohl ich mir meinen Lebensunterhalt mit Nachtschichten im Krankenhaus verdient habe.

Nun, ein deutscher Journalist hat geschrieben, diese Sozialhilfe sei doppelt so hoch wie ein Lehrergehalt in Rumänien.
Da siehst du mal, was hier schiefläuft. Ich zum Beispiel bekomme nur etwas mehr als einen Euro als Zuzahlung zu meiner Rente. Ich habe allein für den Papierkram, der dafür nötig war, schon mehr bezahlt.

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VICE: Deutschland wird bald allen, die mindestens sechs Monate dort gewohnt haben, Sozialhilfe bieten. Würdet ihr dort arbeiten, um dieses Geld zu bekommen?
Ex-Sportler Links: Ich halte das für normal, denn Deutsche waren Arschlöcher und haben im letzten Jahrhundert Millionen Menschen umgebracht. Und jetzt versuchen sie, den Schaden wiedergutzumachen. Dschingis Khan und die Deutschen sind diejenigen, die die Welt zerstört haben.

Wenn du dort arbeiten würdest, wäre es also gut für dich, oder?
Ich würde keine Minute für dieses Land arbeiten. Dafür kann man jetzt wütend auf mich werden, aber ich würde dort niemals hingehen. Ich bin Nationalist und ich sehe keinen Grund, warum ich für Deutsche arbeiten sollte.

Ex-Sportler Rechts: Sieh mal, wir sind ehemalige Sportler. Wir würden keine Bestechung erhalten, oder wie auch immer man die Sozialhilfe nennt, die Deutschland zu bieten hat. Wir haben in ganz Europa gelebt, wir sind gereist, aber wir gehen nicht in Deutschland arbeiten.

Deutschland ist noch immer gastfreundlich gegenüber Ausländern. Andere Länder sind da drastischer.
Ex-Sportler Rechts: Ja, hast du das Gesetz in Großbritannien gesehen? Du musst mindestens vier oder fünf Jahre arbeiten, bevor du um Hilfe bitten kannst. Das wird auch in anderen Ländern die Norm sein. Unser Premierminister will hier dasselbe einführen. Ansonsten gibt es keine Arbeitslosenhilfe. Mein Neffe war zehn Jahre lang mit seiner Frau und seinen Kindern in Großbritannien. Aber er hat gearbeitet und nicht darauf gewartet, dass ihm diese Leute helfen.

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VICE: Deutschland hat ein neues Gesetz für EU-Bürger, natürlich inklusive Rumänen. Wer dort sechs Monate lebt, hat ein Anrecht auf Sozialhilfe. Wie stehst du dazu?
Rentner: Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich glaube, das machen sie in der ganzen EU so, in Dänemark und anderen Ländern. Diese Leute gehen dorthin, arbeiten sechs Monate, vielleicht ein Jahr, und dann kriegen sie Sozialhilfe. Und so weiter.

Und wenn du in Deutschland leben würdest, wärst du dann dafür?
Ich würde solchen Leuten nicht helfen. Es ist einfach zu viel.

Wäre ein solches Gesetz gut, wenn es um das Heimatland geht—wenn also die rumänische Regierung den Rumänen und die deutsche Regierung den Deutschen helfen würde?
Ja, das wäre schon besser. Die Regierung muss sich um ihre Bürger kümmern. Aber in diesem Fall muss man streng sein. Wenn man pensioniert ist und nicht genug Geld hat, oder wenn man nicht arbeiten kann, dann sollte man auch finanzielle Hilfe bekommen. Aber es ist nicht in Ordnung, gar nichts zu tun und Geld zu kriegen. Und wer jung ist, muss arbeiten gehen.

VICE: Du arbeitest in einem liberalen Beruf. Was hältst du von dem deutschen Gerichtsurteil?
Werbefachfrau: Ich denke, alle die arbeiten gehen, haben ein Recht auf Sozialhilfe, ob Einwanderer oder nicht. Doch in beiden Fällen muss die Sozialhilfe zeitlich begrenzt sein und die Person sollte von behördlichen Ermittlern in Augenschein genommen werden.

Was würdest du tun, jemanden verhören lassen?
Ja, man muss schließlich wissen, wo die Leute herkommen, was sie tun, auf welchen Bereich sie spezialisiert sind, wie die Zukunftspläne aussehen, um wen sie sich noch zu kümmern haben. All diese Daten sollten von einer Arbeitsvermittlung für Menschen in dieser Lage eingesetzt werden. Wenn sich keine Arbeit in der richtigen Branche findet, dann sollten die Leute in ein Umschulungsprogramm kommen.

Aber was, wenn man dann irgendwann ein Land mit total überspezialisierten Leuten hat?
Dennoch werden die Leute, die in dem Programm gute Ergebnisse erzielen und die guten Willen zeigen, Priorität kriegen, wenn es Jobs zu vermitteln gibt. So lange sie beweisen, dass die wertvolle Mitglieder der Gesellschaft sind.